10.Kapitel

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//Herbst//Emilia//

Im Herbst bekam ich endlich nochmal einen Auslandsauftrag. Es sollte ein Musikvideo werden, gedreht in Lissabon. Doch ich stellte erst nach Vertragsabschluss fest, dass das ganze einen Haken hatte - es sollte Wincents Video werden. Da ich nur ungern meinen ersten Auftrag absagen wollte, stimmte ich dem ganzen eher ungern zu, lies es mir jedoch nicht anmerken.
In meiner Wohnung angekommen packte ich meinen Koffer für die kommenden Tage.

//Lissabon//

Der Taxifahrer setzte mich an einem ziemlich zentral gelegenen Hotel ab. Vor dem Haupteingang stehend, kam ich kaum noch aus dem Staunen raus. Na klar - ich war schon in vielen Hotels, aber meistens nur für ein oder zwei Nächte, sodass ich von meinen Aufenthalten nie viel mitbekam. Doch diesmal war der Aufenthalt für eine Woche angesetzt und das Hotel ein 5-Sterne Luxusschuppen.

Im Zimmer - besser gesagt in der Suite - angekommen, empfing mich auf dem Schreibtisch ein riesiger Blumenstrauß roter Rosen. Darin versteckte sich ein Umschlag mit einem krakeligen "Mila" darauf. Ich wusste nicht, ob ich erst die Augen verdrehen oder erst lächeln sollte, da ich aufgrund der Schrift genau erkannte, von wem diese Blumen kamen.

"Mila es tut mir ehrlich leid, was passiert ist. Vielleicht können wir ja nochmal neu anfangen. Wenn du magst, ist für uns beide heute Abend um 19 Uhr ein Tisch im Restaurant eine Straße weiter reserviert. Ich hol' dich ab. W."

//Einige Stunden später ...//
Ganz in Ruhe machte ich mich für den Abend fertig. Ich stellte die Regenwalddusche an, ließ das heiße Wasser auf mich herab prasseln und versuchte mich zu entspannen. Zugegeben war ich doch schon ein wenig aufgeregt, was der Abend bringen würde. Irgendwann entschied ich, dass ich genug im Wasser geschrumpelt war und schlümpfte nach dem ich mich abgetrocknet hatte in mein schwarzes spitzenbesetztes Midikleid. Ich legte ein bisschen Make Up und einen Spritzer von meinem Lieblingsparfum auf, steckte meine Haare locker am Hinterkopf zusammen und zog zum Schluss meine Highheels an, mit denen ich fast so groß war wie Wincent.
Kurz darauf klopfte es schon sanft an meiner Zimmertür. Ich schnappte mir meine Zimmerkarte und eine Handtasche. Noch ein flüchtiger Blick in den Spiegel und ein tiefes Einatmen. Ich öffnete die Tür. Vor mir stand Wincent in einer beigen Chino, kombiniert mit einem weißen Shirt und einem lockeren schwarzen Jacket. Er sah verdammt heiß und sexy darin aus, aber das wollte ich ihn natürlich nicht direkt merken lassen, ich war ja eigentlich noch sauer auf ihn. Sein Blick verriet mir, dass er gerade genau das selbe von mir dachte, weshalb ich mir ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen konnte. "Hey", sagte ich zögerlicher als vorgehabt. "Hallo schöne Frau! Bereit für den Abend?" Mir wurde bewusst, dass ich eigentlich gar nicht länger auf ihn sauer sein könnte, dennoch wollte ich diese Situation heute Abend auskosten, quasi als kleine Racheaktion. Das musste Wincent ja noch nicht erfahren. "Sehr gerne!", antwortete ich ihm, während ich meine Hand ausstreckte, um mich bei ihm einzuharken.

Es war ein wunderschönes, kleines Restaurant. Nicht überlaufen von Touristen. Wir genossen einfach diesen Abend. Unseren Abend. Zwischen den einzelnen Gängen, die übrigens fantastisch waren, vertieften wir immer wieder in tolle Gespräche. Eine peinliche Stille gab es bei uns nicht. Wincents Augen strahlten bei jedem direkten Augenkontakt ~ und mit einem mal war jeglicher Ärger, den ich seit dem Frühjahr mal mehr mal weniger über ihn empfand, wie weggeblasen.

Auf dem Rückweg kamen wir auf halber Strecke an einem kleinen Platz vorbei, wo gerade ein Straßenmusiker auf einer Geige sein bestes gab. Wir blieben kurz stehen und lauschten den sanften Klängen in dieser schon lauen Frühlingsnacht. Es war einfach alles perfekt. Dieser Trip, der Abend, dieser Moment. "Darf ich bitten?", riss Wincent mich aus meinen Gedanken und hielt mir auffordernd seine Hand hin. "Ich kann nicht tanzen", kicherte ich und fühlte mich an den Abend im Club zurückversetzt. Nur hatte damals alles eine andere Wendung genommen und nocheinmal würde ich solch eine Wendung nicht zulassen. Ich hatte als Model zwar eine Menge Körperbeherrschung und man sollte meinen, dass ich dadurch auch ein wenig tanzen konnte, doch das gehörte tatsächlich noch nie zu meinen Stärken. "Ich auch nicht", grinste Wincent frech, wahrscheinlich dachte er auch an diesen Abend, "aber lass es uns trotzdem probieren." Ich ließ mich von ihm ganz dicht an sich heranziehen, seine Hände legte er zögerlich auf meine Taille, meine Hände platzierte ich in seinem Nacken. Wir ließen uns einfach von der Musik tragen, keiner sagte ein Wort, wir genossen einfach. Und plötzlich war sie wieder da ~ diese Gänsehaut am ganzen Körper.

//Wincent//

Dieser Moment war einfach perfekt. Meinen Kopf hatte ich vorsichtig in Milas Halsbeuge vergraben und sog dann und wann den leichten Duft ihres nicht zu aufdringliches Parfums ein. Ich genoss unseren kleinen improvisierten Tanz mit geschlossenen Augen.
Irgendwann merkte ich, dass Mila in meinen Armen langsam anfing zu frieren. "Sollen wir langsam aufbrechen?", flüsterte ich in ihr Ohr und strich ihr dabei  über die Wange. Ein wenig Gänsehaut breitete sich auf ihrem Körper aus, ich konnte nur nicht einschätzen, ob dies von der Kälte kam oder von meiner Berührung. Dennoch huschte mir ein kleines Lächeln über die Lippen. Während sie zu mir aufschaute nickte sie fast unmerklich.

Im Hotel angekommen, brachte ich Mila noch zu ihrem Zimmer. "Also ...", brach sie die Stille, "danke für den schönen Abend!" Eine Strähne hatte sich aus ihrer Frisur gelöst. Ich dachte nicht groß darüber nach, als ich ihr diese sanft hinter ihr Ohr strich ohne meinen Blick auch nur einmal von ihr zu lösen. "Entschuldigung angenommen?" "Ja, Entschuldigung angenommen." Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich gab ihr noch einen sanften Kuss auf die Stirn, bevor ich in mein Zimmer ging. Schließlich wollte ich nichts überstürzen, jetzt wo ich ihr Vetrauen einigermaßen für mich gewonnen hatte. „Bis morgen", flüsterte ich ihr zu und wollte gehen.

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