Ich presste die Arme an meinem Köper.
Eiskalter Wind fegte über die Landschaft und die Sonne hing noch tief über den Horizont.
Die Trage war bereits ins Haus gebracht worden, doch ich stand noch draußen.
Meine Gedanken mussten abkühlen."Komm rein", rief jemand aus dem Fenster.
Ohne aufzusehen, führten mich meine Schritte ins Haus.Eine alte Frau kam mir entgegen.
Sie hatte uns hier aufgenommen und gehörte selbst zu keinem Rudel, also kannte sie mich und meine bereits und nickte nur wohlwollend.
"Geh zu ihm, er braucht dich", murmelte sie und drückte meine Hand."Er braucht nicht mich", erwiderte ich, doch ich war nicht in der Lage hinzuzufügen, was wir alle wussten.
Er braucht seine Seelenverwandte.
Der Gedanke brannte in meiner Seele und löste meine Hand von ihrer.Die Frau lächelte nur. "Geh trotzdem zu ihm, mein Kind. Die Seele kann nur heilen, wenn wir ihr einen Grund geben."
Ich verkniff mir eine Antwort und machte mich auf den Weg zu Ivan.
Die Tür zu seinem Zimmer war angelehnt und Stimmen drangen nach draußen.
Aufgeregte Frauen und ein Mann, der mir wage bekannt vorkam.
Ich nahm all meinen Mut zusammen, setzte ein falsches Lächeln auf und betrat den Raum."Jule", rief ein Söldner, den ich bereits einige Male gesehen hatte.
Er war nett, auch wenn er gelegentlich einen über den Durst trank.Sein Bierbauch hüpfte, als er verlegen kicherte.
Wohl wieder dicht, dachte ich und schwieg."Das sind Mila, Irina und Darja."
Die drei Frauen kicherten verlegen.Sie waren zweifelsohne schön, das glänzende Haar fiel ihnen in Wellen über die zierlichen Körper und ein scheues Lächlen zierte puppengleichen Gesichter.
Nur in der Haarfarbe unterschieden sie sich.
Während die zwei größeren Frauen eine blonde Lockenmähne trugen, wurde das Gesicht der Kleinsten von dunklen Strähnen umspielt.Ich hasste sie augenblicklich.
"Was tun sie hier?", fragte ich dennoch mit gezwungenem Lächeln.Die Blonden flüsterte sich etwas zu und lachten.
"Ich habe sie eingeladen, weil sie aus dem Gebiet von Ivans Familie stammen. Eine könnte seine Seelenverwandte sein", erklärte der Söldner.
"Sind ja auch hübsche Dinger."Ich wollte würgen.
Dieser Mann maßte sich an, über Ivan zu bestimmen, drei jungen Frauen Hoffnung einzuflößen und sie dann so zu beleidigen."Verlassen Sie den Raum."
Seine Augen weiteten sich.
"Aber-""Verlassen Sie den Raum. Sofort."
Der Werwolf erbleichte. "Sie können nicht-"
"Ich kann und ich werde", erwiderte ich nur und schenkte ihm ein Grinsen.
"Nein." Seine Wangen und die fleischige Nase färbten sich wieder rot.
"Du bist doch auch nur eine Rotzgöre. Ivan hatte eine Weile Spaß mit dir, na und?
Eure Zeit ist vorbei.
Es gibt tauschend Frauen, die an sein Krankenbett pildern werden und bald bist du vergessen.
Und dann werden wir uns wiedersehen."Er kam mir so nah, dass ich seine Fahne auf meinem Gesicht spüren konnte, und tippte mir gegen die Brust.
"Shlyukha", knurrte der Söldner noch und stiefelte aus dem Raum."Wagen Sie es nicht", brüllte ich ihm noch hinterher, um die Fassung zu wahren, doch er hatte mein Imneres kaputtgetreten.
Er hatte doch Recht.Ich blinzelte die Tränen weg und drehte mich zu den drei Frauen um.
"Könnten Sie das Zimmer verlassen, bitte?"Die Reaktionen waren gemischt.
Die Brünette folgte meiner Anweisung mit mitleidiger Miene und klopfte mir sogar auf die Schulter, doch die zwei Blondinen blieben stehen.
Sie musterten mich unverhohlen, doch dann erstarb ihr Lächeln."Vanjuscha wird nicht mehr aufwachen, oder?", hauchte die Kleinere mit kaum wahrnehmbaren Akzent.
Die andere legte ihr eine Hand auf die Schulter.
"Wir kennen ihn auch von seiner Zeit als Söldner hier und wollten nur wissen, wie es ihm geht", erklärte sie in perfektem Englisch.
"Mein herzliches Beileid", fügte sie schließlich hinzu und zog ihre Begleiterin mit sich nach draußen.Als die Tür ins Schloss fiel, wurde mir klar, was die Blondine gemeint hatte.
Ivan hatte keine Chance mehr.Das Bett knarzte leise, als ich mich auf den Rand setzte und nach Ivans Hand griff.
Der Schweißfilm auf seiner Haut war mir schon fast vertraut und doch machte er mir wieder klar, dass es nicht gut um ihn stand.
Es lag am Verlust der Milz, der sein Immunsystem so geschwächt hatte und Keimen ein leichtes Spiel geboten hatte, doch auch die anderen Verletzungen machten es ihm nicht leicht.*
"Kann ich reinkommen?"
Louis betrachtete das Holz der Tür.
Ob Jule aufmachen würde?
Sie hatte viel durchgemacht.
Nachdem sie Ivan schon mal verloren hatte, schwebte er nun wieder zwischen Leben und Tod.Auch er war kurz davor, alles zu verlieren.
Louis musterte die Krusten auf seinen Fingerknöcheln, als ein Geräusch aus dem Zimmer drang."Es ist offen."
Jules Stimme war heiser. Sie musste wohl geweint haben.Louis drückte die Klinke herunter und betrat den Raum.
Drinnen herrschte eine drückende Stille. Der Geruch von Desinfektionsmittel und Blut hing in der Luft.Louis versuchte den Ekel herunter zu schlucken, doch als sein Blick auf Ivans durchgeblutete Verbände fiel, begann er zu würgen. Eigentlich hatte er keine Probleme mit Blut, doch Krankenhäuser waren ihm keine Freunde.
Eilig wandte er sich ab. Nach einigen Atemzüge verschwand die Übelkeit."Tut mir leid", murmelte der Werwolf.
Jule verzog keine Miene.
"Du solltest jemanden kommen lassen, nicht?"Das Mädchen legte abwesend den Kopf schief.
Die Antwort ließ auf sich warten.
"Du hast wohl Recht", hauchte sie dann.
"Wieso bist du eigentlich gekommen?"Jule zog die Augenbrauen zusammen und musterte ihn. Misstrauen stand in ihrem Blick.
Sie hatte ihn noch nie so angesehen.
Dieser Gedanke versetzte ihm einen Stich, doch Louis ließ sich nichts anmerken.
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Astheneia
WerewolfWas ist wahre Liebe? Jule hat einen Plan vom Leben, doch als Graham plötzlich in ihr Leben tritt, gerät ihre Welt ins Wanken. Und dann trifft sie Ivan wieder. Ivan, der vor zwei Jahren unter mysteriösen Umständen verschwunden ist und dabei Jules Her...