„Du kannst deine Kapuze absetzen, wenn du magst.", schlug mir der Blonde vor. Keineswegs klang es danach, dass er es von mir verlangte, sondern als ein nett gemeintes Angebot, welches ich annehmen konnte, wenn ich wollte. Er hatte nie wirklich hinterfragt, wieso ich meine Haare versteckte, wenn sie kurz waren. Vielleicht war es auch selbsterklärend, dass es nicht einmal eine Erklärung brauchte. Längere Haare gaben mir einen gewissen Schutz, den ich nicht mit Kurzen nicht hatte und somit kam eben die Kapuze zum Einsatz, die ein zeitweiser Ersatz war.
„Vielleicht... Mal sehen..." Und war schon gespannt, was mir meine Schwester in den kleinen Rucksack gepackt hatte. Es war nicht sonderlich viel, meinte sie, aber es reichte aus, für das, was ich vorhaben könnte.
„Du trägst ja meine Kette!", schien Chan überrascht zu sein, was mich aus meinen Gedanken weckte und mich kurzzeitig grübeln ließ, sodass ich meine Stirn in Falten gelegt hatte. Ich folgte seinen Blick und kam dann darauf, was er meinte. Oft steckte sie unterhalb meines Hoodies, sodass man es eigentlich nicht sehen konnte. Doch so wie es aussah, schien der Anhänger das Licht der Welt erblicken zu wollen und zeigte sich.
„Schon seit ein paar Tagen...", murmelte ich vor mich hin und hatte alles aus dem Rucksack ausgeräumt: eine zweite Lidschattenpalette neben meiner eigenen, Foundation, Concealer, einige Pinsel, die natürlich frisch gewaschen waren und zu guter letzt Produkte, mit denen ich mich wieder abschminken konnte.
Manchmal war Rachel wie eine zweite Mutter.
Jedoch fühlte ich mich auch ein klein wenig verloren, weil ich nicht wusste, was ich damit anfangen sollte. Die ganze Zeit hatte ich mich darüber gefreut, aber aus dem Nichts hatte ich jetzt keinerlei Bedürfnis mehr danach und das frustrierte mich, weil sie sich schließlich die Mühe gemacht und das alles zusammengesucht hatte, auch wenn es eben auch nicht sonderlich viel war. Also räumte ich es ganz schnell wieder in die Tasche und holte einmal ganz tief Luft.
„Du wirkst nicht so zufrieden.", stellte Chan fest, dessen besorgten Blick ich auf mir spürte, der mich irgendwie ein bisschen unwohl fühlen ließ. Ich wusste selbst nicht, was auf einmal mit mir los war. Es wirkte auf einmal so, als wäre ich die ganze Zeit weggerannt vor mir selbst, hatte Schutz hinter Chan gesucht und jetzt, wo ich bei ihm war, fiel mir recht schnell auf, dass er mich auch nicht beschützen konnte. Es war frustrierend, weil ich eigentlich nie so war, dass ich mich bei Chan schutzlos fühlte. Ein klein wenig fühlte es sich sogar so an, wie an dem Tag, als ich mich bei ihm geoutet hatte. Dass mich die Gefühle damals so überrollt hatten, wie sie es jetzt auch taten. Ich hatte das erste Mal bei ihm übernachtet und hatte mich auch die ganze Zeit gefreut das Wochenende bei ihm verbringen zu können. Als ich jedoch bei ihm war, stürzte irgendetwas in mir zusammen, was ich nicht genau deuten konnte. Vielleicht lag es an der Umgebung und an der Tatsache, dass ich nicht sofort wieder nach Hause musste, wo ich mich öfter Fehl am Platz fühlte und es eben bisher niemanden gab, der mich wirklich kannte. Ständig sich zu verstecken, konnte ermüdend sein, besonders wenn dir eingetrichtert wurde, wie du zu sein hattest. Doch in deinen Augen fühlte es sich ebenso falsch an, dass dein gefälschtes Verhalten dir selbst fremd vorkam, nur um anderen glücklich zu machen. Du wirktest wie ein Unbekannter auf dich selbst, aber warst ein Bekannter für deine Mitmenschen. Würde sich das Blatt ändern, dass du dir selbst bekannt vorkamst, würden alle um dich herum vorerst einen Bogen um dich machen. Sie müssten dein neues Ich akzeptieren lernen oder sie würden daran scheitern und du würdest für immer fremd für sie bleiben.
Also stellte ich mir oft die Frage, was sich mehr lohnte; sich ständig hinter den Vorstellungen anderer zu verstecken oder zu zeigen, wer du wirklich warst. Doch konnten beide Varianten auf ihre eigene Art und Weise wehtun, dass man sich oftmals an dem Gewohnten krampfhaft festhielt, weil man sonst nichts hatte.
„Ich weiß nicht... Hab nur ein bisschen nachgedacht, schätze ich."
Schon immer hatte ich mir gewünscht, dass ich eines Tages einfach aufwachen würde und alles normal wäre. Stattdessen hasste ich es in den Körper eines Jungen geboren worden zu sein, versuchte ihn mit weiter Kleidung zu verstecken, obwohl es irgendwie auch nichts zu verstecken gab. Dass mir Farben oftmals egal waren und ich das tragen konnte worauf ich Lust hatte, wünschte ich mir schon seit längerem. Ich hoffte mit jedem weiteren Tag nur darauf, dass es einfach ein Albtraum war aus dem ich endlich erwachen würde. Jedoch vergebens. Schließlich hätte ich dann mein ganzes Leben lang nur diesen einen Albtraum gehabt, sodass es gar nicht möglich sein konnte, dass es ein Traum war. Ich war wirklich gefangen in meinem eigenen, kleinen Horrorfilm, in dem das Ziel war, mich voller Verzweiflung endlich befreien zu können. Auch wenn es mir noch so unmöglich erschien und ich mit jedem weiteren Tag immer mehr daran zu ersticken drohte, weil ich keine Luft bekam, da sie mir durch das ständige Verstecken genommen wurde.
„Gestern... als wir einkaufen waren, meintest du, ich sollte mich doch umschauen... Aber findest du es nicht befremdlich, wenn ich mir etwas aus der Frauenabteilung geholt hätte? Man hätte mich bestimmt voll seltsam angesehen und-" Weiter kam ich allerdings nicht, denn Chan sprach mir ins Wort, weil er merkte, was ich mir wieder für einen Kopf machte und ich mir immer wieder neue Gründe aussuchte, um mich selbst zu verstecken.
„Es ist doch deine Entscheidung, was du trägst. Wenn du dir etwas dort holen möchtest, dann mach es! Kleidung ist zwar leider immer noch in Geschlechter eingeteilt, aber es definiert trotzdem nicht dich und das Geschlecht, als welches du dich ansiehst. Und ich bin mir sicher, dass du irgendwann auch den Mut hast, das zu tragen, was du möchtest."
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𝗦𝗲𝗺𝗶𝗰𝗼𝗹𝗼𝗻 ✧ CHANLIX
FanfictionFelix ist immer der Junge gewesen, wie man es ihm vorgegeben hat. Ein Rollenbild, welches sich in seinem Kopf noch so falsch anfühlt, während er zu ängstlich ist zu sagen, wieso er am liebsten alles dafür tun will, dass ihn seine Mitmenschen nicht m...