Kapitel 55

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Ein metallischer Geruch lag in der Luft, als die Knospen aufbrachen und sich die Blütenblätter in rasender Geschwindigkeit entfalteten. Sie trieben auf dem gelben Stoff, breiteten sich immer weiter aus, bis sie auch auf dem weißen Museumsboden aufgingen. Schubartig florierten sie, selbst als der Puls langsam nachließ. 
Rote Rosen in voller Blüte. 
"Sie ist tot, Charlotte."
Warmes Blut auf meinen Händen. 

Mein Inneres verkrampfte sich, als ich begriff zu welchem Befehl Kyle gerade aufgerufen hatte. 
"NEIN!", entfuhr es mir und ich schnellte vor, doch da hatte sich Florence bereits von Jack the Ripper losgerissen. Sie stolperte zurück und blickte wild umher, während Evan ebenfalls aufgesprungen war. 

"Lasst ihn arbeiten!", rief Kyle scharf, doch seine Worte trafen auf taube Ohren. Ich rutschte auf dem glatten Fußboden aus und schlug hart auf, aber der plötzliche Schmerz in meinem Knie war irrelevant. Keuchend rappelte ich mich wieder auf und konnte gerade noch sehen, wie Flo immer weiter zurückgewichen war. Der Mann stand vor ihr, das blitzende Springmesser in der Hand. 
"GEH WEG VON IHR!", konnte ich Evan verzweifelt rufen hören, aber bevor ich wieder auf die Beine kam, schleuderte mich eine gewaltige Windböe zurück. 

Ich flog etwa drei Meter durch die Luft, bevor ich auf dem harten Boden landete. Sternchen tanzten vor meinen Augen, während ich verzweifelt röchelte und Blut schmeckte. Dieses Gefühl hatte ich zum letzten Mal mit sieben Jahren erlebt, als ich von der Schaukel gefallen war. Ich war wie ein Fisch an Land: ertrank, da mir der Aufprall sämtliche Luft aus den Lungen gepresst hatte. Mit aller Mühe versuchte ich zu atmen, doch selbst meinen Kopf zu heben stellte sich als schwer heraus.
Der einzige Grund, warum ich es trotzdem versuchte, war Flo. 
Der dumpfe Schmerz in meinem Rumpf und die Atemlosigkeit versuchte ich beiseite zu schieben, als ich mich langsam auf alle viere begab und aufrichtete. Übelkeit stieg in mir auf und mir wurde heiß, ich kämpfte mit der Bewusstlosigkeit.

Ich ignorierte die schwarzen Flecken vor meinen Augen, als ich endlich auf wackeligen Knien stand und mich umsehen konnte. Ich registrierte, dass Evan ebenfalls ein paar Meter von mir entfernt auf dem Boden aufgekommen war, Kyle musste uns beide weggeschleudert haben. 
"CHARLIE!", hörte ich ein Kreischen, woraufhin ich den Kopf herum riss. 
Florence hatte den Raum durchquert und stand nun neben der Eintrittskasse, sie hielt eine Schere in den zitternden Händen. Mit dem Tresen hatte sie versucht Raum zwischen sich und ihren Verfolger zu bringen, doch der kam unbeirrt weiter auf sie zu. 
"B-bleib st-st-st-stehen, d-du w-w-wi-derliche G-g-g-göre!", stotterte er, während ich verzweifelt auf die beiden zu rannte. 
Ich hatte nur noch ein dumpfes Gefühl in den Beinen und absolut keine Ahnung was ich nun tun sollte. 

Doch bevor ich die Kasse überhaupt erreicht hatte, wurde ich beinahe von einer Tür erschlagen, die aus dem Nichts neben mir aufknallte. Es musste der Eingang zu einem der Museumsklos gewesen sein. 
"unda!", hörte ich es atemlos neben mir murmeln, dann ertönte eine Explosion und ein lautes Zischen. Es waren die Geräusche von geplatzten Wasserleitungen. 

Ich stolperte zur Seite, während sich Evan langsam neben mir in Flos Richtung wandte. Er hielt seinen Zauberstab in der Hand und sein Gesicht war mit Blut verschmiert, das unaufhörlich aus seiner Nase zu strömen schien. Doch seine braunen Augen blickten wild entschlossen drein, als er das Wasser, das aus dem gesprengten Waschbecken und der zerstörten Kloschüssel quoll, dirigierte. 

Es flutete den Boden und ich nahm wahr, dass meine Schuhe völlig durchnässt waren, während sich kleine Bäche um Jack the Rippers Schuhe bildeten.
"Lass sie in Ruhe!", keuchte Evan, doch die dunkle Gestalt ließ sich nicht ablenken.
"Jetzt dreh' dich schon um!", brüllte ich verzweifelt und griff nach dem nächsten Gegenstand, der in meiner Nähe lag: 
Ein Bilderband über das Museum. 
Ich schleuderte ihn in die Richtung des Mörders und erzielte einen Volltreffer, das Buch knallte gegen seinen Rücken. Aber nicht einmal das konnte seine Aufmerksamkeit auf uns lenken.
"Was stimmt nicht mit ihm?", keuchte ich, woraufhin ein hallendes, lautes Lachen ertönte:
"Er macht, was ich ihm sage. Er hat keine Angst! Der gute, alte Jack ist nur hier um seinen Auftrag auszuführen."
Es war eindeutig Kyles Stimme, doch als ich mich erschrocken umsah, war er nicht mehr zu sehen.
"WO BIST DU?", brüllte ich, aber er meldete sich kein weiteres Mal. Trotzdem war ich mir sicher, dass er noch hier sein musste.
"WO...?", begann ich erneut, doch ich wurde von einem lauten Krachen unterbrochen. 

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