17. Hass und Wut

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Rot sagte zu Wolf sie gehe in das Tal der beseelten Bäume. Jetzt war also ihre Mutter da, oder nein. Thuna. Wie sollte sie nur mit ihr reden? Das letzte mal, als sie ihrer Mutter geredet hatte, war sie fünf gewesen. Und auch das war ein Streit gewesen.

Ich hasse dich!". schrie die fünfjährige Rot. Sie stand vor ihrer Mutter in einer der höchsten Bäume des Waldes.

Beruhig dich, Rosalie!", beruhigte Thuna sie.

NENN MICH NICHT RO- SA - LIE!!", in Rot brodelte es nur vor Zorn. Diesmal konnte sie sich nicht zurückhalten. Aller Zorn schoss aus ihr heraus und der Baum explodierte. Rot sauste durch die Luft und Thuna hinterher. Hasserfüllt blickte sie in die Augen ihrer Mutter. Diese blickte schockiert zurück. Rot schaute an sich herunter und bemerkte, dass sie nicht mehr blau, sondern schwarz leuchtete. „Cool!", dachte sie.

Der Boden kam immer näher, deshalb ließ sie sich von einem Baum auffangen und kletterte schnell nach unten. Unten angekommen sprintete sie weg. Nie wieder würde sie zurückkehren. Sie rannte Stunden, doch wurde nicht müde. Bäume in unterschiedlichen Größen, Formen und Farben zogen an ihr vorbei und langsam langsam ging die Sonne unter. Es wurde immer dunkler. Bald konnte Rot nicht mal mehr ihre Hand vor Augen sehen. Dennoch rannte sie weiter. Plötzlich stieß ihr Fuß gegen etwas und sie fiel auf die Nase. Sie spürte Staub in ihrem Mund und spuckte ihn aus. Ihr Knie schmerzte. Unter Schmerzen robbte sie zur Seite und schlief auch sofort ein. Sie schlief tief und fest und hätte noch Tage lang schlafen können, wenn sie nicht von einem Geheul geweckt worden wäre. Rot schreckte hoch, doch um sie herum war es stockdunkel. Rot krabbelte in die Richtung, in der sie dachte, dass dort das Gebüsch war. Doch sie stieß nur mit dem Kopf gegen einen Stamm. „Au!", Rot schrie auf und bettete ihren Kopf auf ihre Hände, doch sie konnte nicht einschlafen. Sie hatte Hunger und Durst und ihr tat alles weh, aber sie würde nicht nach Hause zurückkehren. Niemals! Mit diesen Gedanke schlief sie dann doch noch ein. Als sie ihre Augen sich wieder öffneten, blendete sie das Sonnenlicht, das durch die Blätter fiel. Sie saß unter einem der kleinsten Bäume auf einem Mooskissen. Sie überlegte, worüber sie gestern gestolpert war. Es war eine Wurzel von einem großen Baum gewesen. Sie wollte dort hin rennen, doch ihr Fuß schmerzte. Außerdem hatte sie Hunger. Wie konnte sie sich Essen beschaffen? Oder vor allem Wasser? Humpelnd ging sie zu dem großen Baum hin und kletterte hinauf. Das konnte sie gut: klettern. Schon als Dreijährige war sie wie ein Affe hoch geklettert und hatte sich zum nächsten Baum gehangelt. Das tat sie jetzt auch. Sie nahm einen Ast und hing sich daran. Jetzt nur noch Schaukeln.

Juhu!", sie stieß einen Freudenschrei aus, als sie hin und her schwang. Sie hätte ewig weiter schwingen können, hätte der Hunger sie nicht geplagt.

Ich hab so Hunger!", stöhnte sie. Auch ihr Mund fühlte sich trocken an. Sie musste sich Wasser und Essen suchen! Bestimmt hingen an ein paar Bäumen saftige Früchte! Fröhlich hangelte sie sich weiter. Und da! In der Ferne sah sie einen Baum mit gelben Kugeln. Das mussten Früchte sein. Schnell hangelte sie weiter, doch der Baum wollte nicht näher kommen. Erschöpft setzte sie sich auf einen dicken Ast. Und wie durch ein Wunder tauchten gelbe, saftige Früchte am Ast auf. Freudig biss Rot hinein. Voll gestärkt hangelte sie weiter. Jetzt brauchte sie nur noch Wasser.Die Sonne brannte auf ihren Schultern und ihr Nacken war klitschnass vom Schweiß, da ihre langen roten Haare ihr über den Rücken fielen, doch sie hangelte sich weiter und da! Ein anderer Baum mit gelben Früchten! Sie ließ sich auf einen Ast fallen und schaute nach unten. Dort lag ein kleiner, wunderschöner See und um ihn herum eine süß duftende Blumenwiese, auf der anderen Seite des Sees war eine Höhle. Rot sprang herunter in den See, schwamm auf die Höhle zu und kletterte hinein. Sie schaute sich die kleine Lichtung von der Höhle aus nochmal an. Es gab genug zu essen, sauberes Wasser und einen Unterschlupf. Rot bereitete sich ihren Unterschlupf vor und baute sich mit Moos ein Bett. Als sie damit fertig war zog sie ihre Kleidung aus und sprang noch einmal in den See, um das Unterwasseratmen auszuprobieren. Sie tauchte unter und staunte wie schon oft an diesem Tag. Unter Wasser war es wunderschön. Überall schwammen Fische in den unterschiedlichsten Formen und Farben herum. Sie tauchte tiefer und neben ihr tauchte plötzlich ein Fischjunge auf. Er war nach Schätzung so alt wie sie und er hatte eine grün schillernde Schwanzflosse. Der Junge lächelte freundlich und winkte sie mit sich. Da Rot nicht wusste was sie sonst machen sollte, folgte sie ihm und die zwei gelangten zu einem etwas weniger beschäftigten Ort. „Hallo, ich heiße Victor, wie heißt du?", fragte er. „Ich bin...Rot", antwortete Rot. „Du bist eine Fee stimmt's? Aber wieso bist du hier? Die Feen kommen nie hier her."

Rot erzählte ihm ihre ganze Geschichte: Wie ihre Mutter nicht akzeptiert hatte, dass sie anders war. Victor hörte ihr zu und tröstete sie. Rot war froh außer ihrem Vater jemandem zum Reden zu haben. Sie hatte in Victor einen Freund gefunden. Täglich spielte sie mit ihm im Wasser und wenn sie Hunger hatte füllte sie ihren Magen mit den goldenen Früchten vom Baum. Nachts schlief sie in der Höhle. Fast zwei Jahre lebte sie dieses glückliche Leben, bis Victor sie überredete zu ihren Eltern zurückzukehren, doch als sie nach Hause kam sah sie, dass ihre Abwesenheit anscheinend niemand kümmerte. Bevor irgendwer sie sehen konnte rannte sie zurück zum See. So ging das noch ein paar Jahre weiter, aber irgendwann schloss sich Rot einer Reisegruppe nach Amuylett an, da sie die andere Welt sehen wollte.

Aber jetzt vermisste Rot Victor. Sie hatte mit ihm immer über alles reden können, er war ein guter Freund gewesen. Irgendwann würde sie zurückgehen ,um ihn zu besuchen.

Die Magie der Niemandsländer- Dämmerlicht und SumpfgeflüsterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt