Kapitel 18

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„Du Miststück! Was ist bloß los mit dir?"
Ich blinzelte. Ich saß nicht mehr länger auf dem Boden, ich stand, Leon vor mir mit einem hochroten Kopf. Auf dem Wohnzimmerteppich lagen zwei leere Weinflaschen. Zwei Angebrochene daneben. Eine rot und eine weiß. Die Rotweinflasche war umgekippt und der Inhalt hatte sich auf dem Boden ausgebreitet.
„Ich habe wirklich keinen Bock mehr auf diese Scheiße hier. Auf deine Scheiße!"
Er kam einen Schritt auf mich zu.
„Leon ...", meine Stimme zitterte. Ich wich vor ihm zurück.
„Leon, was ist los?", fragte ich erneut.
„Leon, was ist los" imitierte er mich spöttisch.
Sein Gesicht schien voller Hass. Er hob seine Hände und fuhr durch sein Haar. Er atmete tief ein und aus, so als müsste er sich beruhigen.
„Lass uns doch reden. Ich liebe dich."
Anstatt, dass es ihn beschwichtigte, schien ihn das noch mehr in Range zu versetzen.
„Du liebst mich?", er lachte spöttisch auf, „Du liebst mich? Das ist ja eine ganz tolle Liebe!"
Fassungslos sah ich ihn an. Der Abend war so schön gewesen, was hatte so seine Laune verdorben? Und warum war er schon wieder so erbost? Leons Emotionen änderten sich von jetzt auf gleich.
„Du ... du bist ein riesengroßer Fehler, den ich begangen habe. Nie hätte ich dich ansprechen dürfen."
„Ich ... Ich" krächzte ich, bevor Leon mich unterbrach.
„Jetzt hat es dir wohl die Sprache verschlagen? Die süße kleine Anna. Ha!"
Leon lachte.
„Ich ...", ich setzte ein weiteres Mal an. Aber die Worte, die ich sagen wollte, kamen nicht heraus. Was wollte ich überhaupt sagen? Ich wusste, würde ich nur ein weiteres Wort aussprechen, würde ich in Tränen ausbrechen. Wie konnte der Abend von einem wunderschönen Traum zu einem Alptraum werden?
Meine Beine zitterten unter mir, die Wände drehten sich, ich schluckte die Tränen herunter. Wollte rennen, doch ich konnte mich nicht bewegen, war wie erstarrt. Sein Gesicht war rot angelaufen, er schritt auf mich zu und blickte mit zusammengekniffenen Augen auf mich herab. Ich zuckte zusammen – in diesem Moment dachte ich, er würde mit der Hand ausholen, doch er, er drehte sich ruckartig um und lief im Wohnzimmer auf und ab.
„Bitte, lass uns reden. Was ist los?"
Ich fand endlich meine Sprache wieder. Auch wenn die Worte zittrig und kaum hörbar herauskamen. Er reagierte nicht, schien mich nicht mehr wahrzunehmen. Ich schluckte und schmeckte Metall – Blut. Meine Hände waren eiskalt und jeden Moment drohten die Beine unter mir nachzugeben. Doch ich nahm all meine Kraft zusammen und ging vorsichtig auf ihn zu. Hob die Hand, wollte ihn berühren, ihn besänftigen, ihn aus seinem Wahn erwecken.
Auf einmal spürte ich seine Finger an meiner Kehle. Dann drückte er zu. Ich schnappte nach Luft, war wie gelähmt. „Bitte-", presste ich hervor, als das Wohnzimmer vor mir verschwamm und Punkte vor meinen Augen tanzten. Ich musste kämpfen, das konnte nicht das Ende sein. Ich griff nach seinen Fingern, zerrte an ihnen. Sie bewegten sich keinen Millimeter.
„Ich krieg kei-"
Die letzten Worte gingen in einem Husten unter. Um mich herum nur noch tanzende Punkte.
Und dann wurde alles schwarz.

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