Der Werwolf konnte den Blick nicht abwenden.
Am liebsten hätte er aufgehört zu blinzeln und nur noch sie betrachtet, doch ihr Bild verschwamm immer wieder.
"Alles in Ordnung?"
Er bemerkte den Mann hinter sich kaum.
Erst als dieser seine Schulter rüttelte, kam wieder Leben in den Werwolf.
"Ich denke schon", hauchte er. "Ja, es ist wieder alles in Ordnung."
So hatte er diese Frage lange nicht mehr beantwortet.
Das Mädchen bewegte sich und er zuckte zusammen. Sie konnte jederzeit von Baum stürzen und dieser Gedanke ließ sein Herz stolpern.
Er konnte sie nicht wieder verlieren.
"Auf welcher Seite stehen sie?"Der Mann neben ihm faltete die Hände.
"Louis", flüsterte er schließlich.Der Werwolf ballte eine Faust.
"Dieser Verräter." Übelkeit stieg in ihm auf.
Er erinnerte sich an das Versprechen, dass er Louis abgenommen hatte, doch er hatte nie geglaubt, dass dieser räudige Hund es so missbrauchen würde."Habt ihr Graham aufgespürt?"
Ablenkung. Verdrängen, nicht vergessen. Geduld, dann Rache.
All die eingeprügelten Ratschläge waren so bedeutungslos, wenn es um sie ging.
"Habt ihr ihn? Nein?", brüllte er.Der Hüne zuckte zusammen wie ein kleines Kind.
"Noch nicht."Sein Atem stockte.
Graham stellte eine Gefahr für sie dar.
Er war ein Monster, ein wildes Tier mit Blutdurst. Eigentlich machte er keine Unterschiede mehr im Töten, doch Jule rief vielleicht verlorene Erinnerungen wach. Es würde wehtun und Graham würde sie ausmerzen.
Töten. Zerfleischen. Ihr die Kehle herausreißen und in den dunkelroten Pfützen heruntollen.
Seine Muskeln verkrampften.
"Strengt euch mehr an."Der Söldner nickte nur, doch Angst stand in seinem Gesicht.
"Bitte", meinte der Werwolf nun ruhiger.
Die Kontrolle zu behalten war schwierig geworden"Natürlich, Ivan."
Der Hüne nickte ihm zu und rief dann seine Kollegen zu sich.*
Mein Blick huschte über die Tümpel.
Die Landschaft war atemberaubend und nichts deutete daraufhin, dass das Schmutzwasser sich bald rot färben würde.
Es wirkte nicht wie ein Schlachtfeld."Willst du etwas?" Florence drückte mir, ohne auf eine Antwort zu warten, ein belegtes Brot in die Hand.
Schweigend biss ich herein."Sie sind bald hier."
Ich umklammerte meine Waffe fester.
Das Blutbad würde bald beginnen.Wenige Minuten später rüttelte Florence mich am Arm. Sie hatte die Umgebung mit ihrem Fernglas beobachtet.
"Sie sind hier", hauchte sie.
Ihre Stimme ließ kaum Emotionen erkennen, doch der Ausdruck auf ihrem Gesicht war eindeutig.
Aufregung.
Positive Aufregung.
Florence hatte sich wirklich verändert.Mein Blick glitt zur Ebene. Louis drehte in seiner Wolfsform Kreise zwischen den Tümpeln.
Immer wieder schnüffelte er am Boden.Die Söldner waren verschwunden und mit ihnen auch der Mann, der mich so gemustert hatte.
Allein der Gedanke an ihnen beschleunigte meinen Herzschlag.
Ich war nicht sicher, ob ich Angst hatte."Es beginnt gleich", flüsterte Florence und schreckte mich aus meinen Gedanken.
"Gleich.""Aber es ist doch niemand hier."
Mit zusammengekniffenen Augen musterte ich den Schlamm und die Bäume.
"Nur Louis' Rudel ist hier."Florence lachte leise.
"Du siehst du nicht, aber sie sind hier, glaub mir. Warte nur ein paar Sekunden."
Sie streckte den Zeigefinger in die Luft, als warte sie auf ein einsetzendes Orchester.Louis begann zu heulen und sein Rudel stieg mit ein.
Es war ein langgezogener Klagelaut, der in einem Knurren endete."Eine Kriegserklärung", meinte Florence und ich nickte nur.
Sie griff nach meinem Arm, als wolle sie verhindern, dass ich aufspringe und ins Moor renne.Ich wollte Florence gerade fragen, was denn passieren würde, als sich die Schatten der Büsche erhoben und sich in Wölfe wandelten.
Deshalb die schwarzen Umhänge.
Immer mehr Wölfe traten aus dem Schatten, deutlich mehr, als ich damals unter dem Baum gesehen hatte.
Die Schatten formatierten sich und streckte Louis die gebleckten Zähne entgegen.
Es war ein faszinierendes Schauspiel.Dann wandelten sich die Anführer zurück.
Louis Blick war starr auf den Mann vor ihm gerichtet.
Es war ein sehniger, rotharriger Mann. Brite vermutlich."Louis, mein Lieber.
Mein Vetter, mein Bruder.
Du hast die Seelen deiner Begleiter verkauft und unseren Zorn auf dich gezogen."
Der Brite tigerte um Louis herum, doch der wandt nicht mal den Kopf."Theodore, mein Lieber", knurrte er nun.
"Ich hätte lieber einen Vertrag mit euch geschlossen, als euch auf diese Weise auszulöschen, doch ich schätze mir bleibt keine Wahl."
Seine Stimme war schwer zu deuten, doch ich meinte, Bedauern darin zu erkennen.Ich kannte die Geschichte nicht, doch ich glaubte trotzdem kaum, dass Louis eine weiße Weste trug.
Kein Werwolf war unschuldig."Worüber sprechen sie?", fragte ich Florence, doch die presste mir eine Hand auf den Mund.
Ich protestierte leise.Dann nahm ich eine Bewegung vom Schlachtfeld war.
Ein rießiger europäischer Wolf hatte sich umgewandt und musterte mich.
Gänsehaut überuog meinen Körper.
Es war der Blick des Söldners, doch er erinnerte mich an jemand anderen.
Meine Brust schmerzte beim Gedanken an Ivan und ich sah zu Boden.Florence packte meine Hand, doch vermutlich bemerkte sie kaum, was sie tat, so sehr fieberte sie mit.
"Gleich beginnen sie", flüsterte sie, als sie meinen Blick bemerkte.
Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte, also schwieg ich."Was du getan hast, ist unverzeihlich und muss mit dem Tode bestraft werden", brüllte der Brite nun.
Louis verzog zum ersten Mal das Gesicht.
Bereute er seine Taten oder hatte er nur Angst? Ich wusste es nicht."Du wirst sterben", rief der Rothaarige und wandelte sich.
Seine Gliedmaßen verzerrten sich grotesk, als er noch während der Wandlung auf Louis zusprang.
Der wich nur aus und verwandelte sich.Die Wölfe verbissen sich ineinander und im nächsten Moment begannen auch die Rudel zu kämpfen.
Bereits nach Sekunden verlor ich den Überblick, doch Florence saß wie eine Scharfschützin im Baum und schoss.
Ihre Opfer sackten so schnell zusammen, dass sie nicht mal Zeit hatten sich zu wandeln.Blut spritzte und rote Bäche floßen zusammen.
Werwölfe schienen unglaublich viel Blut zu besitzen.
Von allen Seiten drang Kriegsgeschrei zu mir, doch am schlimmsten war das Stöhnen der Sterbenden.Ekel und Schock drückten auf meinen Magen und ich steckte die Waffe weg.
Ich konnte das nicht.Mein Blick fiel auf einen jungen Mann, der sich im Eifer des Kampfes zurückgewandelt hatte.
Sein schmutzig blondes Haar wehte im Wind und ich konnte das Blut sehen, dass die Strähnen dunkel gefärbt hatte.
Er kam mir bekannt vor.
Vermutlich stammte er aus Louis Rudel und wir waren uns begegnet.
Er rannte zwischen den Kämpfern entlang und schrie etwas, doch der Wind trug seine Worte fort.
Sein Blick schien einem Wolf aus dem gegnerischen Rudel zu gelten. Vielleicht hatte er ihn erkannt.
Der Gedanke versetzte mir einen Stich.
Hier kämpften Blutsbrüder und Vetter miteinander.Ein hellbrauner Wolf wurde auf den Jungen aufmerksam.
Er machte einen Satz und riss den Blonden von den Füßen.
Ich wollte den Blick abwenden, doch ich konnte nicht.
Der Wolf biss zu und sein Fell färbte sich dunkelrot.
Als er aufstand bleckte er die Zähne und ich konnte das Blut herunterlaufen sehen.
Genugtuung stand in seinem Blick.
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Astheneia
WerewolfWas ist wahre Liebe? Jule hat einen Plan vom Leben, doch als Graham plötzlich in ihr Leben tritt, gerät ihre Welt ins Wanken. Und dann trifft sie Ivan wieder. Ivan, der vor zwei Jahren unter mysteriösen Umständen verschwunden ist und dabei Jules Her...