Kapitel 24

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Ihre Blick brannten so in seinem Rücken, dass er fast meinte, er müssten sein Fell versengen.
Sie schoss nicht, doch Florences Kugeln pfiffen ihm vorbei.
Der Kampf steuerte auf sein Ende zu und noch war Graham nicht aufgetaucht.
Ivan plante bereits diplomatische Beziehungen mit Louis, als der ihm plötzlich auf den Rücken sprang.

"Hör auf meine Seelenverwandte anzustarren", knurrte er in kehligen Wolfslauten.
Louis erkannte ihn nicht.

Der Gedanke versetzte Ivan einen Stich.
"Ich sehe nicht sie an", gab er zurück.
Louis ließ die Lefzen sinken.
Überraschung stand in seinem Blick.

"Das Kampfgeschrei hat mich wohl ertauben lassen, mein Freund", flüsterte er, doch Ivan schüttelte den Kopf.

Louis erstarrte.
Dann ließ er ein durchdringendes Heulen erklingen.
Die Wölfe zuckten zusammen, doch schließlich kletterten sie über die toten Körper und stellten sich hinter ihrem Anführer auf.

Louis wandelte sich zurück.
"Wir sind betrogen worden."
Regen tropfte auf sein Gesicht und vermischte sich mit Blut.

*

Ich schlug der Florence gegen den Arm.
"Was tun sie da?"

Die junge Frau schüttelte mit dem Kopf.
Sie schien es nicht glauben zu können.
"Ich bin nicht sicher", hauchte sie nur.
Mit einem Satz sprang sie vom Baum.
"Bleib hier."

Ich schlang die Arme um meinen Körper und nickte.
Was passierte hier?
Florence hatte ihre Waffe mitgenommen und trug sie hoch erhoben vor sich.
Die Wölfe begannen so laut zu knurren, dass sogar ich es hören konnte.

Der Söldner warf mir einen langen Blick zu.
Sein Fell hing war nass und an einigen Stellen vom Blut verfärbt.
Ich hoffte, dass es nicht seines war.
Meine Gedanken verwirrten mich.

Florence schrie etwas und Louis machte einige Schritte auf sie zu.
Er zögerte.
Dann nickte er einem Rudelmitglied zu und Florence wurde abgeführt.

Meine Augen weiteten sich.
Florence war seine Seelenverwandte.
Er liebte sie doch.

Der junge Mann kam auf mich zu.
"Komm herunter, Jule."
Seine Stimme war brüchig, doch sein Gesichtsausdruck wirkte gefasst.

Mein Herz setzte einen Schlag aus, doch ich nickte.
Mit zittrigen Fingern kletterte ich vom Baum.
"Was ist passiert?"

Louis rieb sich über die Augen.
"Nicht hier und nicht jetzt, bitte."

Ich verkniff mir meine Widerworte.
Der Werwolf sah erschöpft aus.
Ein Teil seines Ohrs fehlte und ein blutiges Rinnsal tropfte in den Kragen eines notdürftig übergeworfenen Mantels.
Seine Augen waren gerötet.
Scheinbar machte ihm Florence Gefangennahme doch etwas aus.

*

Louis stürzte seinen Whiskey in wenigen Schlucken herunter.
Er ertrug die Stille seines Hauses nicht mehr.
Seine Gedanken waren zu laut.
Louis wünschte, dass sie hier wäre um ihn zu trösten, doch ihr Sessel blieb leer.

Er hatte ihr vertraut und seine Brüder verraten, während sie ein Bündnis mit Graham geschlossen hatte.
Hass wallte in ihm auf.
Er hatte versucht sie zu schützen, doch sie hatte ihm einen Dolch in den Rücken gedrückt.
Ein Fluch kam über seine Lippen.

Jemand legte eine Hand auf seine Schulter.
"Ich dachte, du wolltest dem Alkohol abschwören."

Louis konnte nicht lachen, doch Ivans Stimme  beruhigte ihn.
"Es tut mir so leid", hauchte er und drehte sich zu seinem besten Freund.
Der winkte ab.

"Wir wurden alle belogen."
Seine Augen glänzten feucht, doch Louis wusste, dass Ivan keinen Hass und keine Trauer verspürte.

