Alice' POV
Eine Woche. Eine verdammte Woche ist vergangen, seit Aria im Koma liegt. Seit ich meine beste Freundin verloren habe – zumindest fühlt es sich so an. Die Angst schnürt mir die Kehle zu, sie presst meine Lungen zusammen und jagt mir durch den Körper, bis ich mich kaum noch bewegen kann. Ich kann kaum glauben, dass sie dort liegt, in einer sterilen Klinik, umgeben von piepsenden Maschinen, und es jederzeit enden könnte. Die Vorstellung, dass sie nie mehr aufwacht, hat mich erstarren lassen. Mein Kopf ist leer und gleichzeitig voll von Fragen und Schmerz. Sie ist doch... Aria. Sie ist die Starke, die, die immer noch einen Grund zum Lachen fand, egal wie schlimm es schien. Sie kann doch nicht... einfach gehen.
Ich fühle mich wie ein Gespenst in den eigenen Wänden. Essen? Ich kann nichts hinunterbekommen. Reden? Was soll ich sagen? Ein paar Worte können nie ausdrücken, was hier in mir tobt. Ich mache nur das Nötigste, atme, wenn ich muss. Sogar in die Schule gehe ich nicht mehr, und eigentlich interessiert es mich auch nicht, ob das auffällt. Cole versucht, mir beizustehen, mich zu trösten, aber was bringt es? Es fühlt sich an, als würde ich auf den Boden starren und er versucht, mich hochzuziehen – aber ich bleibe regungslos.
Ich habe Aria bisher nicht einmal besucht. Ich kann es einfach nicht. Es ist, als würde mein Herz gegen die Vorstellung rebellieren, sie so zu sehen, blass und reglos, mit all den Schläuchen, die sie ans Leben klammern lassen. Was, wenn sie nicht mehr aufwacht? Das letzte Bild, das ich von ihr hätte, wäre dann dieses blasse Gesicht, die geschlossenen Augen... Nein, das kann ich nicht ertragen. Ich möchte das Mädchen in Erinnerung behalten, das sie war, voller Leben und Lachen. Die Aria, die ihren Kopf leicht schräg legt, wenn sie mich ärgert, die stur sein kann, bis man sie zum Lachen bringt.
Deshalb habe ich Cole gebeten, dass er bei Damon nachfragt. Damon... Er ist immer bei ihr. Er liebt sie so sehr, und ich weiß, dass er sich selbst die Schuld gibt. Aber er hat so viel für sie getan, mehr als jeder andere. Er war ihr Rettungsanker, hat ihr versprochen, mit ihr zusammenzubleiben und das Leben neu zu beginnen. Sie wollte ausziehen, neu anfangen, weit weg von diesem... von ihrem Onkel. Ein Neuanfang mit Damon – sie hat es mir noch kürzlich erzählt, mit einem Lächeln im Gesicht, das ich so lange nicht gesehen hatte. Es zerreißt mich, dass sie das jetzt vielleicht nie erleben kann.
Aber warum hat sie nie etwas gesagt? Warum hat sie alles ertragen, all die Jahre? Sie hätte doch... sie hätte doch uns gehabt, Damon, Jack und mich. Und doch... sie hat nichts gesagt. Das Bild von ihren Verletzungen zieht sich immer wieder in meinen Gedanken wie ein schwarzer Schleier. Die blauen Flecken, die sie mir als „Missgeschick" erklärte, die Narben, die sie geschickt verborgen hat – alles das. Warum habe ich das nicht gesehen? Sie war doch meine beste Freundin! Ich kannte sie wie sonst niemand, dachte ich zumindest... Wie konnte ich so blind sein? Ihr Onkel... Was hat er nur für ein Herz aus Stein, dass er ihr so etwas angetan hat? Sie, die niemandem etwas zu Leide tun könnte, die niemandem schaden würde. Aria sieht vielleicht kalt und distanziert aus, wie eine, die auf alles eine schlagfertige Antwort hat. Aber ich kenne sie. Ich weiß, dass sie eine der liebevollsten, stärksten Menschen ist, die es gibt. Hätte sie jemanden an ihrer Seite gehabt, der sie schützt, sie würde ein so anderes Leben leben...
„Alice, bitte, du musst etwas essen." Coles Stimme reißt mich aus meinen Gedanken, und ich merke erst jetzt, dass er neben mir auf dem Bett sitzt. Der Druck seiner Hand auf der Matratze zieht mich zurück in die Realität, obwohl ich nicht darauf reagieren kann.
Ich spüre, wie er seufzt, seine Hand leicht über meine Wange streichen lässt. „Du wirst noch krank, wenn das so weitergeht. Du bist schon so blass und wirst immer dünner. Denk an Aria – sie würde nicht wollen, dass du dir selbst schadest. Sie würde wollen, dass du stark bist, aufstehst und weitermachst." Ich schlucke. Die Worte schneiden tief in mich hinein, und ich merke, dass ich sie in meinem Kopf wiederhole, als wäre er nicht im Raum. „Ich kenne sie vielleicht nicht so gut wie du, aber das weiß ich. Also bitte, iss etwas, trink etwas. Komm mit mir raus, nur ein bisschen frische Luft, ein Spaziergang." Seine Stimme hallt in mir nach. Ich kann fast spüren, wie er auf eine Reaktion wartet, irgendetwas, das ihn wissen lässt, dass seine Worte nicht in den Wind gesprochen sind. Doch ich kann mich nicht bewegen. Nach einem weiteren Seufzer steht er auf. „Das Essen steht auf deinem Nachttisch," sagt er leise und verlässt den Raum.
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Mysterious Girl-A Cinderella Story
Roman pour AdolescentsAriana lebt im Schatten ihrer eigenen Familie. Bei ihrer Tante, ihrem Onkel und ihren zwei Cousinen wird sie wie eine Angestellte behandelt und seit ihrem achten Lebensjahr misshandelt. Die Erinnerung an ihre Mutter, die an Krebs gestorben ist, ist...