„Mama? Papa?"
Nicht gerade laut schrie ich es durch das Haus in der Hoffnung, dass sich mich dennoch hören und ich eine Antwort von ihnen bekommen würde. Als ich jedoch diese nicht erhielt, wich mein Blick unsicher zu Rachel, die nur ihre Stirn in Falten gelegt hatte. Es war schon spät und eigentlich war es untypisch, dass sie nicht Zuhause waren. Vielleicht war es ein indirektes Zeichen, dass ich es sein lassen und darüber besser schweigen sollte.
„Setz dich einfach hierhin. Vielleicht sind sie im Garten und hören dich deswegen nicht." Liebend gern wäre ich ihren Worten nachgekommen, aber ich war einfach so aufregt gewesen, dass ich wie angewurzelt hier stand und verlernt hatte, wie man seinen Körper steuern konnte. Und ja, ich hatte die Angst meines Lebens. Es war noch einmal ein völlig anderes Gefühl, als bei Rachel und meinem besten Freund. Es war sogar so schlimm, dass ich das Blut in meinen Ohren rauschen hören konnte und ich das Gefühl bekam, dass mir mein ganzes Blut in den Kopf gepumpt wurde und ich dementsprechend jede Sekunde hier und jetzt umfallen konnte, bewusstlos wurde.
Recht schnell konnte ich aber hören, wie sich meine Eltern und meine Schwester unterhielten, als wäre alles in Ordnung. Der Blick meiner Mutter fiel auf mich, weswegen sie plötzlich besorgter schien als gerade eben noch. Ich wäre tatsächlich am liebsten geflüchtet, weil ich es nicht aushielt. In wenigen Minuten konnte ich mein Leben zerstören oder es würde besser werden.
„Vielleicht sollten wir uns alle hinsetzen. Das Gespräch wird für keinen von uns einfach werden.", hörte ich Rachel noch sagen, als sie mich auf die Couch gedrückt hatte und es ein indirektes Zeichen war, dass meine Zeit gekommen war, zu sprechen. Nur wusste ich nicht, wie ich anfangen sollte, damit es nicht allzu dämlich klang. Ich hatte weder ein Anfang, noch ein Ende, obwohl ich mir unzählige Male in meinem Kopf dieses Gespräch ausgemalt hatte. Mit verschiedenen Reaktionen, die mich einerseits dazu brachten diesen Schritt zu wählen, aber mich auch davon abhielten.
„Tut nicht so, als wäre es etwas schlimmes.", spielte mein Vater die ganze Sache herunter. Zwar stimmte es, dass es nicht unbedingt etwas Schlimmes war, aber es war etwas Wichtiges. Und die wichtigen Dinge sagte man nicht einfach so in einem Gespräch, kurz bevor man das Haus verließ. Daher nahmen mir seine Worte irgendwie auch meinen Mut, obwohl ich mir sicher war, dass er das Gegenteil damit bewirken wollte.
„I-Ihr wolltet immer w-wissen warum mich R-Rachel Lix nennt.", fing ich an und mir wurde plötzlich heiß und kalt gleichzeitig. Auch Übelkeit spielte eine Rolle, ehe ich spürte wie die Ältere meine Hand nahm und diese festdrückte. Ich traute mich nicht einmal in die Augen meiner Eltern zu sehen, weil mir sonst nur noch übler wurde. Also atmete ich tief durch und sprach weiter, ehe meine Eltern das Wort übernahmen, weil sie ungeduldig wurden. „Schon seit Jahren hab ich das Problem, dass ich meinen Körper und mich selbst total hasse. Vor Jahren hab ich mich selbstverletzt deswegen... Ich hab immer versucht meinen Körper in übergroßen Sachen zu verstecken, weil ich es nicht ertragen kann, dass man ihn wahrnimmt, wie er ist. Ich hasse es, wenn mir meine Haare geschnitten werden, weil ich sie absichtlich lang wachsen lassen will... Ich hab Panik bekommen, wenn ihr immer mit der Aussage kommt, dass nur Mädchen sich schminken dürfen... Irgendwann hab ich die Schminksachen von Rachel genommen und damit herumexperimentiert. Ich hab daran Spaß, mich damit ausprobieren zu können."
Ich stoppte und bemerkte, wie wenig erfreut mein Vater darüber war. Immer, wenn ihn etwas störte, tippte er mit seinem Zeigefinger aus seinem Knie oder dem Tisch herum. Auch jetzt tat er es und es wunderte mich, dass er mich nicht unterbrochen hatte.
„Immer wenn Mama sagt, dass ich Felix heiße und genervt scheint, dass mich Rachel wieder Lix genannt hat, muss ich mir meine Tränen verkneifen. Ich hasse diesen Namen so sehr, obwohl es ein ganz normaler Name ist, mit dem man eigentlich keine Probleme hat... Wenn man ein Junge ist... Aber ich will kein Junge sein. Ich wollte noch nie einer sein. Deswegen hab ich mich zurückgezogen. Ich hatte Angst, dass ihr mich eklig findet. Dass ihr euch schämt, mich als euer Kind zu haben und ihr traurig seid, weil ihr keinen Sohn mehr habt. E-Es tut mir so leid."
Leise Schluchzer entrannen meiner Kehle. Ich konnte meine Worte nicht mehr weiterführen, weil ich diese Schuldgefühle, die ich ewig zurückhielt nicht mehr verstecken konnte. Ich fühlte mich schlecht, obwohl ich eigentlich nur akzeptiert werden wollte. Und obwohl es total absurd war, dass ich mir Vorwürfe machte, kam ich mir so vor, als hätte ich meinen Eltern etwas total Schlimmes und Unverzeihliches angetan. Und weil ich so abwesend schien, hatte ich nicht einmal mitbekommen, wie mich Rachel in den Arm nahm. Ich spürte nur nicht mehr diese Last meines eigenen Körpers, den ich selbst zu halten hatte, weil mein Körper schließlich gegen ihren gelehnt war.
„Willst du ein Mädchen sein?", fragte meine Mutter. Doch hatte ich meinen Kopf geschüttelt, um ihre Frage zu verneinen und somit war ich mir sicher, dass sie keinerlei Ahnung hatte, was ich mit meinen Worten meinte. Leider fand ich meine Stimme nicht mehr, um mich erklären zu können.
„Was Lix sagen wollte, ist, dass xier weder ein Mädchen, noch ein Junge sein möchte. Lix ist geschlechtslos und hat durch Chan und einige weitere Freunde gelernt, wie xier sich selbstlieben und akzeptieren kann... Und ihr solltet eurem Kind auch dabei helfen und euch von eurem altmodischen Denken befreien, dass es nur zwei Geschlechter gibt...Lix ist doch euer Kind, oder?"
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𝗦𝗲𝗺𝗶𝗰𝗼𝗹𝗼𝗻 ✧ CHANLIX
FanfictionFelix ist immer der Junge gewesen, wie man es ihm vorgegeben hat. Ein Rollenbild, welches sich in seinem Kopf noch so falsch anfühlt, während er zu ängstlich ist zu sagen, wieso er am liebsten alles dafür tun will, dass ihn seine Mitmenschen nicht m...