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Sicht Sugawara

"Suga? Das bringt doch alles nichts. Alles, was du damit bezweckst, ist, dass du dich selbst kaputt machst. Ich weiß, es ist schwer zu akzeptieren, aber Amaya lebt nicht mehr. In Selbstmitleid zu versinken und nicht aus deinem Zimmer zu kommen, wird sie nicht mehr zurückholen", erklang die dumpfe Stimme von Daichi durch meine Zimmertür.
Trocken schnaubte ich auf. Tage sind schon vergangen und ich wusste nicht, was heute für einer war. Es war mir aber auch gleichgültig und so lag ich wie die vorherigen Tage nur in meinem Bett. Meine Emotionen waren schon längst verschwunden und ich starrte nur ausdruckslos aus dem Fenster. Es war bewölkt und ich spürte die Kälte, die vom Fenster ausging, auf meiner Haut. Solches Wetter war gerade noch okay, aber meistens schien die Sonne. Dann zog ich meine Vorhänge immer zu, damit ja kein Sonnenstrahl seinen Weg in mein Zimmer bahnen konnte. Mein Zimmer war kalt, stickig und so unordentlich wie noch nie. Flaschen lagen herum, Fotos hauptsächlich von Amaya und mir und irgendwelche Kleider. Ich ging nicht zur Schule, aß kaum und fand keine Motivation, aus dem Haus oder zum Volleyball Club zu gehen. Das Team kam immer mal wieder vorbei, aber ich ignorierte sie jedes Mal. 

"Sugawara Kōshi, wenn du nicht sofort die Tür aufmachst, trete ich sie dir mitsamt den Angeln ein!", drohte mir Daichi zum x-ten Mal.
Diskussionen machten mich noch müder als sonst, also begab ich mich schleppend zur Tür und öffnete sie einen Spalt.
Mit meinem Erscheinungsbild hätte ich wahrscheinlich Frankenstein den Preis als
"das schrecklichste Monster" stehlen können. Ich hatte ein blasses Gesicht, Augenringe bis zum geht nicht mehr und hatte seit Tagen nicht mehr geduscht.
Als mein bester Freund mich in diesem Zustand sah, setzte er nur einen mitfühlenden Blick auf.
"Hast du heute schon was gegessen?", fragte er.
Ich nickte nur stumm, ohne ihm dabei in die Augen zu sehen. Daraufhin räusperte er sich nur, worauf ich ihn müde ansah. Daichi zog nur eine Augenbraue nach oben. Nach einer kurzen Zeit schüttelte ich leicht den Kopf.

Daichi seufzte kurz und schien ganz schnell noch was zu überlegen.
"Okay, ich will mir das nicht länger ansehen müssen. Du kommst jetzt mit mir runter in die Küche, ich mach dir eine Nudelsuppe und dann reden wir."
Er drehte sich um und wollte gerade gehen, da wandte er sich noch mal kurz an mich.
"Während ich koche, gehst du kurz duschen. Nichts gegen dich, aber das hast du nötig." Kurz darauf war er schon unten. Für einen Moment stand ich nur in der Tür, bevor ich zurück ins Zimmer ging. Eine leise Stimme in mir sagte, ich sollte mir frische Kleidung nehmen und unter die Dusche springen. Doch da war auch noch die andere, die mir sagte, ich sollte ins Bett kriechen. Es war so verlockend, aber ich wusste ja selbst, dass es nicht so weitergehen konnte.

Ich steuerte also langsam auf meinen Kleiderschrank zu, bedacht darauf, nicht irgendwelche Flaschen umzustoßen. Im Schrank suchte ich dann nach ein paar Klamotten, die noch ganz in Ordnung waren und bahnte mir einen Weg zurück und in die Dusche.
Zugegeben, das warme Wasser tat gut, doch war mir gleichzeitig kalt. Mit dem Rücken zur Wand gedreht, ließ ich mich nach einer Weile auf den Boden gleiten und schloss die Augen. Augenblicklich öffnete ich sie wieder. Ich sah sie vor mir, als wäre sie wirklich da. Mit strahlenden Augen und einem breiten Lächeln.
"Dummerchen. Kannst du nicht einmal auf dich aufpassen?", dachte ich.
Ein Klopfen entriss mich meinen Gedanken. "Suppe ist fertig", erklang Daichis Stimme. Müde rappelte ich mich auf und verließ die Dusche. Fröstelnd schnappte ich mir ein Handtuch und rubbelte mir damit die Haare trocken.
In Jogginghose und einem weiten T-Shirt ging ich nach unten. Erst musste ich mich an den Lichtunterschied gewöhnen, da ich oben alle Vorhänge zugezogen hatte. In der Küche wartete Daichi schon mit zwei Schüsseln Miso-Suppe am Tisch.
"Setz dich." Das klang fast eher wie eine Aufforderung als eine Einladung. Still schweigend setzte ich mich ihm gegenüber an den Tisch. Eine unangenehme Stille entstand und ich merkte, wie er ein Gesprächsanfang suchte.

Plötzlich spürte ich einen stechenden Schmerz in meiner Brust. Mein Herz fing an zu rasen und es fühlte sich an, als würde mir die Luft zugeschnürt. Schluchzend und nach Luft ringend verließ mich meine Kraft und ich fand mich auf dem Boden wieder. Panisch versuchte Daichi mich zu stützen. Die Küche schien immer kleiner zu werden und zahlreiche Tränen ließen meine Sicht verschwimmen. Es fühlte sich an, als ob ich jeden Moment sterben würde. Für einen kurzen Augenblick dachte ich, dass es nun endgültig aus wäre mit mir, doch wusste ich nur zu gut, was passierte. Eine Panikattacke. Ich wusste, dass ich davon nicht sterben konnte. Es war das genaue Gegenteil, obwohl es sich keineswegs so anfühlte. Mein Körper tat nämlich gerade alles Erdenkliche, dass ich lebe. Er ballerte alles raus, damit er in größter Alarmbereitschaft steht. Jedoch würde ich mich nicht beklagen, wenn er das auf eine andere Art machen würde.

Ich wollte schreien, stampfen, heulen. Alles kam auf einen Schlag hoch, aber ich konnte es nicht. Ich konnte nicht schreien und auch nicht stampfen. So sehr ich es auch versuchte, es kam nichts raus. Meine Erinnerungen an diesen Moment schwinden immer mehr. Alles, was ich noch weiß, ist, dass Daichi es irgendwie geschafft hat, mich zu beruhigen.

"Suga! Es ist alles okay! Hörst du mich?"
Ich schluchzte schwer.
"W-Warum? Warum werde i-ich jeder Chance beraubt, die sich...mir bietet?" Meine Stimme klang so gebrochen wie noch nie zuvor.
"Ich...weiss es nicht", kam es ebenfalls schluchzend von Daichi.
"Ich konnte kein Teil ihrer Vergangenheit sein.... Ich wollte aber ein Teil ihrer Zukunft werden! Ich hatte nicht mal die Gelegenheit, sie zu küssen oder mit ihr zu kuscheln", presste ich hervor. Für eine Zeit saßen wir nur auf dem kalten Boden und weinten uns die Seele aus dem Leib.

"Wenn...Wenn du das so sehr wolltest, dann lass es auch zu." Langsam beruhigten wir uns ein wenig. Ich sah ihn an. Er hatte verweinte Augen, ein knallrotes Gesicht und verklebte Wimpern. Vermutlich sah ich genauso aus, wenn nicht schlimmer.
"Was meinst du?", fragte ich gebrechlich und zog meine Nase auf.
"Unsere Vergangenheit sollte nicht unsere Zukunft bestimmen. Die- Die Gegenwart ist es, die zählt. Wie du jetzt entscheidest zu leben, wird deine Zukunft bestimmen. Amaya... ist tot. Sie wird nicht mehr wiederkehren. Dann lebe für sie. Tu Dinge, die dich fröhlich machen. Du sollst nicht "darüber hinweg kommen". Du sollst...daraus lernen. Verändere etwas und falls du Angst hast, ist das okay! Es bedeutet, dass du etwas sehr Mutiges tun wirst! Ob es nun richtig oder falsch war, siehst du dann! Du wirst wahrscheinlich Rückschläge haben. Wirst manche Nächte durchmachen und dich fragen, was du verhindern hättest können. Aber lass dich nicht unterkriegen! Wenn du was brauchst, bin ich für dich da, okay?"
Ich nickte leicht. Obwohl ich es damals noch nicht wusste, waren es genau diese Worte, die ich hören musste.
"Und noch was", fing Daichi noch mal an.
"Geh zu Tsukishima. Er...hat es auch nicht leicht, glaub es mir. Schließlich war er ihr bester Freund."

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