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LUNA

Portemonnaie, Passport, Boarding Pass und mein Handy. Gut, alles dabei. Die Fahrt mit dem Taxi hat mir mein Leben gerettet. Durch den flinken Taxifahrer - mit hohem Gesprächsbedarf - habe ich es pünktlich in Heathrow geschafft. Ich bin endlich am Flughafen. Aufgeregt schiebe ich meinen kleinen Trolley vor mir, der mit meinen Initialen signiert ist. Ein Geschenk von Nolan vergangenen Jahres.

Mit zügigen Schritten eile ich zum Check-In, wo ich entsetzt feststellen muss, wie lang die Schlange ist. Ihr wollt mich doch verarschen, oder?

Mühsam stelle ich mich hinter einem älteren Herr mit einer süßen Baskenmütze. Sein Aussehen und seinem Akzent später am Schalter zu urteilen, muss er ein Franzose sein. So eine schöne und attraktive Sprache zugleich. Ich wünschte, ich könnte sie beherrschen. Stattdessen habe ich mich entweder mit anderen über meine Französischlehrerin lustig gemacht oder mich über ihre empörenden Berge voller Aufgaben beschwert.
Madame Toulouse, du warst echt eine Bitch.

Der Herr verschwindet, sodass ich an die Reihe komme. Kurzer Prozess, schon werde ich zu den Kontrollen geschickt, die bereits von vielen Passagieren belegt wird. Automatisch balle ich meine Hände zu Fäusten. Ich hasse Menschenmassen, generell wo es zu voll ist. Klaustrophobie habe ich nicht soweit ich weiß, doch trotzdem spannen sich ständig meine Muskeln immer an, wenn zu viele in meiner Nähe sind.

Außer bei Partys. Nur eine gewisse Anzahl ist okay, aber zu viele werden mir dann auch zu anstrengend.

Kontrollen sind von mir erfolgreich passiert worden, obwohl ich gerne länger mit meinem Kontrolleur geredet hätte, weil er so zum Anbeißen ist...- dennoch geht mein Flug in Kürze. Und den darf ich unter keinen Umständen verpassen.

Bei einem Kiosk hole ich mir noch schnell ein Gebäck und ein 0,5l Wasser für einen unverschämten Preis, bevor ich mich auf dem Weg zum Boarding mache. Dort angekommen, kann ich mein breites Grinsen nicht verkneifen. Ich freue mich einfach viel zu sehr auf Paris.

Allgemein liebe ich dieses...Flughafenfeeling. Flugzeuge, die um die Wette in die Höhe schießen, die riesengroßen Terminals und Gates,..I love it!
Neben Modeln wäre ich sonst gerne Stewardess geworden.

„Madison Oltis!" ruft der Flugbereiter. Ein junge Frau drängelt sich nach vorn und verschwindet kurz darauf in dem gekennzeichneten Tunnel, der zum Flieger führt.

„Savannah Reack!" ruft der Flugbegleiter erneut. Seufzend zücke ich mein Handy heraus. Bis ich dran bin, dauert es wohl noch eine Weile. Nach und nach werden fremde Menschen der Passagierenliste aufgerufen, bis mir ein Name den Atem raubt.

„Kyle Luke Montgomery!" ruft der Angestellte. Blitzartig hebe ich mein Kopf und sehe dabei zu, wie ein gut gebauter Mann in einem grauen Jogginganzug samt Koffer in den Vordergrund tritt. Seine eingedrehten Haare und seine Sommersprossen erkenne ich sofort. Eigentlich dürfte ich mich nicht wundern, weil wir beide nach Paris müssen. Es steigert trotzdem meine Aufregung.

Meine Augen wandern etwas weiter nach unten, wo ich einen Abdruck erkennen kann, bis mir auffällt, was ich da tue.
Ma'am? Was wird das?

Es geschieht automatisch. Hätte er denn keine schwarze Jogginghose anziehen können? Meine Augen driften zurück auf meinem Handy, damit ich einen möglichen Blickkontakt vermeiden kann. Er wird mir wieder sein herzschmelzendes Lächeln entgegenwerfen, wogegen ich nicht wissen werde, was ich tun soll. Ich weiß doch mittlerweile, wie es abläuft.

