Der herzzerreißendes Heulen zerriss die Stille und trieb mir einen Schauer über den Rücken.
Ich keuchte und sprang auf.
Obwohl ich nicht sagen konnte, ob die Stimme Ivan oder Graham gehört hatte, doch ich spürte einen brennenden Schmerz in der Brust.
Er schnürte mir den Atem ab, doch ich rannte japsend weiter.
Nur das Hecheln vor der Tür verriet mir, dass der Kampf dort stattgefunden hatte.Als ich auf den Flur trat, stieg mir ein scharfer Metallgeruch in die Nase.
Blut.
Dunkelrote Pfützen hatten sich auf dem Parkettboden ausgebreitet.
Zwei verdrehte Gestalten lagen auf dem Boden und krallten die Klauen in den Boden.
Der Kampf hatte noch nicht geendet.
Nein, der wahre Kampf begann gerade, wenn nicht-
Ich schlug die Nägel in die Handflächen.
Eins. Zwei. Drei.
Man brauchte mich hier und ich hatte keine Zeit zu verlieren.Ich sah Ivans blondes Haar im Blut liegen und trat auf ihn zu.
Obwohl ich gern gerannt wäre, hatte ich zuviel Angst.
Angst in tote Augen starren zu müssen.Der Mann röchelte.
Blut lief von seinen Lippen.
"Jule?", stöhnte er.Ich kniete mich nieder.
"Alles wird gut. Ich bin da."
Meine Stimme strich wie ein Windhauch über seine Haut, doch Ivans Lider flatterten.
Er wusste, dass ich hier war.Meine Hand tastete nach seiner seiner.
Die Haut unter meinen Finger war kalt und klebrig.
Ivan hatte einen Schock.
Er sah nicht gut aus.
Immer wieder glitt mein Blick über Ivans Körper und die blutigen Flecken auf seinem hellen Hemd.
Ein Teil seines Oberkörpers schien einfach herausgebissen worden zu sein."Ich liebe dich", keuchte der Werwolf ohne die Augen zu öffnen.
Die Worte saugten jede Kraft aus seinem Körper."Hör auf", schluchzte ich und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn, "Hör auf bitte. Das ist kein Abschied."
Ich glaubte meine Worte nicht.Ivans Haut wurde immer kälter und die Blutlache hatte sich ausgebreitet.
Meine Jeans hatte rote Flecken an den Knien, doch ich bemerkte es kaum."Ivan", weinte ich, doch er zeigte keine Reaktion mehr.
Ein lauter Schrei drang aus meinem Mund, als ich neben im zusammensackte.Meine Tränen vermischten sich mit dem Blut, in dem wir lagen.
Von irgendwoher hörte ich Stimmen und jemand drückte meine Hand."Alles wird gut."
Nichts konnte mehr gut werden.
*
Die junge Mann saß in seinem Bett und nippte an einem Tee.
Er hatte dem Alkohol abschwören müssen, die Verletzungen waren zu gravierend gewesen.
Verbände bedeckten seinen Oberkörper und das Blut war bereits hindurchgesickert.
Er hätte nach Florence gerufen, wenn er gekonnt hätte.
Oder nach Ivan.Ein Schluchzer bildete sich in seiner Kehle, doch es kamen keine Tränen.
Das Unglück war über ihm zusammengebrochen wie eine Welle, die ihm erst seine große Liebe und dann seinen besten Freund gestohlen hatte.*
Als ich aufwachte und ich den Schmerz in meiner Brust spürte, wusste ich das etwas nicht stimmte.
Noch bevor die Erinnerungen auf mich einbrachen, begann ich zu weinen.
Etwas fehlte.Das Bett fühlte sich fremd und leer an.
Es war Louis Haus.
Er hatte mich wohl aufgenommen, nach dem Vorfall.
Vorfall.
Ich lachte hölzern.Nichts war mehr wie es war.
Ich stand auf und lief in den Flur.
Louis hatte hier seine Gästezimmer.
Weiße Holztüren zierten den Flur und nur ein verkrüppelter Gummibaum schimmelte in der Ecke vor sich hin.
Es wirkte kahl.
Meine Schritte hallten, als ich von Zimmer zu Zimmer trat.
An jeder Tür lauschte ich.In einem Zimmer brummte und surrte es.
