Sie war mein Schutzengel

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Ich war wieder in der weißen Leere gefangen, doch dieses Mal war es anders. Ich fing an sie zu akzeptieren. Normalerweise fühlte ich mich unwohl oder wollte hier nicht sein, aber heute war sie mir ein willkommener Zufluchtsort.

Obwohl ich schlief, war ich müde. Wenig elegant fiel ich auf meine Knie und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Ich wollte nur noch hier belieben, für den Rest meines Lebens, abseits von alldem da draußen, in Ruhe und allein. In dem Moment erschien mir das als der richtigste Weg.

Plötzlich berührte mich eine sanfte Hand an der Schulter. Erschrocken hob ich den Kopf und schaute in liebevolle Augen. Ich kannte sie und war froh über die Gesellschaft der blauen Frau.

Ohne etwas von mir zu erwarten, zog sie mich in eine Umarmung. Erst erwiderte ich sie nicht und war zu überrumpelt, aber dann schloss ich meine Arme um sie und genoss die Nähe. Ich hatte gedacht, dass alle meine Tränen schon versiegt wären und ich zu viele schon vergossen hätte, aber jetzt kamen sie alle wieder. Weinend schmiegte ich mich an sie und ließ alles raus. Die ganzen Ereignisse. Der Tod meiner Mutter, die Ermordung von Frigga, mein Vater in Ketten, das ich jeden anlügen musste wegen meinen Fähigkeiten, die schrecklichen Bilder aus New York, die furchtbaren Visionen, die den Untergang meiner Heimat prophezeiten, all das.

Ich verlor jegliches Zeitgefühl in ihren Armen und als meine Tränen erneut getrocknet waren und ich sicher, dass sie nicht so schnell wieder kommen würden, löste ich mich von der Frau. Erst jetzt bemerkte ich, wie sehr ich das gebraucht hatte. Ich musste und wollte mit niemandem reden, aber einfach zu wissen, dass jemand da war, reichte vollkommen. Sie war mein Schutzengel, wer immer sie auch sein mochte.

War es meine Schuld? Hätte ich es verhindern können?", fragte ich und erwartete eigentlich gar keine Antwort, doch ich musste diese Worte los werden. Die Schuldgefühle zerfraßen mich von innen heraus.

Liebes", begann die Frau und legte eine Hand an meine Wange. Sie lächelte immer noch liebevoll und aufmunternd.

Wenn das Schicksal will, dass etwas geschieht, dann findet es immer einen Weg, es passieren zu lassen. Niemand, nicht einmal jemand so besonderes wie du, kann es aufhalten. Das ist der Lauf der Dinge. Gib dir nicht die Schuld an etwas, was längst geschehen ist. Einen Schuldigen zu finden, wird dir nicht helfen. Der Tod lässt sich nicht austricksen, von niemandem und findet immer seine Ausgewählten", fügte sie behutsam hinzu.

Womöglich hatte sie Recht. Hätte ich Frigga vor den Dunkelelfen gerettet, wäre sie vermutlich anders ums Leben gekommen, aber wissen tun wir es nicht. Wie kann ich mir nicht die Schuld geben, wenn ich nicht weiß, ob es nicht doch meine war?

Ich sollte aufgeben. Für immer in dieser weißen Welt bleiben und nicht zurückkehren.

Sie hätte nicht gewollt, dass du aufgibst. Wäre ihr Tod dann nicht umsonst gewesen?", sagte die Frau als hätte sie meine Gedanken gelesen. Doch ich konnte sie nicht fragen, ob sie es wirklich getan hatte, denn das, was sie gesagt hat, ließ mich nachdenken.

Frigga hätte nicht gewollt, dass ich bei den Dunkelelfen sterbe. Sie hätte für mich gekämpft. Sie hat es schon getan, das war der einzige Grund, weshalb ich womöglich noch am Leben war. Ich durfte nicht aufgeben. Ich musste einen Weg hier raus finden und zu meiner Familie zurückkehren.

Nur wie sollte ich das anstellen?

Aber wie soll ich aus dem Raum heraus kommen?", fragte ich nach einiger Zeit. Für mich schien es unmöglich. Kein Weg führte nach draußen außer mithilfe des Schlüssels. Nur besaß ich diesen nicht und würde auch nicht an ihn heran kommen. Oder doch?

Daughter of a GodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt