Kapitel 19

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Leon

(ab hier wechselt die Sichtweise zu Leon, auch in den weiteren Kapiteln)

Anna krächzte, meine Hände umschlossen vollständig ihren Hals. Ihr Gesicht war rot angelaufen, ihre Augen weit aufgerissen. Sie hatte aufgehört nach Luft zu schnappen.
Ich ließ sie los und sie sackte am Boden zusammen. Fuck. Was hatte ich getan? Oh mein Gott. Ich war ein Monster. Wie konnte ich das tun?
„Anna?", fragte ich vorsichtig.
Sie hustete, blieb am Boden liegen, reagierte nicht.
„Anna?", ich kniete mich zu ihr und berührte sie am Arm. Sie schlug die Hand weg.
„Anna ... es ... es tut mir leid. Du hast-."
Ich verstummte. Egal, was sie gesagt hatte, nichts rechtfertigte meine Reaktion.
„Anna, es tut mir leid. Kannst du aufstehen?"
Vorsichtig griff ich wieder nach ihr, dieses Mal schlug sie die Hand nicht mehr weg, reagierte nicht auf die Berührung. Sie stützte sich am Boden und stand auf. Ohne ein weiteres Wort und unsicher auf den Beinen lief sie ins Schlafzimmer, ihre sonst federleichten Schritte waren schwerfällig. Ich blieb sitzen. Scheiße. Was war mit mir los? Ich schloss die Augen, atmete tief durch. Scheiße, scheiße, scheiße. Dann folgte ich ihr – sie lag im Bett, nur noch ihr Nachtlicht leuchtete.
„Anna?"
Nach wie vor keine Reaktion. Verdammt. Die Luft war so stickig hier drin, ich konnte nicht atmen. Als wäre ich derjenige, der gewürgt wurde. Ich stolperte durch das Haus, riss die Haustür auf, schnappte nach Luft. Tief durchatmen, Leon. Draußen ließ ich mich an der Außenwand hinuntergleiten und blieb auf dem Boden sitzen. Die Grillen zirpten, in der Ferne war eine Eule zu hören. Es schien so normal. Keine Anzeichen von dem, was gerade vorgefallen war. Ich musste mich zusammenreißen, dieses Verhalten gehörte nicht zu dem Menschen, der ich war.
Das würde ich wieder gut machen. Ich musste es wieder gut machen.

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Als ich meine Augen öffnete, streckte Anna sich mir entgegen. Sie war noch da – zum Glück. Wie konnte es mir passieren, dass ich so die Fassung verlor? Die Frau machte mich wahnsinnig.
Leise zog ich meine Decke zur Seite, setzte mich langsam auf. Das Holzbett knarzte ein wenig. Anna murmelte vor sich hin, seufzte und drehte sich. Ich stand auf und schlich ins Badezimmer, um unter die Dusche zu springen. Kopfschmerzen kündigten sich an und ich hatte das Gefühl, alles wäre langsamer. Verdammter Alkohol. Nach der Dusche warf ich erst einmal eine Schmerztablette ein, schnappte mir das Angelequipment und ging zum Auto. Die frische Luft und der Weiher würden mir guttun, ich musste meine Gedanken sortieren. Wir machten uns gegenseitig kaputt. Manche Menschen ergänzten sich und halfen dem anderen, die beste Version ihrer selbst zu werden. Bei uns war das Gegenteil der Fall. Wir holten die schlimmsten Versionen unserer selbst zum Vorschein.
Ich öffnete das Tor, stieg ins Auto und fuhr los. Einfach raus hier, weg von dem Menschen, der ich gestern gewesen war. Ich hatte sie gewürgt. Sie gewürgt! Es hatte mich eine enorme Willenskraft gekostet, loszulassen. Was war mit mir passiert?
Am Weiher angekommen, stellte ich mein Equipment auf und fuhr die Angel aus. Hier war die Welt noch in Ordnung. Möglicherweise konnten wir es ja doch geradebiegen. Vielleicht konnte ich es geradebiegen. Ich wollte nicht der Böse sein, der aus dieser Geschichte hervorging.Und dann noch dieser Falk. Ich habe genau gesehen, wie er sie angesehen hat. Das war nicht einmal das schlimmste – viele Männer starrten Anna so an. Ich konnte es ihnen nicht verübeln, sie war wunderschön mit ihrem hellblondem Haar und den himmelblauen Augen. Und dieses Engelsgesicht. Eine Frau, die man gerne beschützte. Gerne der Mann war, der sie in die Arme nahm und für sie da war. Sie gab einem oft das Gefühl, der Held in ihrem Leben zu sein.Aber dann kam Falk und sie schaute ihn genauso an, wie sie mich am Anfang angesehen hatte. Meine Hand ballte sich zu einer Faust. Sie war so verlegen bei ihm, wurde rot. Sie war nicht so der sexuelle Mensch. Wie damals hier am Weiher: Ich hatte etwas Neues ausprobieren wollen, es war der perfekte Ort, weit und breit keine Menschenseele. Und sie? Sie war komplett ausgerastet, als würde ich sie zu etwas zwingen wollen. Sie hätte mir doch sagen können, dass sie nicht wollte. In dem Moment konnte man überhaupt nicht mehr mit ihr reden, als wäre bei ihr ein Schalter umgelegt worden. Und dann tat sie auch noch so, als sei sie das Opfer gewesen. Weil ich versucht hatte, etwas Stimmung in unsere Beziehung zu bringen. Und Falk? Der kam her und sie wurde direkt verlegen? Irgendetwas stimmte mit dem Mann nicht. Mir gefiel es nicht, dass er Anna damals allein angetroffen hatte. War da etwas zwischen den beiden gelaufen? Wie gut kannte ich Anna überhaupt? War sie treu? Wie heißt es denn so schön? Stille Wasser sind tief? Schließlich hatte ich weder Freunde noch Familie von ihr kennengelernt und Fragen aus der Vergangenheit wich sie gerne aus. Okay, eine Freundin von ihr kannte ich – Sophie. Aber all das war erst einmal egal. Zunächst musste ich die Wogen zwischen uns glätten. Wir waren noch eine Woche hier – genug Zeit, um den Urlaub zu retten. Mit meiner gestrigen Aktion konnte ich froh sein, dass sie nicht direkt gefahren war. Egal wie anstrengend sie sein konnte, egal wie provokant und fast bösartig sie sein konnte, nichts konnte das rechtfertigen, was ich getan hatte. Ich hatte rotgesehen, hatte mich nicht mehr kontrollieren können. Das, was ich getan hatte, war unverzeihlich. Ich hoffte, sie würde es mir trotzdem verzeihen.

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