„Luneliah Braver!" Ich zucke kaum merklich zusammen, sodass mein Handy kurzerhand aus meinen Fingern gleitet. Gott sei Dank schaffe ich es von einem Bodenaufprall abzuhalten. Nervös stehe ich auf, den Trolley vor mir herschiebend, und zeige wackelig meinen Boarding Pass vor. Der Angestellte notiert sich etwas, nickt kurz, nach dem Motto ich dürfe passieren und ruft schon den nächsten auf:

„Stephane Cesairé!" höre ich ihn hinter mir rufen.

Eine Stewardess begrüßt mich von Weitem mit einem eingefrorenen Lächeln, während ich im schmalen Gang des Flugzeug nach meinem Sitz Ausschau halte. Womöglich lande ich in einen der hinteren Plätze, es sind nunmal die günstigsten, aber dass ich in der letzten Reihe sitzen muss, hätte ich nicht gedacht. Ich bin sogar gezwungen auf der Gangseite zu sitzen und nicht am Fenster. Nicht schlimm, nachts gibt es eh nicht viel zu bestaunen.

Ein kleiner Teil in mir will nach Kyle suchen, jedoch bleibe ich entschlossen. Ich werde nicht verzweifelt wirken.

Ich klappe den Verstauungsraum, der zum Glück komplett leer ist, auf. In den verschiedensten Weisen versuche ich mein Trolley hinein zu bekommen, aber ich kriege es nicht hin. Mist! Und das Flugzeug wird immer voller, wenn gleich mein Sitzpartner aufkreuzt, könnte es ziemlich peinlich werden. Auf der Suche nach einer Lösung, zerrt mich eine Stimme aus meinen Gedanken.

„Sieht danach aus, als würdest du Hilfe brauchen." Ein sommersprossiges Gesicht kommt mir entgegen. Kyle.
Mein Herz setzt das zweite Mal an diesem Tag aus. Wie kann man so einen Effekt auf mich haben?

Er wartet nicht einmal meine Antwort ab, sondern reißt mir den Koffer aus den Händen. Dabei streifen seine Finger meine, zwar nur für einen Augenblick, doch der Augenblick reicht, um mir einen Elektroschock durch den ganzen Körper zu verpassen. Oh, oh.
Das ist überhaupt nicht gut.

In Null Komma nichts ist mein Koffer in der Gepäckablage. Er verabschiedet sich flüchtig, während ich ihm zusehe, wo er sich niederlässt. Er ist ein paar Reihen schräg gegenüber vor mir, allerdings nicht allzu weit. Also, auch einer der billigen Plätze. Ich lache in mich hinein. Irgendwie sympathisch. Nolan fliegt entweder in den vordersten Plätzen oder in der First Class. Er genießt seinen Luxus. Das Geld dafür besitzt er sowieso.

Der Ohrendruck wird früher oder später ein Problem für mich sein, deshalb schiebe ich ein Kaugummi zwischen den Zähnen und krame meine Briefings heraus. Ein weiteres Mal prüfe ich auf dem Dokument wo der Kunde mich erwartet, obwohl ich schon seit Wochen die Adresse in meinem Kopf eingebrannt habe.

Wie gehetzte Tiere rennen die Flugbegleiterinnen nach dem Abheben zwischen den Gängen umher, um die ersten Fluggäste zu versorgen.
Dabei werfe ich unabsichtlich ein Blick in Kyles Richtung, der womöglich die selbe Idee wie ich hatte, da er sich leicht umdreht, um mein Gesicht wahrzunehmen. Ein ausdrucksloser Blickaustausch verwandelt sich rasant in einen neues Augenduell, den er ungern verliert, da eine Stewardess sich vor ihn platziert und erwartungsvoll zwischen dem Getränkewagen und ihm hin und her schielt.

Als er sich dann eine Apfelschorle bestellt und ich einen Kaffee, lugt er erneut zwischen meinen Reihen. Siegessicher zwinkere ich an, was ihm ein kleines Lächeln auf die Lippen schmiert.

Dieses Lächeln...

Egal. Ich liege in Führung. 2:1 für mich.

My Own StalkerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt