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Throwback

Mit stark pochendem Herzen klopfte ich gegen die Holztür. Für einen Moment hatte ich sogar das Gefühl gehabt, dass ich viel eher die Tür gestreichelt hatte, als dass ein hörbares Klopfen zustande gekommen war. Ich war viel zu nervös und meine Beine würden mich wohl auch nicht auf ewig halten können, wenn ich weiterhin nur stehenbleiben würde. Sie würden zusammensacken und ich würde unsanft zu Boden fallen.

Ich atmete noch einmal tief durch, ehe ich die Türklinke nach unten drückte und mich in dem Zimmer meiner großen Schwester wiederfand, die regelrecht vor mir stand. Anscheinend war sie auf dem Weg mir die Tür zu öffnen, weil ich zu lang gebraucht hatte, um ihr Zimmer zu betreten. Umso verwirrter musterte sie mich, als ich nicht sonderlich zufrieden ausschaute, wie sie es sonst von mir kannte. In mir bahnte sich die Angst und da konnte ich mich eben auch nicht einfach so zu einem Lächeln zwingen, als wäre nichts.

Nach einigen Wochen hatte ich mir vorgenommen mit Rachel zu reden, die erste Person in meiner Familie, bei der ich mich outen wollte. Wir verstanden uns am besten und es hatte sich nie total falsch angefühlt mir in meinem Kopf vorzustellen, wie ich mit ihr darüber sprach. Irgendwann musste ich den ersten Schritt wagen, weil jemand anderes würde es nicht für mich tun. Chan hatte mir zwar angeboten, dass er dabei sein könnte, wenn ich meine Vorstellung in die Tat umsetzte. Nur käme das in meinem Kopf zunächst etwas falsch herüber. Als würde ich ihr sagen wollen, dass ich mit meinem besten Freund zusammengekommen war.

„Was ist denn los?", entkam es ihr sofort, als sie mich kurz genauer gemustert hatte. Sie zog mich in ihr Zimmer, schloss die Tür und drückte mich regelrecht auf ihr Bett, weil sie merkte, wie ich am ganzen Körper begann zu zittern. Mir war nach weinen zumute, obwohl ich noch nicht einmal angefangen hatte zu reden. Das Einzige, was ich noch viel beängstigender fand, als die Tatsache, was ich vorhatte, war mein Herzschlag, der sich gar nicht gesund anfühlte. Meine Hände waren unnormal kalt gewesen und es tat beinahe schon weh, wie mich Rachels Hände wärmten. Als wären meine ein Eisklotz, der plötzlich furchtbare Hitze abbekam.

„Ist irgendetwas passiert oder warum bist du so aufgewühlt? Du weißt, du kannst mit mir über alles reden.", redete sie weiter beruhigend auf mich ein und versuchte selbst ruhig zu bleiben. Schließlich würde es nichts bringen, wenn sie nun genauso Panik schob. Das würde mich nur noch unruhiger machen und würde verhindern, dass ich überhaupt sprach.

„I-Ich muss dir etwas s-sagen.", flüsterte ich, dass schon fast dachte, dass ich mich wiederholen musste. Als ich einen kurzen Blick in ihr Gesicht sah, wie sie mich geduldig musterte, war ich mir sicher, dass sie mich verstanden hatte. Doch genauso schnell wich mein Blick wieder ab und fokussierte sich einfach auf den Fußboden, die beige Wandfarbe, die Bilder, welche an der Wand hingen. Hauptsache ich sah ihr nicht ins Gesicht.

„I-Ich möchte kein J-Junge sein. I-Ich hasse e-es täglich a-aufzuwachen u-und festzustellen, d-dass ich immer noch F-Felix bin. E-Es tut einfach n-nur weh u-und ich h-hasse mich so s-sehr, dass i-ich nicht normal b-bin." Noch immer konnte ich nicht in ihr Gesicht sehen. Ich wollte nicht die Reaktion sehen, die sie mir daraufhin gab. Vielleicht fand sie mich abstoßend, weil ich nicht der kleine Bruder war, wie sie es sonst immer wahrgenommen hatte. Nur hatte ich dieses ständige Versteckspiel satt. Ich konnte nicht mehr diese kaputte Maske aufsetzen, die mit jedem Tag mehr anfing zu bröckeln, nur damit ich anderen gefiel. Ständig drohte ich zu ersticken, wenn ich meinen Namen hörte, wenn man mich mit anderen Jungen verglich oder mich einfach nur in eine Schublade stopfen wollte. Es fühlte sich alles falsch an, wenn ich daran dachte, wie ich heute wieder in die Schule gegangen war und von meinen Klassenkameraden gehänselt wurde, weil ich kein typischer Junge war, wie man es von mir verlangte.

„Möchtest du ein Mädchen sein? Habe ich das richtig verstanden?", fragte sie mich. Etwas verwirrt, aber keineswegs verurteilend, als schien es für sie nicht schlimm zu sein. Als ich jedoch meinen Kopf schüttelte, musste ich nicht einmal hinsehen, um zu wissen, dass sie verwirrt war. Es war schließlich der erste Gedanke, den man fasste, wenn man es so schwammig sagte, wie ich es tat. Mir entglitten aber die Worte, als ich versuchte das Thema anzuschneiden; ich war zu unfähig mich weiter erklären zu können.

„I-Ich möchte weder ein Junge, noch ein Mädchen sein... I-Ich will einfach nur als j-jemand angesehen werden, der gar kein G-Geschlecht hat... I-Ich halte d-die Erwartungen nicht mehr an m-mich aus..."

𝗦𝗲𝗺𝗶𝗰𝗼𝗹𝗼𝗻 ✧ CHANLIXWo Geschichten leben. Entdecke jetzt