Kapitel 29

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"Komm mit", bat er leise.
"Ich möchte das nicht hier besprechen."

Louis deutete auf Ivans leblosen Körper und rang sich zu einem schiefen Lächeln durch.
"Du weißt schon, falls er doch etwas mitbekommt."

Ich zog eine Augenbraue hoch, folgte ihm aber nach draußen.

"Lass uns etwas essen gehen."
Louis setzte ein unbekümmertes Lächeln auf und umgriff meinen Arm.

Darum ging es also.
Wir liefen an einem Fenster vorbei und ich sah in der Spiegelung den bleichen Schemen, dem Louis am Arm hielt, als wolle er ihm vom Fall bewahren.
Ich sah furchtbar aus.
Meine Augen lagen in dunklen Höhlen und mein Haar stand in alle Richtungen ab.

"Worüber wolltest du reden?", fragte ich und wandte mich vom Fenster ab.

Louis zögerte und auch seine Schritte stockten.
"Wir sollten etwas essen, ehe wir darüber sprechen."

Ich seufzte kaum hörbar.
Scheinbar hatte Louis' Raubtiergehör es trotzdem wahrgenommen, denn seine Mundwinkel sackten nach unten.

"Für mich ist es auch nicht einfach", flüsterte er und öffnete die Tür zur Küche.
Damit schien er das Thema fallen lassen zu wollen und setzte ein gekünsteltes Lächeln auf.

Der Geruch von gebratenem Fleisch und Gewürzen stieg mir in die Nase, doch statt Hunger stieg nur Übelkeit in mir auf.
In letzter Zeit verspürte ich selten Appetit und der unterschwellige Zigarettengestank machte es nur schlimmer.

"Oh, da steht ein guter Freund von mir. Ich sollte euch vorstellen."
Er zog mich zu einem alten Mann, der in der Ecke an der Wand lehnte und zu schlafen schien.

"Lew", rief Louis und winkte.
Der Alte öffnete ein Auge und seufzte.
Dann setzte er sich auf und mustere uns.

"Ich lasse dich mit ihm allein und hole uns etwas zu essen, in Ordnung?"
Ich nickte nur und sah wieder zu dem Mann, der sich inzwischen leicht nach vorn gebeugt hatte.

"Schön dich zu treffen, Jule."
Seine Stimme war kratzig und doch seltsam melodisch.
Es erschreckte mich kaum, dass er meinen Namen kannte, seit Grahams Tod war meine Berühmtheit nochmals angestiegen, aber der berechnende Blick aus seinen grauen Augen ließ mich erschaudern.

"Ich habe unser Treffen erwartet."
Er spielte mit meiner Angst.
Mein Kiefer verkrampfte und schenkte ihm einen scharfen Blick.
Der Alte grinste nur.

Es quietschte, als ich den Stuhl mit voller Wucht zurückzog.

Der Mann lachte angesichts meiner Wut nur und hob entschuldigen die Hände.
"Ich wollte dich nicht verärgern."

Obwohl seine Stimme ehrlich geklungen hatte, traute ich ihm nicht und ließ mich betont herrisch auf dem Stuhl nieder.

In dem Moment legte mir jemand eine Hand auf die Schulter und setzte sich zu mir.
"Ich hoffe, ihr habt euch gut unterhalten."

Louis schob mir einen Teller und Besteck zu und bot auch Lew etwas an.
Der winkte nur ab.

"Freut mich dich zu sehen, Louis.
Ich bin jedoch sicher, dass du einen Grund hattest, mich aufzusuchen", meinte der Alte und faltete die Hände.

Louis griff sich in den Kragen.
"Nicht direkt, ich wollte eigentlich mit Jule sprechen."

Lew begann zu lachen.
"Ach, na dann. Sie hat ja wirklich eine tragische Geschichte durchgemacht."

Er begann, über mein Leben nachzusinieren, und mit jedem Wort wuchsen die Beklemmungsgefühle in mir.
"Aber wir sollten nach vorn schauen. Ivan ist noch nicht verloren."

Wieder griff sich Louis an den Hals und räuspertr sich.
Was hatte das zu bedeuten.
"Louis", knurrte ich, zumindest hoffte ich das, vermutlich kam nur ein Winseln heraus.

