Louis saß in seinem Büro und wartete auf den Brief seines Vetters.
Die meisten Werwölfe verständigten sich nur per Post, da ein polnisches und zwei italienische Rudel bekannt für ihre Hackingangriffe auf E-Mail waren.
Außerdem war die Post nie aus der Mode gekommen und es war einfach stilvoller, die Feder zu zücken.Der Werwolf horchte auf. Jemand stand vor der Tür, doch er schien sich nicht zu trauen, zu klopfen.
"Herein."
Er bemühte sich, seiner Stimme einen warmen Klang zu verleihen.Florence betrat den Raum und ließ sich auf dem Stuhl gegenüber von Louis nieder.
Die junge Frau zupfte an ihrem Rock herum. Sie wirkte nervös.
"Der Brief aus Europa ist zugestellt worden."Der Alpha nickte, doch er wusste, dass da noch etwas war.
"Du hast ihn gelesen, oder nicht?"
Es lag jeine Anschuldigung in seinen Worten.
Louis hätte vermutlich ähnlich gehandelt.Florence sah zu Boden.
"Dein Vetter sagt, dass du den Krieg nicht aufhalten könntest. Bald werden sie angreifen."
Die Worte schienen schwer auf ihren Schultern zu lasten und sie sackte förmlich in ihrem Stuhl zusammen."Ich wusste das."
Louis zwang sich zu einem Lächeln.
"Beziehungsweise habe ich es vermutet."Florence schien nicht beruhigt, sondern rutschte nur auf ihrem Stuhl hin und her.
"Und jetzt?", fragte sie.Der Werwolf presste die Lippen zusammen.
Vor dieser Frage hatte er sich gefürchtet.
Florence würde seinen Plan nicht gutheißen und er konnte das verstehen.
Sie hatte nicht durch seine Ausbildung gehen müssen und konnte deshalb wohl nicht beurteilen, was dieser Krieg bedeutete.
Es war ein Kampf zwischen den Allianzen, zwischen Freunden.
Louis hatte seine Versprechen gebrochen und das konnte Florence nicht verstehen.
Er tat es selbst kaum mehr."Ich weiß es nicht, Schatz."
*
Der junge Mann beugte sich über das Waschbecken einer öffentlichen Toilette.
Er sah in den Spiegel, doch er erkannte sich kaum.
Das blonde Haar war verdreckt und tiefe Ringe hatten sich unter seine Augen gegraben. Er sah grauenvoll aus.Der Werwolf spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Ein Krieg stand bevor, er hatte keine Zeit für Lappilien.
Eine Allianz, geschmiedet im Feuer der Geschosse, war zerbrochen.
Blut war vergossen worden und er verzehrte sich nach Rache.
Nach Rache, nach bittersüßer Rache.Seine Briefe mussten inzwischen angekommen sein und durften für einige Aufruhr gesorgt haben.
Er hatte sich nur für einen Mord rächen wollen, doch inzwischen war ihm egal, wer in das Spiel um Leben und Tod hineingezogen wurde.
Alles, was er geliebt hatte, war zerfleischt worden oder lag in Scherben am Boden.*
Ich saß in einem Brokatsessel und las ein Buch, als Florence in mein Zimmer stürmte.
"Du musst packen", ordnete sie an.
"Für mindestens zwei Wochen."
Sie lief auf den weißen Holzschrank zu."Wieso? Was ist geschehen?"
Meine Stimme überschlug sich fast.
Der Krieg hat Vorsicht in mir geweckt, vielleicht auch Paranoia.Florence trat an den Sessel und legte ihre Hände auf meine.
"Ach Jule, ich hoffe, dass du bleiben kannst, aber ich will nur vorsorgen", gestand sie.
"Louis wird alles in seiner Macht Stehende tun, um uns zu schützen.
Er hat es versprochen."Wieder diese Andeutung.
"Was meinst du damit?"Florence lächelte und legte einen Finger an die Lippen.
"Nicht jetzt."Die junge Frau zog einen Koffer aus dem Schrank und stellte ihn auf den Boden.
"So, und jetzt beginn einfach zu packen. In einigen Wochen wirst du es wieder auspacken können."Ich schätzte Florences Optimismus normalerweise, doch heute konnte ich ihren Worten keinen Glauben schenken.
Trotzdem setzte ich ein gezwungenes Lächeln auf und schmiss einige Pullover in den Koffer.
Florence half mir und suchte Jeans aus. Sie bemühte sich sogar um einige lockere Sprüche, doch ich beachtete sie kaum.Meine Gedanken kreisten nur um den bevorstehenden Krieg.
Wie konnte ich das alles verhindern?
Das letzte Mal war ich eine Gefangenen gewesen, doch heute war ich stark und hatte die Unterstützung der Rebellion.
Louis und Florence standen hinter mir, egal was kommen würde."Wer greift uns an?", fragte ich nachdenklich, während ich einen BH in den offenen Koffer warf.
Florence seufzte. "Eine Allianz verschiedener Rudel, beziehungsweise der Erben, zu der auch Louis und Ivan einst gehörten."
"Ivan?", flüsterte ich.
Der Name versetzte mir immer noch einen Stich, doch diese Information schien zu wichtig."Ja." Das zierlichen Mädchen wich meinem Blick aus und griff nach einer Bluse.
"Die Allianz besteht aus einigen Söldnern, die im Krieg gemeinsam gekämpft haben.
Du muast wissen, dass es Tradition ist, seine Erben als Söldner durch die Labde ziehen zu lassen. So sollen sie Erfahrungen sammeln und die Bündnisse zu anderen Rudeln stärken."
Sie zögerte.
"Meistens klappt das auch."Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach und so schwiegen wir.
"Vermisst du ihn noch?"
Ich wollte zunächst bejahen, doch mir fiel kein Wort ein, um meinen Schmerz zu beschreiben.
"Ja, er-" Meine Stimme brach und Tränen traten in meine Augen.Wieso tat es so weh?
Graham war ein herber Verlust gewesen, doch die Trauer hatte sich auf Mitleid beschränkt.
Bei Ivan jedoch, brach ich jedes Mal wieder in Tränen aus.
"Es tut mir leid.""Oh nein, es sollte mir leidtun." Florence schloß mich bestürzt in die Arme.
"Diese Frage ging zu weit.""Erzähl mir mehr über die Allianz", brachte ich gepresst hervor.
Es war mir unangenehm, meine Trauer so vor anderen zu zeigen."Nun, als Ivan und Louis noch jünger waren, gab es einen großen Krieg in Osteuropa.
Ivan war zu dieser Zeit auf der Suche nach seiner Seelenverwandten und deshalb, wie du sicher weißt, nach Europa geflogen.
Also, als er dann aufgrund seiner sporlichen Fähigkeiten die Einladung bekam, an der Seite der Besten, der Erben, zu kämpfen, sagte er natürlich zu.
Sie zogen gemeinsam durch viele Länder und überstanden einige brenzlige Situationen.
Ich muss Louis bitten, dir einige Geschichten zu erzählen, er tut nichts lieber als das."
Das Mädchen lachte, doch dann zogen sich ihre Augenbrauen zusammen.
Ich wurde aus ihrem Gesichtsausdruck nicht schlau."Nun, ich denke wir sind hier fertig", murmelte Florence schließlich und nickte mir noch zu.
"Sag Bescheid, wenn du etwas brauchst.""In Ordnung, Danke."
Ich lächelte ihr zu, doch Florence sah nicht auf, als sie den Raum verließ.
Irgendetwas schien sie zutiefst verwirrt oder verängstigt zu haben.
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Astheneia
WerewolfWas ist wahre Liebe? Jule hat einen Plan vom Leben, doch als Graham plötzlich in ihr Leben tritt, gerät ihre Welt ins Wanken. Und dann trifft sie Ivan wieder. Ivan, der vor zwei Jahren unter mysteriösen Umständen verschwunden ist und dabei Jules Her...