Kapitel 7

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Ivan.
Ich schluckte.
Graham muss gelogen habe, flehte ich und schmiss meine Sorgen über Bord.
Mit vorsichtigen Schritten lief ich zu ihm.

Ivan musterte mich lange.
"Was hat er getan?" Seine Stimme war zu einem unmenschlichen Knurren geworden, dass mich stark an Graham erinnerte.

Ich schüttelte den Kopf, doch im selben Moment spürte ich Tränen über meine Wangen laufen.

"Steig ein", murmelte Ivan und presste die Lippen zusammen.
Mein Blick fiel wieder auf die Verletzung an seiner Stirn und ich erinnerte mich an den Satz, den er das letzte Mal gesagt hatte.
"Sag das nie, nie wieder."

Was wenn Graham ihn verletzt hatte?
Und er ihm etwas tun würde?
Meine Hand schwebte über dem Türgriff. Tat ich das Richtige?

"Steig jetzt ein, verdammt."
Ivan vergrub den Kopf in den Händen.
"Es tut mir leid", flüsterte er und ich sah Tränen in seinen Augen schimmern, als er wieder aufsah.

Kurzentschlossen stieg ich ein.
Auch Ivan brauchte mich.
"Was hat er dir getan?", wiederholte er nach einigen Minuten.

Ich ging nicht auf seine Frage ein. "Bist du..." Meine Stimme brach.
"Er hat es dir erzählt?", flüsterte Ivan und sah zu mir.

Tränen schossen mir in die Augen, als mir klar wurde, was das bedeutete.
"Du bist auch eine Bestie?" Ich spuckte den Satz förmlich aus.

Schweigen umhüllte uns.
"Kann ich dir etwas zeigen?", fragte er schließlich und noch ehe ich nachgedacht hatte, nickte ich.

Im selben Moment wollte ich mich für meine Naivität erschlagen.
Ivan bog kommentarlos in eine Seitenstraße ein.
Der Wald wurde dunkler, ungepflegter und mein Herz schlug wieder schneller.

"Wieviel hat er dir gesagt?" Ivans Gesicht war auf die Straße gerichtet, doch ich sah, dass er mich aus dem Augenwinkel beobachtete.

"Er hat von seinem Rudel erzählt. Und von Seelenverwandten. Von mir", murmelte ich und unwillkürlich strömten neue Tränen über meine Wangen.

Ivans Finger gruben sich tiefer in das Lenkrad.
"Wir sind da."

Er stieg aus.
Der Wald hier war dunkel und  ich konnte die Sterne über uns funkeln sehen.
Das Licht der Stadt schien in weiter Ferne zu verglühen und alles fühlte sich unendlich weit weg an.
Es war schön hier.

"Ich kann dir meine Wolfform zeigen wenn du willst", gestand Ivan und sah mich abwartend an.

"Kannst du deine tierische Seite denn kontrollieren?", flüsterte ich und Ivan riss die Augen auf.

"Wieso sollte ich es nicht können?" Er klang verwirrt.

"Er hat gesagt, dass ...", ich stockte und lehnte mich an das Auto, "er sich nicht kontrollieren konnte."
Stumme Tränen rannen über mein Gesicht.

Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass Ivan einen Schritt mäher trat.
"Ist es in Ordnung, wenn ich dich umarme?"

Mein Herz setzte einen Schlag aus und meine Gedanken fingen an zu kreisen.
Ich hatte Ivan viele Jahre lang vertraut und bis zu seinem Verschwinden hatte ich das nie bereut.
Auch wenn er sich im letzten Jahr vermutlich verändert hatte, Ivans wahres Ich war noch irgendwo da drin.

Kurzentschlossen warf ich mich in seine Arme.

"Ich hab dich vermisst", flüsterte er in mein Haar und ich drückte ihn fester an mich.
"Graham wird mich dafür töten."

Er gab mir etwas mehr Raum und sah mir in die Augen.
"Und wer weiß, vielleicht sollte ich mich endlich gegen ihn auflehnen."
Seine Stimme hatte eine Ernsthaftigkeit, die mir einen Schauer über den Rücken trieb.

Vorsichtig strich ich ihm über den Arm.
Ich wusste nicht welches Spiel hier gespielt wurde, doch ich war zu tief drin um jetzt aufzuhören.

"Was meinst du?", flüsterte ich.

Er sah auf.
"Graham würde uns töten, wenn er uns so sehen könnte. Beide", murmelte Ivan wieder und legte seine Stirn an meine, ohne auf meine Frage einzugehen.
"Und ich hätte ihn getötet, wenn euch gesehen hätte."

Mein Atem beschleunigte sich.
Ich würde Graham ohne weiteres einen Mord zutrauen, aber Ivan?
Vielleicht hatte seine innere Bestie auch ihn in Besitz genommen.
Sein Blick ereichte meine Augen und mein Gedankenkarussel stoppte.

Nervös sah er auf meine Lippen.
"Ist es okay wenn ich..." Er stockte.

Schüchtern kam ich näher und legte meine Lippen auf seine.
Der Kuss war sanft und liebvoll, doch plötzlich drückte Ivan mich von sich.

"Deine Lippen schmecken nach ihm."
In seinem Gesicht kämpfte Eifersucht und Sorge miteinander, ich sah tausend ungesagte Wörter, doch Ivan schwieg.

Mein Blick heftete sich an eine Tanne.
"Ich habe ihm gesagt, dass er aufhören soll", flüsterte ich.
"Ich habe ihm in die Lippe gebissen."

Ivan zog mich an sich und schüttelte den Kopf.
"Nein", knurrte er in meine Halsbeuge.
"Ich töte ihn."

Meine Tränen fielen auf sein T-Shirt, doch er schien es kaum zu bemerken
"Ich habe soeben mein eigenes Todesurteil unterschrieben", flüsterte er, "aber ich würde es wieder tun."
Er gab mir einen Kuss auf die Stirn.

"Graham wird dich zu seiner Königin machen", sprach er leise zu sich selbst und ich bemerkte einen bitteren Zug um seinen Lippen.
Der Satz machte für mich überhaupt keinen Sinn, doch ich fühlte, dass er mein Leben noch entschieden beeinflussen würde.

"Nein, ich will das nicht", flüsterte ich.
Ivan sah überrascht auf.
"Das war ein Abschiedskuss", gestand er. "Du kannst nur Graham lieben. Ich weiß das."
Sein Lächeln saß schief und ich sah seine Kiefermuskulatur hervortreten. Er schien wirklich zu glauben, dass ich Graham liebte.

Ich schüttelte den Kopf.
"Ich weiß nicht, was ich dir gegenüber empfinde. Aber alles ist besser als Angst. Graham ist ein Monster."
Stille.

Ivans Augen weiteten sich.
"Du musst- Das ist unmöglich. Seelenverwandschaft ist wohl das grausamste Geschenk unserer Existenz, aber wir müssen sie akzeptieren."

Verwirrt schüttelte ich den Kopf.
"Außer der seltsamen Wärme, die er austrahlt, und einem Kribbeln fühle ich aber nichts."

Ivan zog seine Augenbrauen nach oben.
"Das ist unmöglich. Graham ist ein Alpha. Seine Mateverbindung ist noch stärker", erklärte er ungläubig.
Ich trat einen Schritt zurück.

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