Kapitel 15

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Als ich am nächsten Morgen Grahams Zettel auf dem Tisch fand, breitete sich eine seltsame Kälte in mir aus.
Etwas fehlte.

Er hatte geschrieben, dass er Abstand brauchte und sich der Kriegsplanung widmen wollte.
Deshalb war er alleine über die Grenze in die USA gefahren.
Um seinen Geschäften nachzugehen, wie er schrieb.

Eigentlich sollte mich das nicht stören. Eigentlich.
Meine Finger zitterten trotzdem, als ich den Zettel in den Müll warf.

Waren das die ersten Auswirkungen unserer Verbindung?
Ich ließ mich auf dem Sofa nieder und schlug die Hände vor das Gesicht.
Was wenn nun doch alles so kam, wie Ivan es angekündigt hatte?
Mein Hals wurde eng.

Ich wollte keine Königin werden.
Grahams Mate zu sein war grausam genug.
Ich wollte mein Leben nicht mit ihm verbringen. Wenn ich mir eine Familie mit ihm vorstellte, mit ihm alt zu werden, ein Rudel zu leiten, dann wurde mir schlecht.
Wie konnte ihm gegenüber ihm etwas empfinden?

Ein lautes Klopfen schreckte mich auf.
Hatte Ivan mich gefunden?
Hoffnung durchströmte mich.
Ich setzte mich auf, aber ich traute mich nicht, aufzumachen.

"Luna?" Eine Männerstimme. Nicht Ivan.
Ich sackte ein Stück zusammen.
Antworten wollte ich nicht.
Ich wusste nicht mal, wen der Mann denn mit Luna meinte.
"Luna?"

Ein Knall und ein lautes Krachen ertönte und plötzlich gab die Tür nach.
Zwei breitgebaute Männer standen im Wohnzimmer und sprachen aufgeregt in ihre Headsets.

In ihrer dunklen Kleidung erinnerten sich mich ein wenig an die Spione aus alten Agentenfilmen. Zu meiner Hoffnung mischte sich Angst. Ich hatte die beiden nie mit Ivan gesehen und vermutet, dass sie zu Graham gehörten.

Einer entdeckte mich schließlich und stürmte auf mich zu.
"Luna, wieso haben Sie nicht geantwortet?", fragte er aufgeregt.
Sein Blick glitt panisch über mich, als wollte er kontrollieren, ob ich wirklich noch atmete.

"Wen meinen Sie mit Luna?"
Meine Stimme war leise und heiser.
Ich konnte meinen Tränenausbruch nicht verbergen.

Die beiden Männer schreckten zurück.
"Sie natürlich. Die Königin des Rudels. Und Ihr müsst uns nicht siezen", erklärte nun der andere.
"Graham hat uns gebeten, Sie zu ihm zu bringen. Kommen Sie bitte mit uns."
Ich nickte nur.
Für Widerstand hatte ich keine Kraft.

Vorsichtig und darauf bedacht, mich nicht zu berühren, streckte der Mann einen Arm aus, als ich aufstand.
Er schien mich vor einem Fall bewahren zu wollen.

"Ich kann das alleine", murmelte ich leise und richtete mich auf.
"Und bitte hört auf mich zu siezen."

Langsam lief ich nach draußen und stieg in den schwarzen Jeep.
Die Lederbezüge waren luxuriös und unwillkürlich dachte ich an Ivans Meinung zum Reichtum der Rudel.
Was hatte Grahams Familie wohl hierfür getan? Geraubt? Gemordet?

Schweigend stiegen die zwei Männer ein und starteten den Wagen.
Hinter uns verschwand die kleine Hütte und schließlich auch die Bäume.
Eine seltsame Wehmut erfüllte mich, als die Umgebung sich wieder grau färbte.
Wir waren wieder in einer Großstadt.
Das Auto steuerte durch die
Häuserschluchen und hielt irgendwann vor einem teuer wirkenden Hotel.

"Luna?" Ich zuckte zusammen, als der Mann sich zu mir umdrehte.
Der Titel klang ungewohnt in meinen Ohren. Ich hasste ihn.

"Für einige Zeit werden Sie- wirst du- hier unterkommen."
Der andere Mann stieg aus dem Wagen und öffnete mir die Tür.
Vorsichtig stand ich auf und betrat das Hotel.

Mein Blick schweifte über den edlen Marmor und den weichen, dunkelroten Teppich.
Es waren kaum Menschen hier, doch meine Anwesenheit schien ihre Blicke zu fangen.
Vermutlich Werwölfe, Untertanen von Graham.

AstheneiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt