Es konnte Agatha und dem Direktor unmöglich aufgefallen sein, dass die Tür nicht geschlossen war, denn in diesem Fall hätten sie niemals so laut geredet. Doch so kam es, dass Florence und ich klar und deutlich vernehmen konnten, wie sich die beiden unterhielten:
"Ich verstehe einfach nicht, wieso du dieses Mädchen überhaupt in Erwägung ziehst, Aggie! Talentiert, begabt und ambitioniert, das sind die Eigenschaften, die ich von einem Raben erwarte."
Die Stimme des Direktors hatte an Schärfe verloren, doch er klang immer noch sehr autoritär.
"Du hast Obsidian Winmore vor Augen, nicht wahr?", fragte Agatha zögerlich nach, woraufhin ich mit Flo einen verwirrten Blick austauschte. Was hatte der verstorbene Gründer des Arcanums damit zu tun? Und eine noch viel wichtigere Frage: Warum wurde unsere Professorin vom Schulleiter Aggie genannt?!
Wir konnten hören, wie ein Stuhl zurückgeschoben wurde und jemand den Raum zu durchqueren schien. Den leisen Schritten nach zu urteilen konnte es sich nur um Agatha handeln.
"Ja, das habe ich. Deshalb ist es auch so unverständlich für mich, warum du immer wieder auf Charlotte Crowe zurückkommst! Sie ist im besten Fall mittelmäßig, niemand, von dem Prophezeiungen handeln.", erwiderte Graham, woraufhin erneut Stille eintrat. Meine Aufregung und die Angst davor erwischt zu werden, waren mit den Worten des Direktors Wut und Entrüstung gewichen. Ich war vielleicht nicht die Jahrgangsbeste, aber da mich die Fächer wirklich interessierten, machte ich immer meine Hausaufgaben und passte im Unterricht auf.
"Wir drehen uns im Kreis, Arthur. Wovon der Rest der Schrift handelt weiß niemand, also kann es weiterhin jeder unserer Erstklässler sein. Das ist uns nun schon seit 20 Jahren klar, weshalb uns nichts anderes als abwarten übrig bleibt."
Agathas Stimme klang etwas deutlicher durch den Türschlitz als die des Direktors, offenbar stand sie nun in der Nähe des Eingangs.
"Du hältst doch keine Informationen zurück, die dich denken lassen, dass es Miss Crowe ist, oder? Das wäre nämlich...-"
Den Rest des Satzes verstand ich nicht mehr, denn genau in dem Moment wurde langsam die Klinke hinuntergedrückt und Florence hatte mich am Arm gepackt. Sie zerrte mich von der Tür weg und mit schnellen Schritten hasteten wir den Gang entlang, bis wir schließlich keuchend auf dem Treppenabsatz anhielten.
Das Adrenalin pumpte nur so durch meinen Körper, während ich mich am Geländer festhielt und wir langsam die Stufen hinauf stolperten.
"Das war ganz schön knapp!", meinte ich atemlos, woraufhin Florence mit weit aufgerissenen Augen nickte:
"Ich will gar nicht wissen welchen Ärger wir bekommen würden, wenn sie uns erwischt hätten! Das klang alles so dermaßen geheim und mysteriös!"
"Immerhin heißt das bestimmt, dass die Informationen wertvoll für uns sein könnten.", stimmte ich Flo keuchend zu und blieb am Treppenabsatz unseres Stockwerks stehen, um eine Pause zu machen.
"Ja! Ich frage mich wirklich, was dieses Gerede von einer Prophezeiung-...!"
"Welche Prophezeiung?"
Mit einem leisen Kreischen, das mir normalerweise sehr peinlich gewesen wäre, fuhr ich herum und stand Jake und Evan gegenüber. Diese Tatsache hätte mich eigentlich ziemlich überraschen sollen, wenn ich nicht anderweitig abgelenkt gewesen wäre. Ich spürte, wie meine Wangen warm wurden und peinlich berührt blickte ich zu der Wand hinter den Jungs, wo zwischen den Gemälden ein mannshoher Spiegel hing.
Der Grund für mein Verhalten war Jake, der sich offensichtlich schon für die Nacht umgezogen hatte und nur eine blau karierte Schlafanzug-Hose trug. Seine Arme waren vor der blanken Brust verschränkt und die grauen Augen leuchteten im Zwielicht, während er amüsiert einen Mundwinkel hob und seinen Blick auf mich heftete.
So ein Idiot! So selbstgefällig wie er aussah, wusste er ganz genau was ich dachte! Doch anstatt meinem ersten Impuls zu folgen und wütend aufzustampfen, beschloss ich, dass Angriff die beste Verteidigung war:
"Was macht ihr denn hier?"
Diese Frage richtete ich hauptsächlich an Evan, der, wie mir nun auch aufgefallen war, ebenfalls eine Pyjamahose mit grünem Karomuster trug, aber im Gegensatz zu Jake auch ein schwarzes T-Shirt übergezogen hatte.
"Kein Grund sich aufzuregen, wir haben bloß von Sam und Debbie erfahren, dass ihr zum Direktor gegangen seid. Falls es irgendwelchen neuen Informationen gibt, wollten wir sie gleich hören.", gab er zurück und fuhr sich durch die wuscheligen, braunen Locken.
"Das ist ...nett!", stellte Flo fest und klang dabei ziemlich erstaunt.
"Warum denn so überrascht?", fragte daraufhin Evan und brachte es fertig gleichzeitig belustigt und beleidigt auszusehen.
"Tut mir leid, wir haben nun mal nicht damit gerechnet, dass ihr hier draußen wartet um uns abzufangen!", protestierte ich, immer noch ein wenig rot im Gesicht.
"Charlie, kein Grund so zu tun als wäre das hier ein Postkutschen-Überfall. Außer ihr erzählt uns weiterhin nicht was passiert ist, dann müssen wir unsere Strategie ändern. Mir ist nämlich arschkalt.", meinte Jake, woraufhin ich nur unterkühlt die Augenbrauen hob:
"Dann hättest du dir ein bisschen mehr anziehen sollen."
"Wir wollen euch nur unterstützen!", warf Evan diplomatisch ein, woraufhin ich einen fragenden Blick mit Florence austauschte. Sie zuckte nur mit den Achseln, woraufhin ich seufzend zu erzählen begann:
"Zuerst ist nichts besonderes passiert, ich habe die Pfeilspitze abgegeben und Flo hat draußen gewartet. Danach wollten wir eigentlich wieder gehen, aber die Bürotür war nicht ganz geschlossen. So konnten wir hören, worüber Graham und Agatha geredet haben!"
Ich hielt kurz inne, was Florence zum Anlass nahm, fortzufahren:
"Es ging um eine Prophezeiung, die scheinbar einen Schüler unseres Jahrgangs betrifft. Wir haben keine Ahnung worum es darin geht, aber es scheint wichtig zu sein!"
Schnaubend fügte ich hinzu:
"Sie haben irgendeinen lächerlichen Codenamen dafür verwendet, ich glaube es ging um den Raben!"
"Also ich finde, dass der Name irgendwie cool klingt.", meinte Evan, woraufhin Flo leise auflachte:
"Charlie ist beleidigt, weil Agatha scheinbar sie in Erwägung zieht. Der Direktor hält aber nichts von ihr."
Leicht stupste ich ihr in die Rippen:
"Er hat wortwörtlich aufgezählt was alles so toll an diesem Raben sein soll und im nächsten Satz gesagt, dass genau das der Grund ist, weshalb ich es nicht bin!
Aber zurück zum Thema: anscheinend hat unser verstorbener Schulgründer etwas damit zu tun, dieser Obsidian Winmore."
"Der, von dem der Kopf im Aufenthaltsraum steht?", hakte Jake weiter nach, woraufhin ich nickte. Da lachte er so laut auf, dass ich ihm am liebsten den Mund zugehalten hätte, bevor noch jemand auf uns aufmerksam wurde.
"An unserem ersten Abend hier hat ihm Clover bei der Party einen Partyhut aufgesetzt, das sah ziemlich lustig aus.", erklärte er etwas leiser, woraufhin ich verstimmt einen Blick mit Florence wechselte.
"Ich habe das Gefühl, dass wir uns in Zukunft damit beschäftigen sollten. Vielleicht ist es nur eine Vermutung, aber es fühlt sich so an, als ob alles..."
"...zusammenhängen würde.", beendete Flo unheilvoll Evans Satz.
"Findet ihr nicht, dass das alles ein bisschen zu viel nach Verschwörungstheorien klingt? Was, wenn ihr Verbindungen seht, wo gar keine sind?", fragte Jake und zog dabei ungläubig die Augenbrauen zusammen, woraufhin ich mit dem Kopf schüttelte:
"Wirklich, ich wünschte es wäre so. Aber es ist schon zu viel passiert, um das alles nur für Zufälle und Einbildung zu halten."
Was wir bis jetzt gesehen hatten, war nur die Spitze des Eisbergs und wir tauchten immer tiefer in die dunklen Geheimnisse der Schule ein. Doch wollten wir wirklich sehen, was dort lauerte? Nicht, dass wir eine Wahl gehabt hätten.
Aufzutauchen war schon lange keine Option mehr.Danach waren Flo und ich schließlich in unser Zimmer zurückgekehrt, Jake und Evan hatten sich ebenfalls verabschiedet. Florence war gleich schlafen gegangen, während ich noch an Sammys Seite einen spätnächtlichen Hausaufgaben-Marathon zu bestreiten hatte. Doch der machte sich am nächsten Morgen bezahlt, als wir unsere Arbeiten bei Professor Finch vorzeigen konnten. Ich musste zugeben, zum Teil gab ich mir bei seinen Hausübungen nur deshalb Mühe, da er immer so enttäuscht war, wenn er eine schlechte Note eintragen musste.
Falls das eine psychologische Masche seinerseits war, dann hatte ich großen Respekt vor ihm.
Nach Alte Sprachen hatten wir Flugunterricht, der wie immer draußen auf dem Innenhof der Schule stattfand.
Ich freute mich dieses Mal sogar noch mehr darauf, da Agatha beim letzten Mal angekündigt hatte, dass wir heute etwas Neues lernen würden.
Bis jetzt war nämlich unsere einzige Übung das Auf-und-ab-schweben gewesen, das mittlerweile die ganze Klasse beherrschte.
"Was glaubst du will sie uns zeigen?", fragte ich Sammy aufgeregt, die seit der ersten Stunde meine Arbeitskollegin war und auch jetzt bereits neben mir stand.
"Keine Ahnung, aber ich glaube nicht, dass es besonders schwer wird.", gab sie zurück, woraufhin ich verächtlich schnaube. Aus unserem Zimmer flog niemand so gut wie Sam, wahrscheinlich war sie sogar die Klassenbeste. Zwar wusste ich nicht, ob es Talent war, oder das viele Üben, aber es schien sehr wirksam zu sein.
Als Debbie, Flo und ich uns noch wie Idioten auf unser Bett fallen hatten lassen, um überhaupt in die Luft aufzusteigen, war Sammy bereits über unseren Köpfen geschwebt und hatte uns ausgelacht.
Sams Erfolge hatten mich motiviert selbst dann weiter zu üben, als ich meine blauen Flecken nicht mehr zählen konnte. Unser kleiner Konkurrenzkampf war definitiv einer der Gründe, weshalb ich den Flugunterricht so mochte. Deshalb war ich mir auch so sicher, dass Sammy gerade dasselbe wie ich fühlte, als Agatha schließlich aus dem Schulgebäude trat und sich vor uns aufbaute.
"Denken wir gerade beide dasselbe?", wisperte ich ihr verschwörerisch zu, woraufhin sie mit einem teuflischen Grinsen nickte:
"Herausforderung angenommen!"
Einen Meter über dem Boden schwebten an Agathas Seite mehrere Besen.
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Arcanum - die Akademie der Hexenkunst
FantasyAgatha Young sah mich nachdenklich an, dann blickte sie um sich und zog mich zu einem der Fenster. Mit einem Satz saß sie auf der Fensterbank und bedeutete mir es ihr gleichzutun. Also kauerte ich mich neben sie, woraufhin sich die Frau räusperte un...