Asran öffnete seine Augen und war sich doch nicht sicher, ob er es wirklich getan hatte. Es war stockfinster, der Elf konnte nichts erkennen. „Diese verdammten Morslorde! Die waren es, die uns jetzt hierhin gebracht haben!", murrte die tiefe Stimme von Durgrim. „Das war der einzige, freie Weg", erwiderte eine helle, klare Stimme. Dinduriel. Schweigen herrschte. „Kannst du nicht Licht machen?", unterbrach Thorwin die Stille und sprach somit das aus, was Asran noch nicht gesagt hatte. „Jetzt reiß dich doch mal zusammen", antwortete eine andere Stimme, die Asran dem Elfen zuordnete. „Das sagst natürlich du, Herr Elf! Du mit deinen Elfenaugen. Vielleicht magst du dir es nicht gemerkt haben, aber ich bin ein Mensch", erwiderte Thorwin. „Auch ich sehe nichts! Das ist alles so ein verdreckter Haufen Pferdemist!", ertönte die Stimme Durgrims aus dem Nichts. Ein dumpfer Ton erklang, so als würde jemand mit der Faust gegen eine Wand schlagen.
„Au!", schrie Durgrim. Thorwin lachte: „Was hast du gemacht, Gefährte?" „Ich bin gegen eine dieser Wände gestoßen. Aber... ich glaube ich blute nicht", erwiderte Durgrim. Thorwin lachte noch lauter. „Vielleicht wäre es wirklich sinnvoll Licht zu zaubern...", mischte sich Athavar ein. „Ach, Papperlapapp! Wenn gewisse Herrschaften hier nicht ihre Köpfe maßregeln können und gegen Wände stoßen, so kann ich nicht sagen, dass Licht in solch misslichen Fällen helfen könnte", erwiderte Dinduriel. „Das war mein Bein!", schrie Durgrim. „Man könnte meinen, dass das dein Kopf war. Der Ton war hohl...", erwiderte der Elf ungerührt.
„Spitzohr! Zügel deine Zunge!", sagte Thorwin barsch. Schritte erklangen. Sie hallten. Der Raum, in dem sie gefangen gehalten wurden, musste wohl etwas größer sein. „Aristeas. Bitte. Ich brauche Licht", fuhr Thorwin fort. Dinduriel lachte gekünstelt. „Ich brauche Licht, Vater, ich fürchte mich in der Dunkelheit", äffte er den Menschen nach. „Dinduriel, es reicht!", zischte Asran und augenblicklich herrschte Stille. „Asran, endlich", sagte Aristeas und eine kleine Flamme, kaum größer als die einer Kerze, erhellte den Raum. Asran kniff die Augen zusammen. Das Licht blendete ihn. Er sah die Erleichterung in den Gesichtern von Thorwin und Durgrim und das Missfallen Dinduriels.
Asran sah sich um. Sie waren in einem Kerker, der einen Durchmesser von etwa sechzehn Schritt hatte. Eine massive Eichentür versperrte ihnen den Ausweg. Schweigend sahen sich die Gefährten an. Das unstete Licht der kleinen Flamme ließen über ihre Gesichter lange Schatten wandern. Dinduriel erhob sich. „Ich...ich muss euch etwas sagen", begann er und fuhr dann fort: „Ich bin nicht der, für den ich mich ausgebe. Ich bin ein anderer. Ich bin...Aznael." Asran schnappte nach Luft. Entsetzen spiegelte sich in den Zügen von Athavar, Durgrim sah verwirrt zu dem stehenden Elf und Thorwin wirkte so, als habe er gar nicht zugehört.
„Ich gab mir einen anderen Namen, damit es keine unnötige Aufmerksamkeit von Menschen oder Elfen gibt. Diese Reise ist geheim, niemand darf davon erfahren! Die Spitzel des dunklen Lords sind überall!", sagte Aznael. Er tauschte einen Blick mit Aristeas. Asran sah verwirrt von dem Zauberer zum Elf. Aznael ließ sich nieder und Asran wusste nicht, was er dem antworten sollte. „Willkommen in unserer Gemeinschaft, Aznael", sagte Athavar und war somit der einzige, der das Wort ergriff.
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Asran hatte sich an eine Wand gelehnt und gedöst. Er wusste weder, ob er geschlafen hatte, noch, wie lange sie schon hier waren. Aristeas hatte schon kurz nach ihrem Gespräch die Flamme verschwinden lassen. Die Gefährten redeten nicht mehr. Jeder war in seine eigenen Gedanken vertieft. Die Dunkelheit machte Asran zu schaffen. Sie nagte an ihm wie ein Hamster. Und er war müde. Obwohl er geschlafen hatte.
Ein Geräusch ließ Asran hochfahren. Er hörte, wie ein Bolzen auf der anderen Seite der Wand, an der er lehnte, zurückgeschoben wurde. Ein Schlüssel wurde gedreht, Klicken ertönte. Dann öffnete sich die Eichentür. Grelles Licht fiel herein, Asran hatte Angst, er würde erblinden. Schützend hob er die Hand vor seine zusammengekniffenen Augen. Jemand packte ihn grob am Arm und zerrte ihn von seinem Schlafplatz. Asran wehrte sich, kämpfte gegen den Griff an, der ihn umklammert hielt. Aber es war hoffnungslos.
Unsanft wurde er auf den Boden fallen lassen. Er blieb reglos liegen. „Deine Augen kannst du jetzt öffnen. Hier ist es dunkel", sagte plötzlich eine Stimme. Sie war in seinem Kopf! Tief und dröhnend. Asran schüttelte den Kopf. Er würde der Stimme nicht trauen! Schon gar nicht, wenn er nicht wusste, von wem sie war. „Es enttäuscht mich zutiefst, dass du mir so misstraust. Bald werden wir uns einander gegenüber stehen. Mit gekreuzten Schwertern", fuhr der Fremde fort.
Asran erschrak. Konnte er etwa seine Gedanken lesen? „Das kann ich durchaus. Ich spüre all dein Missfallen, deinen Hochmut", erwiderte er. Asran konnte nicht anders, als seine Augen jetzt doch zu öffnen. Er war in einem schwarzen Raum, der fast zehn Schritt in der Länge und vier Schritt in der Breite maß. Blutrote Kerzen erhellten ihn und warfen unstete Schatten. Hinter Asran war ein goldenes Tor, verziert mit Rubinen, in die Wand eingelassen. Vor dem Elf stand ein aufwendig gehauener Thron, auf dem er saß. Der dunkle Lord.
Er entsprach allen Vorstellungen, die Asran von ihm gehabt hatte. Er war hochgewachsen, das Gesicht unter einer Kapuze verborgen, die er sich tief ins Gesicht gezogen hatte. Der dunkle Lord trug eine schwarze Rüstung, Rubine verzierten die Handteile. Eine finstere Macht ging von dem fremden Herrscher aus, die Asran in die Flucht getrieben hätte, wenn nicht die Tür verschlossen war.
Die Wand hinter dem Thron war durch einen schwarzen Vorhang geschützt. Er bewegte sich, als wäre etwas Lebendiges hinter ihm verborgen. „Es tut mir Leid Asran, aber bald wirst du mir ein tödlicher Feind sein. Ich muss dich unter Kontrolle haben. Nur so kannst du mir nicht allzu gefährlich werden. Ich werde Blut von dir vergießen müssen. Blut eines Mörders meiner Truppen. Und dennoch hast du die Chance einen Gegenzug von mir zu wünschen. Ich mag dein Feind sein, deswegen bin ich aber nicht weniger ehrlos", sagte der dunkle Lord.
Er erhob sich und nahm ein Schwert, das neben seinem Thron gelehnt hatte. Er zog es aus der mit Edelsteinen verzierten Scheide. Dann nahm der dunkle Herr einen goldenen Kelch und trat zu Asran. Er nahm eine Hand des Elfen und zog sie zu sich heran. Nicht gerade vorsichtig schnitt er mit dem Schwert einmal durch den Handballen. Das Schwert glitt mühelos bis zu Asrans Knochen. Der Elf verzog vor Schmerz das Gesicht. „Oh, das tut mir Leid. Das habe ich nicht beabsichtigt", sagte der dunkle Lord. Asran wusste nicht so recht, ob er das ironisch meinte. Er wurde aus dieser Stimme nicht schlau. Sein Gegenüber fing Asrans Blut mit dem Kelch auf und hob ihn an die Lippen. Er trank einen tiefen Schluck und schüttelte sich.
„Damit ist dein Schicksal besiegelt. Ich werde in gewissem Maße Kontrolle über dich haben. Ich kann dich jederzeit zu mir rufen lassen", sagte der dunkle Herr und trat einen Schritt zurück. „Warum tötet Ihr mich nicht gleich?", fragte Asran und drückte seine Hand fest an seine Brust. Das Blu quoll in scheinbaren Strömen aus der Wunde hervor, auch wenn sie nicht gefährlich war. „Nun, ich finde es hat etwas eigenartiges Spannendes an sich, einen nahezu gefärhlichen Feind am Leben zu lassen. In dir steckt Potenzial, auch wenn du es nicht ahnst. Und über dich wird viel Unglück kommen, es wird schön sein, zu sehen wie du leidest", erwiderte der dunkle Lord und Asran war sich sicher, dass er lächelte.
„Nun bist du an der Reihe. Was verlangst du für dein Blut?" , fragte der schwarze Gebieter. In Asran arbeitete es. Wenn es stimmte, was der dunkle Lord sagte, so würde der Wunsch nach Freiheit nicht lange andauern. Der fremde Herrscher würde ihn jederzeit auffinden können. „Das Schwert", sagte Asran und deutete auf die Klinge. Er wusste selbst nicht, warum er ausgerechnet diesen Gegenstand verlangte, aber er tat es.
„Warum das Schwert?", fauchte der dunkle Lord und hielt in seiner Bewegung inne. Asran ging drohend einen Schritt auf seinen Gegenüber zu: „Das spielt keine Rolle. Gib mir das Schwert, ansonsten wird Euer Hofstaat Eure doch so unehrenhafte Weise kennenlernen. Ihr sagtet mir doch, Ihr seid ehrenhaft. Zeigt mir diese Eigenschaft!"
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Das fünfte Amulett (Band II der Chronik von Mittelland)
FantasyVölker, deren einstige Packte zerbrechen. Lebewesen, die sämtliche Intrigen spinnen, um zu überleben. Ein dunkler Lord, der den Krieg eines ganzen Landes ausgelöst hat. Die fünf Amulette, heutzutage sprechen sie mit Furcht über die drei Wörter. Denn...