Kapitel 19

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"Wir brauchen nur noch drei von den Kerzen, dann haben wir alle Materialen zusammen!", informierte mich Flo leise, während wir den Innenhof der Akademie überquerten und uns unseren bereits wartenden Mitschülern anschlossen. Hier trafen wir uns immer mit Agatha zur Flugstunde, doch heute schien sie sich zu verspäten.
"Soll ich die mitgehen lassen? Das letzte Mal war James dran und den hätte die Rosenberg fast erwischt. Seitdem lässt sie ihn nicht mehr aus den Augen!", flüsterte ich zurück, woraufhin Florence zustimmend nickte.

Sie war es gewesen, die sich der Organisation der Beschwörung angenommen hatte, wofür ich ihr unglaublich dankbar war. Fein säuberlich hatte sie die Anleitung aus dem Buch in der Bibliothek abgeschrieben und eine Liste mit den Materialien, die wir benötigten, angefertigt. Wann immer wir also über die vergangene Woche etwas aus dem Beschwörungsunterricht hatten mitgehen lassen, setzte sie einen kleinen Haken hinter ihre Liste und behielt so alles im Überblick.

Heute war Freitag, und da wir morgen keine weiteren Verpflichtungen hatten, war es der perfekte Abend für unser Vorhaben. Schon seit dem Frühstück hatte ich Magenflattern und war aufgeregt, doch die Tatsache, dass es den anderen auch so ging, erleichterte mich.

"Na Ladies, ist heute die Nacht der Nächte?", ertönte plötzlich eine Stimme von hinten und James drängte sich zwischen uns, die Arme um meine und Flos Schultern gelegt.
"Eine komische Bezeichnung für das, was wir vorhaben.", meinte ich und sah ihn zweifelnd an, während wir auf Sam und Debbie zusteuerten. Die beiden saßen nämlich auf den eisernen Stufen der Feuertreppe und schlugen die Zeit tot, bis der Unterricht begann.
"Redet ihr über heute Abend? Geht's endlich los?", fragte Sammy, als sie uns erblickte, woraufhin sich James lachend von uns löste und meinte:
"Das frag' ich mich auch schon die ganze Zeit, aber die beiden sagen nichts! Vielleicht haben Miss Florence und Miss Charlotte die Materialien im Internet vertickt und alles war nur Show!"
Leicht boxte ich ihm gegen den Arm und stritt alles ab:
"Red' keinen Schwachsinn, der Kram ist noch in unserem Zimmer! Wir brauchen nur drei von den Kerzen, dann kann es losgehen!"

"Geht's um heute Nacht? Ziehen wir es durch?", fragte Evan, der mit Jake und Dylan um die Ecke geschlendert kam. Doch bevor ich antworten konnte, wurde ich von Flo zum Schweigen gebracht:
"Wenn du jetzt nicht aufhörst, überall rumzubrüllen, dass wir für heute etwas geplant haben, dann kannst du Agatha genauso gut alles erzählen!", zischte sie mir zu, woraufhin ich augenblicklich die Klappe hielt, "Und ja, heute wird die...- Hey, belauschst du uns etwa?"
Beinahe wäre ich von der Stufe gekippt, auf der ich Platz genommen hatte.

Die letzten Worte hatten Elizabeth gegolten, die nur wenige Meter von uns entfernt stand und deren Blick auf unserer Gruppe ruhte. Nun grinste sie selbstgefällig hinter ihrem Pony hervor, verschränkte die Arme und machte ein paar Schritte auf uns zu:
"Ich weiß nicht, was ihr vorhabt, aber es ist sicher gegen die Schulregeln! Dort steht nämlich ganz genau geschrieben, was man darf und was nicht, also-..."
"Scheiß auf die Regeln, an die hält sich doch ohnehin niemand!", fuhr ihr Jake grob über den Mund, woraufhin sie ihren Mund so zusammenkniff, wie es immer Professor Blackwood tat, und puterrot anlief:
"Regeln sind da, um sie einzuhalten! Wenn ich also mitbekomme, dass ihr etwas tut, was ihr nicht dürft, erzähle ich alles Professor Graham!"
"Aber Lizzie, so genau muss man es doch nicht immer nehmen.", versuchte Dylan sie zu beschwichtigen, was sie jedoch nur wütender machte:
"Doch, man muss! Gerade von dir, Dylan, hätte ich etwas anderes erwartet!"
"Wir haben nichts vor, Elizabeth. Das einzige, was wir heute noch machen, ist zusammen zu lernen. Ich glaube, dass du dir einfach etwas einbildest.", sagte Evan beiläufig und mir ruhiger Stimme, woraufhin ihm Flo beipflichtete:
"Kann es sein, dass du dich ein wenig überarbeitest? Du investierst immer so viel Zeit ins Lernen, vielleicht tut dir das nicht gut."
Daraufhin schnappte Elizabeth nach Luft und sah zorniger den je aus:
"Ich bilde mir nichts ein und ich bin auch nicht verrückt! Ich weiß, dass ihr etwas vorhabt und ich werde auch rausfinden was!"