Mein Puls schoss hoch.
Hier war ich richtig, dachte ich und trat ein."Ivan?"
*
"Das kann man nicht überleben."
Der Mann vor mir verschränkte die Hände und lehnte sich in seinem Sessel zurück.
"Die Selbstheilungskräfte eines Werwolfes sind erstaunlich, doch wir sind nicht in der Lage dazu, ganze Organe neu auszubilden.
Nicht ohne eine Seelenverwandte, die uns unterstützt und ihre Energie teilt."Louis presste die Fingernägel in die Handfläche und fluchte leise.
"Sie sind Experte auf diesem Gebiet und ich verspreche ihnen alles, was sie sich nur wünschen können und dann sagen Sie das?
Esorterische Sprüche?"
Die Augen des Alphas funkelten.
Er war nicht bereit, Ivan kampflos aufzugeben."Aber nicht doch, mein Herr."
Der Professor wischte seine Brille sauber.
"Diese Therapie ist von der Esoterik so weit entfernt, wie wir von der Sonne."Louis knurrte, was den alten Mann in keinster Weise zu berühren schien.
"Ihr geliebter Freund hat ein Milzruptur, zwei offene Nierenrupture, eine bis hin zur Lazeration, einen Lungenriss und mehrer Wirbelbrüche erlitten.
Hinzu kommt noch eine nicht unterhebliche Hirnblutung und einige Brüche.
Eines, nur eines dieser Probleme, könnte einen Menschen in die Knie zwingen."Wieder wischte er an seiner Nickelbrille herum und fuhr sich durch das schüttere Haar.
Seine Bewegungen waren hektisch, wie die eines Vogels und doch wurde sein Gesicht von einem fast schon hämischen Grinsen geziert."Aber unser lieber Ivan hat uns alles angeschleppt. Und so müssen wir ihm seine Seelenverwandte finden."
"Glauben Sie wirklich, dass Sie mich verarschen können?", erwiderte Louis kalt. "Machen Sie, was die Wissenschaft empfiehlt."
"Im Falle der menschlichen Wissenschaft, mein Lieber, wären wir hier fertig.
Wir haben ihn zusammengeflickt, ihn an die Dialyse gehängt und sogar seine Schulter eingekugelt. Jetzt müssten wir auf ein Wunder oder Gevater Tod warten."Louis Finger klopften gegen seine Teetasse.
Der Alte provozierte ihn nur."Aber für Werwölfe fämgt die Medizin gerade erst an.
Meine Methode beruht auf Studien, die an den Söldnern im dritten Krieg der Alpen durchgeführt wurden.
Die Männer, die Seelenverwandte hatten, hatten eine 178% höhere Überlebenschance, wenn sie ins Koma fielen.
Und wieso?"Die hervortretende Augen des Professors schien bald aus ihren Höhlen zu quellen.
Er erinnerte an einen Frosch, der auf eine Fliege wartete."Weil der Geist eines Werwolfes zwei Zufluchtsorte hat.
Das eigene Hirn", erklärte er und tippte sich an den Kopf," und das seiner Seelenverwandten."Louis schwieg. Er musste nachdenken.
War Ivan überhaupt transportfähig?"Vertrauen Sie mir. Ivans Geist muss nur Kraft tanken, dann übersteht er auch die Operationen besser und wir können seine Organe richten.
Vielleicht wachsen sie sogar nach."Ekstatisch hob der Alte die Arme zum Himmel und wedelte in der Luft herum
"Ich danke Ihnen, doch nun muss ich sie bitten, den Raum zu verlassen."
Die Mundwinkel des Professsors sanken, doch er gehorchte Louis' Befehl.Nur das leise Knistern das Kaminfeuers erfüllte nun den Raum.
Louis hatte den Kopf in die Hände gestützt.
Er musste nachdenken, doch letztendlich lag diese Entscheidung nicht nur bei ihm.
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Astheneia
WerewolfWas ist wahre Liebe? Jule hat einen Plan vom Leben, doch als Graham plötzlich in ihr Leben tritt, gerät ihre Welt ins Wanken. Und dann trifft sie Ivan wieder. Ivan, der vor zwei Jahren unter mysteriösen Umständen verschwunden ist und dabei Jules Her...