Konzentriert versuchte ich die haselnussbraune Farbe auf mein Augenlid aufzutragen, ohne den Rest dadurch zu versauen. Es war schon einige Wochen her, dass ich mich geschminkt hatte und irgendwie kam es mir auch so vor, dass ich alles in der Zeit verlernt hatte, was ich gelernt hatte. Selbst meine Hände zitterten ungewohnter Weise, weswegen ich umso mehr drauf aufpasste, dass ich beim Auftragen keinen Fehler machte. Letztlich verblendete ich den Braunton, damit ein weicherer Übergang geschaffen war und inspizierte dann ganz genau, was ich als Nächstes machen konnte. Bis ich entschied ein glitzerndes Gold dafür zu benutzen, welches ich mit meinem Finger vorsichtig auf das komplette Lid gab und schien stolz zu sein, dass es nicht ganz so katastrophal aussah, wie ich es erst einmal annahm.
Es war ungewohnt nicht nur die Schminkutensilien und das Make-up von Rachel zu benutzen, sondern nun auch meine eigene Lidschattenpalette zu haben, an der ich mich ausprobieren konnte. Zwar würde ich immer warten müssen, bis meine Eltern weg waren, damit sie nicht einfach so in mein Zimmer platzen konnten, aber das war es mir auf alle Fälle wert.
„Guck mal~", trällerte ich und pflanzte mich direkt neben Rachel aufs Sofa im Wohnzimmer. Zunächst erntete ich einen etwas verwirrten Blick, doch als sie mein Gesicht ein Stück mehr musterte, fing auch sie an zu lächeln und strich einzelne Haarsträhnen aus meinem Gesicht.
„Du beeindruckst mich immer wieder, Lix.", waren ihre ersten Worte, „Vielleicht solltest du mein persönlicher Visagist werden? Du kannst das wesentlich besser als ich." Doch ihre Miene wurde wieder ein bisschen wehleidiger, als sie aufstand und mich ebenso mit hochzog. Ein bisschen verwirrt war ich schon darüber und wusste zunächst nicht aus welchem Grund das passierte. „Mom hat mir gerade geschrieben, dass sie gleich nach Hause fahren... Also eigentlich wollte ich sowieso hochgehen und dir Bescheid sagen, um dir mein Abschminkzeug zu geben."
Auch wenn Olivia dreizehn war und sich ab und zu selbst versuchte zu schminken, konnte es Rachel wiederum selbst nicht ausstehen, wenn diese ihre Sachen benutzte. Deswegen hatte sie ihre Sachen bei sich im Zimmer versteckt und an das Zeug unserer Mutter würde sich Olivia nie trauen, sodass ihre jegliche Chancen verwehrt waren, sich jemals wieder schminken zu können, wenn sie es sich nicht selbst kaufte.
„Sie sagten zwei Stunden...", murmelte ich und war so gar nicht erfreut, dass ich mich schon jetzt von meinem kleinen Meisterwerk verabschieden musste. Allerdings wollte ich mir auch keine dummen Kommentare anhören. Besonders nicht, weil meine Eltern wirklich den Anschein erweckten, dass sie mir Make-up genauso verwehrten, wie lange Haare zu tragen.
„Ich weiß, aber irgendwas ist passiert, dass sie früher kommen... Aber seh' es so: Nächstes Wochenende schläfst du bei Chan und da kannst du einiges von meinem Zeug mitnehmen. Es wird euch keiner stören können und du kannst so herumlaufen wie du möchtest." Mit einem aufmunternden Lächeln hielt sie mir einige Flaschen entgegen, die ich nur widerwillig annehmen wollte. Es blieb mir zu diesem Zeitpunkt nichts anderes übrig.
„Kannst du wenigstens ein Bild machen? Vielleicht schicke ich es später Chan...", entkam es mir etwas schüchterner als ich geplant hatte. Jedoch war es mir unangenehm danach zu fragen und wirklich begabt darin ein Foto von meinem Make-up zu machen, war ich auch nicht. Ohne zu zögernd nahm Rachel ihr Handy wieder in die Hand.
„Für mein Geschwisterlix mach ich doch alles~" Meine Mundwinkel zuckten nach oben, als ich realisierte, wie sie mich genannt hatte. Als Ersatz für Bruder nannte sie mich immer so. Ein wirklich passendes Wort dafür gab es schließlich nicht und irgendwann hatte sich aus heiterem Himmel ergeben, dass sie mich so nannte, als eine Art Alternative. Und es fühlte sich keineswegs falsch an. Viel eher fühlte ich mich wohl und mich nicht in irgendeine Ecke gedrängt, dass ich etwas sein musste, was ich nicht sein wollte.
Nach einigen Sekunden hatte sie ihr Handy wieder weggepackt und schob mich in Richtung Badezimmer. Bis heute war ich mir nicht sicher in welcher Reihenfolge etwas dran kommt und meine Haut vertrug keine Abschminktücher, die mir das Leben hätten einfacher machen können. Zumindest nicht die, die ich bisher benutzt hatte.
„Erst Öl, dann Waschgel... Du kannst auch den Schaum benutzen... Aber ich glaube, du hast den Schaum nicht so vertragen..." Sie zählte mir wieder einmal jeden einzelnen Schritt auf, damit ich nichts falsch machte und irgendwie war ich wirklich froh, dass ich wenigstens eine Schwester hatte, die gute Absichten mit mir hatte. Nicht, dass ich mich mit Olivia nicht verstand, aber manchmal dachte ich wirklich, dass wir zu unterschiedlich waren. Dabei waren es vier Jahre, also zwei Jahre weniger zwischen Rachel und mir, die uns voneinander trennten. Ich schob es bis heute darauf, dass sie inmitten der Pubertät war und sie andere Probleme hatte, als dass sie sich für die Probleme ihrer Mitmenschen kümmerte.
„Vielleicht hätte ich dir doch noch mehr zu deinem Geburtstag schenken sollen, als nur diese Palette...", grummelte sie leise vor sich hin.
„Niemals im Leben! Du weißt ganz genau, dass unsere Eltern mich für bescheuert halten werden!", protestierte ich sofort. Es war nett gemeint, aber das konnte ich nicht zu lassen. Das Geburtstagsgeschenk war definitiv teuer genug, dass ich mich wohl noch bis zum Ende meines Lebens schlecht fühlen würde.„Noch... in einem Jahr kann sich viel ändern und wir haben noch dreihundertsechzig Tage, um Dinge für dich zum Positiven zu verändern!"
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𝗦𝗲𝗺𝗶𝗰𝗼𝗹𝗼𝗻 ✧ CHANLIX
FanfictionFelix ist immer der Junge gewesen, wie man es ihm vorgegeben hat. Ein Rollenbild, welches sich in seinem Kopf noch so falsch anfühlt, während er zu ängstlich ist zu sagen, wieso er am liebsten alles dafür tun will, dass ihn seine Mitmenschen nicht m...