"Gibt es hier irgendein Problem?", ertönte plötzlich die Stimme von Agatha, die wie aus dem Nichts hinter uns auf der Treppe aufgetaucht war.
"Nein, alles bestens.", meinte James trocken, woraufhin wir ihr Platz machten und sie mit prüfendem Blick an uns vorbei zu den restlichen Schülern spazierte.
"Ich werde euch schon noch drankriegen!", zischte Elizabeth, bevor sie ihre langen Haare über die Schulter warf und zu ihren Zimmergenossinnen stolzierte.
"Na, das wird ein Spaß heute, wenn sie es sich zur Mission gemacht hat, uns zu verpetzen.", stellte ich fest, woraufhin Flo mich besorgt ansah:
"Meinst du, dass du das mit den Kerzen hinbekommst, wenn sie dir die ganze Zeit über die Schulter schaut? Es kann sonst sicher auch jemand anderes...-"
"Nein, keine Sorge. Ich schaffe das schon.", erwiderte ich düster.

Die Flugstunde ging etwas schleppend vorbei, denn so langsam war uns allen das Auf- und Absteigen in der Luft in Fleisch und Blut übergegangen. Obwohl es mir sehr viel Spaß machte, konnte ich es nicht erwarten, dass wir endlich etwas Neues lernen würden.
Doch trotzdem hätte ich kein Problem damit gehabt, wenn die Stunde noch ein wenig länger angedauert hätte, als Nächstes stand nämlich Beschwörungen an.

"Du kriegst das schon hin, mach dir einfach keinen Druck und guck nicht allzu schuldbewusst.", murmelte mir James zu, während wir in das Klassenzimmer strömten. Nervös grinsend lachte ich auf, dann steuerte ich auf meinen Platz neben Elizabeth zu. Sie saß bereits auf ihrem Stuhl und holte ihr Buch hervor, das sie aufgeschlagen vor mir auf den Tisch knallte.
"Dann zeig mal her.", meinte ich betont versöhnlich und deutete auf die Seiten vor ihr.
"Schau dir die Anleitung an, ich gehe die Materialien holen.", antwortete Elizabeth und sah mich durchdringend an, bevor sie Anstalten machte aufzustehen.
"Ist schon in Ordnung, ich geh für dich zum Vorratsschrank.", erklärte ich und stand ebenfalls auf.
"Nein, machst du nicht.", ihre Stimme bebte vor Nachdruck, "Los, schau nach! Was wird alles benötigt?"
Meine Nervosität war nun so weit angestiegen, dass meine Finger kalt wurden und leicht zitterten, als ich die Materialienliste durchging. Wenn ich die Kerzen besorgen wollte, dann hatte ich jetzt nur eine Möglichkeit: ich musste improvisieren.
"Du musst ein Stück Leinen holen, Streichhölzer, einen Klumpen Wachs, drei von den Messingkelchen, acht von den weißen Kerzen und einen silbernen Dolch.", wies ich Elizabeth an, woraufhin sie nickte und zum Materialschrank lief.
Verhalten beobachtete ich, wie sie die Sachen hervorkramte, in einen der Weidenkörbe legte und dann wieder zu mir kam.
"Hast du die Anleitung durchgelesen?", fragte sie genervt und wollte gerade das Buch zu sich ziehen, als ich es festhielt:
"Ich habe noch eine Sache vergessen, wir brauchen eine Mäusekralle. Heute sind kleine Säugetiere an der Reihe."
Schnaubend wollte sie erneut nach dem Schulbuch greifen, um meine Worte zu überprüfen, doch ich schüttelte bloß den Kopf:
"Los, beeil dich! Wir wollen nicht hinter den anderen zurückbleiben, oder?"
Kommentarlos lief sie wieder zum Vorratsschrank, als ich mich möglichst unauffällig umsah und mit einer schnellen Handbewegung drei der Kerzen in meine Tasche gleiten ließ.

Als Elizabeth zurückkehrte, hatte ich mich bereits daran gemacht, das Leinen auszubreiten und die verbliebenen Kerzen aufzustellen. Irritiert sah sie auf meine Arbeit hinab:
"Wo sind die anderen Kerzen hin?"
Verwirrt runzelte ich die Stirn:
"Welche denn? Hier waren die ganze Zeit über nur fünf! Wir brauchen auch gar nicht mehr."
"Aber...! Du hast doch gesagt, dass ich acht Kerzen holen soll!"
Elizabeths Stimme hatte sofort einen hysterischen Tonfall angenommen, woraufhin sich Flo und Erika, die am Nebentisch arbeiteten, zu uns umdrehten.
"Acht Kerzen? Elizabeth, du musst was falsch verstanden haben.", meinte Erika und Florence hielt ihr Buch in die Höhe:
"Hier steht, dass wir nur fünf Kerzen brauchen."
"Was hast du mit den anderen gemacht?!", fuhr sie mich an, woraufhin ich ein wenig vor ihr zurückwich:
"Was zur Hölle soll ich denn mit Kerzen machen? Spinnst du?"
"Verkauf' mich nicht für dumm, du hast von acht Kerzen geredet!", keifte Elizabeth zurück, was die Aufmerksamkeit der gesamten Klasse und Madame Rosenbergs erweckte.
"Kann ich irgendwie helfen?", fragte die Professorin und sah uns so bohrend an, dass ich es niemals wagen würde, wirklich nach Hilfe zu fragen.
"Ja! Charlotte sabotiert unser Projekt, indem sie mir Falschinformationen gibt!", rief Elizabeth und sah Rosenberg hilfesuchend an.
"Das klingt mir doch recht unwahrscheinlich, Miss Simmons, immerhin erhalten Sie beide dieselbe Note für ihre Arbeit!", antwortete diese jedoch bloß, worauf sich Jake zu Wort meldete:
"Vielleicht ist Elizabeth einfach ein bisschen durch den Wind und sollte sich abseits vom Unterricht beruhigen."
"Lizzie, ist wirklich alles in Ordnung?", fragte Clover, dann wandte sie sich an die Rosenberg:
"Ich könnte sie auf unser Zimmer begleiten, wäre das in Ordnung, Professor?"
Sie sah besorgt von Elizabeth zur Lehrerin, nachdem sie Jake ein strahlendes Lächeln zugeworfen hatte.
Die Lehrerin warf noch einen letzten Blick auf meine Partnerin, die jedoch mit ihrem wutroten Gesicht und der Schnappatmung wirklich nicht besonders gesund aussah.
"Ja, ich halte es für das Beste! Erholen sie sich erst einmal, Miss Simmons."
Damit war die Diskussion beendet und Clover geleitete die immer noch tobende Elizabeth aus dem Zimmer, während Jake den beiden mit einem Grinsen hinterher sah.
Dabei spürte ich, obwohl die ganze Aktion doch noch eine gute Wendung genommen hatte, einen leichten Stich. Es fühlte sich verdächtig wie das Gefühl an, das ich gehabt hatte, als Jake und James mit den beiden ins Kino gegangen war.
Doch diesem Problem konnte ich mich gerade wirklich nicht widmen, denn anstatt Elizabeth zu beschwichtigen, hatten wir sie nur noch wütender gemacht.
Besorgt sah ich zu Flo hinüber, die scheinbar dasselbe dachte.
Würde uns das alles noch zum Verhängnis werden?




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