"Ich möchte dich bitten, zu gehen, Lew", gestand der Werwolf.
Er wich meinen Blicken aus.

Der Alte lachte und lehnte sich weiter zurück.
"Nein, ich will sehen, wie du ihre Hoffnung zerbrichst und die Stücke anzündest."

Louis fuhr sich übers Gesicht.
"Er ist nur ein verrückter alter Mann", murmelte er und ich war nicht sicher, ob er zu mir oder doch mehr zu sich selbst sprach.

"Leider hat er in Ansätzen Recht."
Mir wurde heiß und kalt.
Nein. Am liebsten hätte ich mir die Hände auf die Ohren gepresst, doch ich rückte nur näher, um kein Wort zu verpassen.

"Wir haben Bluttest in der Bevölkerung durchgeführt, nicht nur hier.
In ganz Europa und Amerika waren unsere Teams im Einsatz und haben Blut genommen. Hauptsächlich von Werwölfen, aber auch von Menschen."

"Nun, eigentlich nicht von Menschen. Von Mischwesen wie dir."
Lew schnitt eine Grimasse.

"Louis?", hauchte ich.
Mein Lächeln war wie eingefroren.

Der Werwolf schlug die Hände vors Gesicht.
"Irgendwo bist vielleicht ein paar Prozent Werwolf. Nur so konntest du Grahams Seelenverwandten sein."

Ich schluckte und versuchte den Gedanken mit meinem Weltbild zu vereinen.
Ja, mein Vater trug einen Bart, doch sonst besaß keinerlei Ähnlichkeit mit einem Raubtier.
Und meine Mutter? Sie fürchtete sich vor den Luchsen im Wald und saß meist im Laden und las.
Die Natur machte ihr Angst.

"Vermutlich schon viele Generationen und hundert Jahre her", beschwichtigte Louis.

Ich versuchte mich zu beruhigen und meine Anspannung herunterzuschlucken.
Das Problem mit Ivan erforderte meine ganze Konzentration.
"Und was hast zu Ivan herausgefunden?", fragte ich, mit immer noch zittriger Stimme.
Eigentlich kannte ich die Antwort bereits.

"Wir haben niemanden gefunden, dessen Blut auf seines reagiert."

Nein. Nein, nein nein.
Ich presste mir die Hände auf die Ohren, um Louis Beileidsbekundungen nicht mehr hören zu müssen.
Ivan war dem Tode geweiht.
Bald würde ich die Maschinen abschalten müssen und über Organspenden nachdenken.
Ich hatte ihn zum zweiten Mal verloren.
Dieses Mal gab es keinen Schutzengel mehr.

Ich bemerkte kaum, dass Louis ebensfalls begonnen hatte, zu weinen, und mich an sich presste.
Seine Tränen tropften auf meine Stirn und meine befleckten sein Shirt.
Jede Feindschaft war vergessen. Jetzt waren wir nur noch Freunde, die dasselbe Leid durchstanden.

"Amüsantes Schauspiel", spottete Lew nun und nahm einen Schluck aus einer Bierflasche, die er wohl gerade geholt haben musste.
"Ich habe ja gewusst, worauf ich mich freuen darf. Unbedarfte Mädchentränen.
Aber dass unser Eisklotz doch so gefühlsdusselig sein kann, überrascht mich doch."

Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, streckte den Rücken durch und funkelte den Alten an.
"Sie sollten besser still sein", fuhr ich ihn an, während ich weiter über Louis Rücken strich.

"Ach Kleine, du bist schon eine Löwenmutter. Aber man sollte keine sinnlosen Tränen weinen, wenn sie doch so vergebens sind."
Lew kicherte wieder.
"Und du solltest eure knapp bemessen Zweisamkeit nicht so verschwenden, selbst wenn er im Koma liegt."

Meine Augenbrauen zogen sich zusammen.
"Was meinst du?"

"Du spürst es doch, oder nicht?", lachte er.

Hallöle,

Eigentlich hatte ich das Kapitel schon hochgeladen, aber das hat irgendwie nicht geklappt.
Sorry auf jeden Fall und ich hoffe, dass es euch nicht so stört :)

Schöne Ferien noch,
Kuchenstreusel

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