Astheneia

Kapitel 31

Die Frau trat an mir vorbei zu Ivans Bett und strich ihm mit der Hand über die Stirn.
"Er ist kalt", bemerkte sie.

Ich nickte nur und sah auf.
Das runzelige, blasse Gesicht schenkte mir ein Lächlen.

"Aber das ist nichts, was wir nicht wieder hinkriegen würden, oder?"
Die alte Dame schlenderte zum Monitor und prüfte die Werte.
"Ach ja, Ivan muss sich wieder durchbeißen. So kennen wir ihn."
Beiläufig tätschelte sie seine Schulter.
"Da hat sich Graham eben doch nochmal gerächt."

Das Bedürfnis, sie zum Schweigen zu bringen, wurde groß und ich ballte eine Faust.
"Verlassen Sie das Zimmer."

"Nicht doch." Die Alte tätschelte mir den Rücken.
"Du willst ihn doch retten oder?"

Ich drehte mich um und erhaschte einen Blick auf ihr Gesicht, dass zu einer bedrohlichen Fratze verzogen war.

"Oder nicht?"
Sie neigte den Kopf und meine Kehle wurde trocken.
Ich schluckte.

"Wie soll das denn gehen?", knurrte ich.
"Wie? Wenn er doch nicht mehr aufwachen wird?"

"Er braucht seine Seelenverwandte. Nur sie kann ihn retten", erwiderte die alte Frau.

Ich schnaubte nur.
"Sie existiert nicht. Vermutlich ist sie vor Jahren gestorben."
Meine Augen brannten, doch es wollten keine Tränen kommen.

"Ach, Dummchen. Und was wenn der Himmel Gnade zeigt und ihm jemand anders schenkt?"
Ihr Grinsen enblößte gelbe Zähne.

"Gnade", spottete ich und schenkte Ivan einen langen Blick, "wir haben lange genug um Gnade gebettelt."
Meine Gedanken kehrten zu Graham zurück und für einige Momente war ich wieder ein schwaches kleines Mädchen mit zittrigen Fingern.

"Aber wir können ihn auch zwingen."

Ich richtete mich auf. "Wie?"
Hatte die Alte gelogen?

Sie setzte sich auf dem Boden in einem Schneidersitz und nahm meine Hände in ihre.
"In Finnland, im äußersten Rand der Tundra, gleichen die Werwölfe mehr Tieren als Menschen. Ihre Lebensstrom ist eiskalt, doch reißend wie die Gletscherflüsse. Und ihre Kraft verleiht ihnen nicht nur starke Körper, sondern auch Magie."

"Magie?"

Die blauen Augen funkelten.
"Magie."

*

Louis trat von einem Bein auf das andere und fuhr sich durch das Haar, das mittlerweile in alle Richtungen abstand.
Der Raum war leer und die Stimme, die ihn durch das Telefon anbellte, klang blecher.
"Sie müssen das verstehen", bat der Werwolf.

"Nein. Sie müssen verstehen, dass Geld ihnen nicht alles kaufen kann."
Die Leitung klickte.

Louis ließ sein Handy sinken und stieß einen leisen Fluch aus.
Er telefonierte bereits seit drei Stunden und die Versuchung, aufzugeben, wuchs.
Seine Finger glitten jedoch wie von selbst über den Bildschirm und tippten eine weitere Nummer seiner Liste ein.
Das Papier leerte sich.

*

"Sie wollen also behaupten, dass diese Menschen magisch sind? Können sie schweben oder Gedanken lesen? Elefanten rosa färben?", spottete ich.

"Nicht das." Die Alte hob abwehrend die Hände. "Sie können bestimmte Zauber wirken. Unter anderem Paare vereinen.
Eine romantischen Zeremonie mitten in der Eiswüste und Versprechen, dass Magie wirken kann."

Ich konnte nur schnauben.
"Und das soll ihn retten?"
Bis jetzt erkannte ich in der Zeremonie nichts außer einer Eheschließung.
"Eine Hochzeit?"