"Geh zu ihr."
Louis zwang sich zu einem Lächeln.
Er gönnte Ivan sein Glück, auch wenn ihm der Anblick von Liebe nur Schmerzen bereitete.

"Liebt sie ihn noch?"

Louis presste die Lippen zusammen.
"Nein. Er hat sich sehr verändert und das hat auch sie zu spüren bekommen."

Ivans blaue Augen färbten sich stahlgrau.
"Ich töte ihn. Dieser räudige Hund."
Seine Hand ballte sich zu Faust.
Die Stille zwischen ihnen wurde bleischwer.
"Aber ich danke dir dafür, dass du sie gerettet hast."

Louis nickte nur.
Er konnte heute nicht mehr lächeln.

*

Als es klopfte, saß ich über ein Buch begeugt am Schreibtisch.
Ich hatte versucht meine Erlebnisse zu verdrängen, doch es geling mir nicht, also war ich dankbar für die Ablenkung.
Obwohl ich Louis hinter der Tür vermutete, hoffte ich, dass es Florence war und sie mir einige Dinge erklärte.
Ich drehte am Türknauf.

"Jule." Der Mann flüsterte nur, doch ich erkannte seine Stimme sofort.

Meine Augen weiteten sich.
Alle Gedanken schienen zu pausieren und ich umklammerte den Türgriff wie einen Anker.
"Ivan."
Ich hatte eine andere Begrüßung von mir erwartet.
Meine Stimme klang kalt, kälter als ich es beabsichtigt hatte und kälter als die Gefühle, die ich für ihn empfand.

Ein undefinierbarer Ausdruck huschte über Ivans Gesicht, doch dann lächelte er.
"Darf ich reinkommen?"

Ich trat beiseite und ließ mich auf dem Bett nieder.
"Du bist nicht tot", stellte ich fest.
Meine Gefühle waren immer noch wie betäubt.
Ich konnte es nicht realisieren.
"Oder ist das nur ein Traum?"

Ivan lachte, ein volles, herzliches Lachen, das mir eine Gänsehaut bescherte.
Eine angenehme Gänsehaut.
Er war echt und stand direkt vor mir.
Lebendig.
"Nein. Florence hat uns belogen und auch die Geschichte meines Todes erfunden."

Ich sollte gekränkt oder wütend sein, doch nur Glücksgefühle stiegen in mir auf.
Er war echt.
"Geht es dir gut?"
Meine Stimme zitterte.

Ivan nickte, doch ich konnte die Kampfspuren sehen.
Kratzer und Blutergüsse zogen sich über sein Gesicht und der linke Arm hing unbrauchbar herab.
"Und dir?", flüsterte der Werwolf und hob die Hand.
Kurz bevor er mein Gesicht berührte, ließ er sie sinken.
"Ich habe von dir und Graham gehört."

Ich zuckte zusammen, kaum merklich, doch Ivans Augen färbten sich grau.
"Dieser Bastard. Wenn ich ihn das nächste Mal sehe-"
Er ließ den Satz unvollendet.

"Es geht mir gut", beschwichtigte ich ihn.
Das war die Wahrheit.
Ich hatte mich lange nicht mehr so gut gefühlt wie heute und nun kamen die Gefühle langsam wieder hoch.

Ein Zittern durchlief meinen Körper.
"Ich dachte du wärst tot."
Ich stürzte auf ihn zu und presste ihn an mich.
Tränen liefen über meine Wangen.
"Oh Gott, ich dachte du wärst tot."

Ivan blieb zunächst steif stehen, doch dann hob er den Arm und strich mir über den Rücken.
"Ich bin bei dir."
Der Satz hatte nie besser geklungen.

Einige Sekunden später stolperte ich zurück und sah Ivan an.
"Es tut mir leid, ich hätte dich nicht überfallen dürfen."
Ich schlang die Arme um meinen Körper.
Der Gefühlsausbruch war mich peinlich.
Ivan zog die Augenbrauen zusammen.
Ich konnte seine Miene nicht deuten.

"Jule, bitte", flüsterte er und griff nach meinem Arm.
Für einige Sekunden schien er meine Haut nur zu mustern, doch dann zog er mich an sich und küsste mich.

Ich kam mir vor wie eine Märchenprinzessin, die ihr Happy End erungen hatte.

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