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LUNA

Komplett aufgelöst taumele ich die Treppen runter. Ich muss dringend an die frische Luft. Obwohl es ein bisschen spät geworden ist und sogar morgen ein wichtiger Job auf mich wartet, muss ich kurz meine Wut rauslassen. An irgendwas. An irgendwen. 
Er ist so ein Arschloch! Ein Schwein! Ein Betrüger! 

Wie konnte er nur? Und wie konnte ich ihn immer noch nach seinen blöden Entschuldigungen weiterhin verteidigen?

Konzentriert in meinen Gedanken, bemerke ich die alte Omi vor mir nicht, sodass es dazukommt, dass ich wieder mit ihr zusammenstoße. Not again.
Ich entschuldige mich kurz und will weitergehen, aber sie scheint noch nicht fertig mit dem Jammern zu sein.

Da drehe ich mich um und funkele sie böse an. Ich muss schon furchteinflößend ausgesehen haben, denn sie öffnet den Mund und schließt ihn tatsächlich wieder. Props an die verlaufende Mascara. Die dunklen Flüsse, die aus meinen Augen quillen, begleiten mich tröpfchenweise bis zur Penthousetür.
Draußen angekommen, strömt mir die frische Abendluft entgegen. Wäre besser gewesen, wenn ich eine dickere Jacke angezogen hätte.
Zurück zum Apartment will ich trotzdem nicht. Nicht zu dem Mistkerl da. Ich war ja so dumm!

Kreuz und quer laufe ich durch die Straßen Londons, ohne Plan wohin ich gehen soll. Mein Handy habe ich mit Absicht zuhause gelassen, was ich bereits ein bisschen bereue. Idiotin.
Ich werde ohne auskommen müssen.

Vielleicht sollte ich wieder zu Café Sanders gehen. Einer der wenigen Cafés, die zur späten Abendstunde noch geöffnet haben. Ja, um diese Uhrzeit ist doch die Happy Hour. Spiegelt zwar das komplette Gegenteil, von dem was ich fühle wider, allerdings wird mir ein bisschen Alkohol gut tun. Im Kreis drehe ich mich, versuche anhand der Shops rechts und links zu erkennen wo ich bin, als ich in der Ferne das Metroschild „Westminster Abbey" entdecke. Ich traue mich nicht die Bahn mit meinem Panda-Look zu betreten, eher vertrete ich mir für die paar Meter die Beine, bevor ich die Fahrgäste mit meinem halloweenreifen Aussehen bereichere.

Die warmen Brauntöne, die mir vorm Fenster aus zuwinken, erzählen mir, dass ich am Ziel gelangt bin. Ich schnaufe kurz durch. Meine Füße tun einfach weh, irgendwie peinlich.
Waren doch nicht paar Meter, oder? In letzter Zeit treffe ich anscheinend nur noch falsche Entscheidungen.
Ich hätte wohl doch die Bahn nehmen sollen.

Selbstbewusst schwinge ich die Tür auf. Es ist weniger los als heute Mittag, was schonmal ein gutes Zeichen ist.
Nicht jeder muss mein tränenüberströmtes Gesicht anglotzen.

Scheint so, als hätte Charles noch seine Schicht. Er sieht mich nämlich sofort und kommt auf mich zugerannt, so wie Kellner eben so sind.
„Na wen haben wir denn da?" fragt er belustigt. Als er aber besser mein Gesicht besser studiert, flackert so etwas wie Besorgnis in seinen Augen.
„Was ist passiert? Kann ich irgendwie helfen?" Ich lächele ihn schwach an.
„Ja" , erwidere ich, „trinkst du die Shots mit mir?"
„Was?"
„Lass uns die Happy Hour gönnen!"

"Luna. Meine Schicht ist wirklich gleich vorbei. Aber du musst mir erzählen, was los ist." Seine blauen Augen glitzern mit entgegen.

"Gib mir was aus und ich rede wie ein Wasserfall."

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Einige Stunden später stehe ich mit leichten Kopfschmerzen auf. Mein Kopf brummt, als hätte ich einen Kater, obwohl ich mir sicher bin, dass ich keinen habe. Es ist gestern extrem spät geworden, aus fünf Shots wurde schnell ein Trinkspiel mit Blondie Charlie. Ich war danach so dicht, dass ich mich nicht mal erinnern will, was passiert ist. Mir reicht die Erinnerung, dass ich die ganze Nacht durchgeheult habe.

My Own StalkerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt