Kapitel 8

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Ivans Worte überforderten mich und er merkte das.
"Es tut mir leid Jule." Er schwieg eine Weile und schien nachzudenken.
"Willst du meinen Wolf immer noch sehen?", fragte Ivan und seinen Wangen röteten sich etwas.
"Ich bin natürlich kein Alpha, die sind immer etwas stärker, aber europäische Werwölfe sind meistens deutlich massiger und größer."

Ich hörte den Stolz in seiner Stimme und lächelte unwillkürlich.

"Vielleicht sollte ich kurz verschwinden, es wäre besser wenn ich mich ausziehe um mich zu verwandeln. Die ständigen Shoppingtouren gehen sonst ins Geld", gab er lachend zu.

Ich errötete und drehte mich weg, während Ivan scheinbar hinter einer Tanne Schutz suchte.
Ein lautes Krachen ertönte und fast wäre ich wieder herumgeschoßen, doch ich redete mir ein, dass das wohl dazugehören musste.
Einige Sekunden passierte nichts, doch dann nahm ich ein warmes Brummen wahr.

Langsam drehte ich mich um.
Vor mir räckelte sich ein riesiger grauer Wolf. Ivan schien noch müde zu sein.
Das Schmunzeln verging mir, als der Wolf aufsah.

Jetzt bestand kein Zweifel mehr.
Ich sah direkt in Ivans Augen.
Seine sonst eher blau wirkenden Iriden hatten einen dunkelgrauen Ton angenommen, der mir schon ein paar Mal aufgefallen war.

Der Wolf fixierte mich und schien auf eine Reaktion zu warten.
Nervös atmete ich aus und streckte meine Hand nach oben zu seiner Schnauze aus, was gar nicht so leicht war.
Der Werwolf hatte etwa die Schulterhöhe eines ausgewachsenen Menschens und Ivan trug seinen Kopf stolz erhoben.
Doch als er meine Hand bemerkte, legte der Graue sich nieder und schleckte vorsichtig über meine Handfläche.
Sein Blick war immer noch nervös auf mich gerichtet und er schien abzuwarten, wie ich reagieren würde.

"Wow." Meine Augen glänzten fasziniert, als ich seine Schulter entlangstrich.
"Dein Fell ist wirklich weich", flüsterte ich eingeschüchtert, was dem Wolf ein leises Quietschen entlockte.
"Ist das dein Lachen?" Ich grinste, als der Wolf vor mir nickte.

Vorsichtig lehnte ich mich seine Seite, woraufhin sich der massige Kopf nach hinten drehte.

Ich zeichnete Kreise auf seine Schnauze und versank in Gedanken.
Vor einem Jahr hatte ich noch gedacht, dass Ivan tot war und jetzt saßen wir hier und betrachteten die Sterne.
Es war so unwirklich.

"Das ist der große Bär oder?"
Ich deutete auf ein Sternenbild, das mich ein wenig an den massigen Körper eines Bärens erinnerte.

Ivan sah kurz nach oben und nickte schließlich.
"Ich habe die Sterne lange nicht mehr gesehen", murmelte ich. "Die Lichter der Stadt überstrahlen sie."

Der Wolf bedachte mich mit einem nachdenklichen Blick und ich ließ mich tiefer in das Fell sinken.
"Danke für alles." Meine Stimme war leise und ich war nicht sicher, ob Ivan mich überhaupt gehört hatte.
Der Schlaf zog mich mit unaufhaltsamer Kraft in die Dunkelheit.

Ein leichtes Schaukeln weckte mich wieder.
Mit geschlossenen Augen versuchte ich meine Gedanken und Träume zu ordnen, doch plötzlich schoss mein Kopf hoch.

"Ivan?", fragte ich verschlafen.
Der Junge sah zu mir.
Erst jetzt fiel mir auf, dass Ivan mich trug.
"Bist du wirklich ein Wolf?"
Meine Stimme war selbstsicherer als ich befürchten hatte.
Der Traum war auf eine seltsame Art und Weise schön gewesen.
Ich sah zu Ivan, der nervös schluckte.

"Ja", gab er schließlich zu.
Sein Blick ruhte weiterhin auf mir und er blieb stehen.
"Ist das ein Problem für dich?"

Ich dachte einige Sekunden nach, doch dann schüttelte ich den Kopf.
Inzwischen konnte man Ivan die Erleichterung ansehen, doch ich haschte immer noch den Traumbildern hinterher.
"Dann hast du mich auch geküsst?"

Sein Atem stockte.
Kaum merklich nickte er.

"Das heißt, dass war wirklich kein Traum", murmelte ich zu mir selbst und drückte mich fester an ihn.

"Hast du einen Schlüssel?"

Nickend griff ich in meine Jackentasche.
"Ich kann auch wieder laufen", schmunzelte ich und Ivan begann zu lachen.

"Entschuldigung."
Vorsichtig ließ er mich zu Boden.

"Willst du noch kurz reinkommen? Auf einen Kaffee oder Tee?"

Ivan grinste. "Hast du noch Kekse?"
Wir lachte leise und betraten das Haus.
Meine Eltern waren heute vermutlich zuhause, also legte ich den Finger an die Lippen und bedeutete Ivan leise zu sein und sich auf die Couch zu setzen.
Einige Minuten später kam ich mit einem Kaffee und einem Tee sowie einigen Keksen zurück.

"Weißt du noch, als ich versucht habe dir beim Backen zu helfen?", fragte Ivan und deutete lachend auf die Kekse.

"Es ist ja alles gutgegangen bis dir dann das Mehl runterfallen musste", fügte ich hinzu und grinste breit.

Einige Sekunden lang schwiegen wir beide und trauerten unserer verlorenen Freundschaft hinterher.
Es würde nie wieder so werden wie damals.
Ich nippte an meinem Tee und räusperte mich schließlich.

"Was wird Graham dir antuen?"
Meine Stimme war zu einem Flüstern zerbrochen.
Graham war mehr als nur kaltblütig.
Er war ein Monster.

Ivan sah auf.
"Ich weiß es nicht. Er wird es riechen und außerdem ist er nicht ganz blöd. Beim letzten Mal hat er es ja auch verstanden." Der Werwolf fuhr sich über den Cut an seiner Stirn und ich griff nach seiner anderen Hand.

"Es tut mir so leid", hauchte ich, doch Ivan winkte ab.

"Dieses Mal werde ich nicht so dumm sein. Ich werde untertauchen um Unterstützung aus Europa und Russland zu holen."

Meine Augen weiteten sich etwas.
"Dann bist du wieder weg?", flüsterte ich.

Ivan hauchte mir einen Kuss auf die Schläfe.
"Ich habe zwar kein Rudel, aber auch die Ausgestoßenen halten zusammen. Es wird immer jemand in deiner Nähe sein und Graham wird es nicht wagen dich anzufassen."
Seine Stimme klang nicht so überzeugend, wie ich gehofft hatte, und auch Ivan schien besorgt zu sein.

"Geh ihm trotzdem aus dem Weg", fügte er zittrig hinzu und umgriff meine Hand fester.
"Graham war schon immer ein grausamer Herrscher und in den alten Rudeln sind Seelenverwandten nur eine Zierde, nur schmückendes Beiwerk für großartige Kämper und prunkvolle Könige."
Angeekelt schloss Ivan die Augen.
"Ich muss gehen", flüsterte er.
"Ich muss."

Niemand sagte etwas und für einige Minuten schwiegen wir zusammen, als wollten wir dem anderen Kraft für einen bereits verlorenen Kampf geben.

Schließlich erhob sich Ivan und küsste mich kurz.
Es hatte etwas von einem Abschied für immer.

"Ich werde aus der Ferne auf dich aufpassen", meinte der Werwolf noch und verschwand aus der Tür.
Noch ehe sie ins Schloss fiel, fühlte ich neue Tränen über meine Wangen laufen.

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