Kapitel 4

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Nachdenklich betrachtete ich mich im Spiegel.
Graham und ich hatten eigentlich vorgehabt ins Kino zu gehen, aber er musste auf seine Schwester aufpassen und wollte den Filmabend bei sich zuhause veranstalten.
Ich hatte immer noch ein seltsames Gefühl dabei, doch ich versuchte mich auf den Abend zu freuen.
Ein schaler Beigeschmack blieb.

Nachdenklich flocht ich mir meine Haare und verließ das Haus.
Graham wollte mich abholen.
Mein Blick schweifte über die Straße und blieb schließlich an einen Jeep hängen.

Ich hatte das Auto hier noch nie gesehen und lief langsam darauf zu.
Tatsächlich. Hinter dem Steuer erkannte ich Graham, der mir ein charmantes Lächeln zuwarf.

"Und freust du dich?", fragte er, als ich in den Wagen stieg.
Ich nickte und zwang mich zu einem Lächeln.

"Ich war tatsächlich ziemlich aufgeregt", murmelte er und musterte mich durchdringend.
"Danke, dass du gekommen bist."
Seinen Stimme klang aufrichtig und mein Misstrauen schmolz dahin.

"Die Sache mit Leila tut mir leid. Sie ist erst sechs und mein Bruder kann heute nicht auf sie aufpassen", fügte er hinzu und sah wieder auf die Straße.
Seine Finger trommelten auf das Lenkrad.
"Ich freu mich auf den Abend", erklärte ich nachdrücklich, doch Graham schien in Gedanken versunken zu sein.

Erst als wir in ein Waldstück einbogen, fing er wieder an zu sprechen.

"Der Wald hier ist das Familienerbe. Er ist wunderschön, aber der Handyempfang ist wirklich nicht gut", meinte er nicht ohne Stolz und fügte ein gezwungenes Lachen an.
Vermutlich war Graham genauso nervös wie ich.

"Da sind wir." Er stieg aus und öffnete mir die Tür.
"Gentleman", lachte ich und deutete einen Knicks an.

Sein Lächeln verrutschte kurz und ich strich ihm beruhigend über den Arm.
"Danke."

Schweigend liefen wir zum Haus und ich konnte in Ruhe über den Reichtum der Familie nachdenken.
Das Waldstück war gigantisch, doch das Haus stand ihm in nichts nach.
Es war eine Altbauvilla aus Backstein, die mich mit ihren vielen Erkern und Türmchen ein wenig an die Villa Kunterbunt erinnerte.
Auch die Innenräume wirkten antik und protzig und ich fühlte mich plötzlich sehr, sehr klein und billig in meiner Stoffhose und dem Top.

"Wir gehen direkt hoch, sonst stellt meine Mutter noch Fragen", flüsterte er mir zu und lief die Wendeltreppe herauf.
Sein Blick hatte fast etwas zu erst gewirkt, dachte ich und fühlte das Misstrauen in mir.
Es wuchs wie ein Tumor in meinen Gedanken und stellte mir tausend unbequeme Fragen.

Gab es Serienmöder, die ihre Opfer zu sich einluden und während ihre Familie im Haus war töteten?
Bestimmt.
Ich schluckte.

"Hast du Hunger?" Graham Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
Ich antwortete nicht sofort und er fuhr fort.
"Bestimmt. Wie wäre es mit Pizza? Wir könnten bestellen."

Ich nickte etwas überfordert.
"Ich geh kurz zu meiner Mutter,  sie hat heute noch", er stoppte kurz und zu Boden, "genau, eine Besprechung mit ihrem Team. Bei der Arbeit."
Er lachte gezwungen.

"Dann kann ich auch direkt die Pizza bestellen. Du kannst währenddessen schon einen Film bei Netflix aussuchen. Mein Zimmer ist dort", erklärte er weiter und deutete auf eine Tür am Ende des Ganges.

Mein Lächeln blieb schwach, aber ich betrat den Raum.

Hier gab es einen deutlichen Stilbruch zum Rest des Hauses.
Überall war Metall und abgenutzes Holz verarbeitet, des Industrial Style war durchaus gut gelungen.
Es gab keine Couch, sondern nur ein übergroßes Bett.
Sofort spürte ich den Druck auf meiner Brust wieder.
Mir ging das alles zu schnell.

AstheneiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt