Kapitel 27

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"Guten Morgen, allerseits!
Wie ich bereits angekündigt habe, gehen wir heute eine weitere Lektion des Flugunterrichts an!
Das Schweben war nämlich nur eine Vorbereitung für das richtige Fliegen, das ihr mit einem Besen angehen werdet.", verkündete Agatha und wies uns mit einem Winken an näher zu treten.
Aufgeregt beobachtete ich, wie sich die Besen verselbstständigten und mit viel Schwung zu jeweils einem der Schüler flogen.
Auch vor mir hing einer von ihnen in der Luft und schien auf weitere Anweisungen zu warten.
"Nur zu, ihr könnt die Besen in die Hand nehmen. Ihr werdet sie ohnehin gleich benötigen!", wies uns Agatha aufmunternd an, woraufhin ich zögerlich meine Hand danach ausstreckte.

Der Besenstiel war aus dunklem Holz und fühlte sich sehr glatt poliert an, ein wenig so, als ob er schon durch die Hände vieler Schülergenerationen gegangen war. Doch offenbar hatte sich der Stiel nicht immer so ebenmäßig angefühlt, denn ich konnte überall auf der Oberfläche abgegriffene Schnitzereien erkennen.
An manchen Stellen waren sie nur noch zu erahnen, doch teilweise zeichneten sich ganz deutlich Muster und Abbildungen ab. Neugierig strich ich mit dem Daumen über das Holz und untersuchte dann die gestutzten Reisig-Zweige, die am Ende des Besens befestigt waren.
Gerade als ich Sam fragen wollte, ob ich mir ihren ebenfalls ansehen durfte, erhob Agatha wieder die Stimme:

"Bevor wir mit der Praxis beginnen, widmen wir uns der Theorie. Das Phänomen des Fliegens wird unter uns Veneficas und Veneficus als Trivolatus bezeichnet.
Sie erhalten doch alle Lateinunterricht bei Professor Finch! Kann mir also jemand erklären, was das heißt?"
Ich runzelte die Stirn und sah nach links zu Sammy, doch ihr Gesicht sah so verwirrt aus, wie ich mich fühlte. Was Tri bedeutete, das wusste ich, doch mit dem Rest des Wortes konnte ich nichts anfangen. Dafür waren Dylans und Elizabeths Hände sofort in die Höhe geschossen, was mich nicht im geringsten wunderte.
"Ja bitte, Miss Simmons?"
Elizabeths Stimme klang so selbstgefällig wie sonst auch, als sie mit einem Hüsteln antwortete:
"Ich gehe davon aus, dass sich volatus von dem Verb volare ableitet. Vermutlich heißt es Flug, nicht wahr? Und die Vorsilbe Tri bedeutet Drei."
Agatha nickte anerkennend, während Dylan enttäuscht seine Hand wieder sinken ließ. Ich hingegen musste mir trotz meiner Abneigung gegen Elizabeth eingestehen, dass das ziemlich beeindruckend gewesen war.

Dann fuhr die Professorin weiter fort:
"Es handelt sich deshalb um den Dreiflug, da insgesamt drei Kräfte mit einspielen, um Fliegen zu können. Eine davon haben wir bereits kennengelernt. Weiß jemand, welche Kraft ich meine?"
Ein leises "Hä?" ertönte aus Sammys Richtung, während ich fieberhaft nachdachte. Konnte es vielleicht sein, dass...
Zögerlich erhob ich meine Hand:
"Meinen Sie etwa den Selbsterhaltungsschutz, Professor?"
Agatha lächelte und nickte:
"Ganz richtig, das ist eine der Kräfte. Die zweite Kraft halten Sie bereits in ihren Händen, es handelt sich nämlich um die Besen. Man hat sie speziell für das Fliegen angefertigt, wie ihr euch wahrscheinlich schon denken könnt, ist Magie im Spiel. Um genau zu sein ist es die Elementbeherrschung, was genau dort passiert, wird euch Professor Graham erklären.
Jede Venefica und jeder Veneficus fertigt sich irgendwann selbst ein Steuer an, doch es ist ein komplizierter und mühsamer Prozess, der euch vorerst erspart bleibt."
Mit gerunzelter Stirn meldete sich nun Flo:
"Sie reden von einem Steuer, heißt das also, dass es nicht zwangsläufig ein Besen sein muss?"
Sofort erhellte sich Agathas Blick und sie nickte heftig:
"Ganz richtig, da haben Sie gut aufgepasst!
Der Besen ist perfekt für Anfänger, doch danach ist das Flugsteuer der meisten Magischen etwas individueller gestaltet."
Unwillkürlich musste ich daran denken, wie Agatha bei unserer ersten Begegnung mit dem dunkelblauen Rüschenschirm aus dem Schulfenster geschwebt war. 
"Es wird eine Weile dauern, bis ihr sicher fliegen könnt.", fuhr sie nun fort, "Doch jede Hexe und jeder Zauberer trägt die Fähigkeit in sich, selbst euer Körper ist darauf ausgelegt.
Im Gegensatz zu normalen Sterblichen könnt ihr euch in unglaublichen Höhen aufhalten und der Gegenwind ist selbst bei enormen Geschwindigkeiten ungefährlich, dasselbe gilt für die Temperaturen dort oben! Doch seid gewarnt, es braucht eure Kräfte und den Besen! Sie sind von einander abhängig. Ein normaler Mensch könnte niemals mit einem magisch angefertigten Besen fliegen, genauso wenig wie ihr mit einem gewöhnlichen Kehrbesen!"

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