~Nincoril~

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„Elanor", sagte Athavar und strich ungläubig über das Schwert. Trauer spiegelte sich in seinem Gesicht. Seine Finger glitten über jede einzelne, schwarz eingebrannte Rune der Klinge. Asran sah ihm zu. „Ist es wirklich Elanor?", fragte Thorwin und stellte sich neben Athavar. Der Menschenkönig wollte ihm das Schwert zurückgeben, doch Asran wehrte ab. „Ich habe bereits eine Waffe. Einen Bogen. Ich wüsste nicht, wie ich mit einem Zweihänder kämpfen könnte", sagte er und hob die Arme. Athavar sah ihn weiterhin an. „Behalte du es. Du bist der einzige, bei dem ich wüsste, dass er es für einen guten Zweck benutzt", fügte der Elf hinzu. Athavar lächelte und sagte leise: „Es ist die alte Klinge meines Vaters Ancratis."

Plötzlich hörten sie von draußen Geräusche. Die Schlösser vor der Tür wurden geöffnet, die Riegel zurückgeschoben. Dann öffnete sich das Portal. Asran erwartete schon einen der Diener des dunklen Lords doch er irrte. Ein Elf mit einer Fackel in der Hand trat in das Gefängnis. Asran atmete aus. Erleichtert erhob er sich. „Ich wurde geschickt, euch zu holen. Folgt mir, wenn ihr nicht weiterhin in den dunklen Abgründen der feindlichen Festung sitzen wollt. Ihr müsst mir vertrauen. Beweisen, dass ich einer von euch bin, kann ich, doch drängt die Zeit. Kommt!", ungeduldig sah der Elf jeden einzelnen von ihnen an. Er hatte braunes, gelocktes Haar und trug einen blauen Mantel. An einem Gürtel hingen ein Seil, ein Schwert und eine Öllampe. 

„Woher hast du die Schlüssel?", fragte Athavar und der Elf deutete wortlos auf einen toten Gracker. Schwarzes Blut sickerte ihm aus dem Mund. Asran wollte gar nicht genau hinsehen, er ahnte, wie der Gracker aussah. Der ‚Schnelle Tod', wie die Elfen diesen Stich nannten, bestand daraus, dass man mit dem Schwert senkrecht von unten in den Schädel stieß. Dabei durchstach man sämtliche Innereien, die nicht selten in der klaffenden Wunde zu sehen waren. Der fremde Elf ließ den Schlüssel fallen und reichte ihnen eine kleine, handgroße Kiste. Aristeas öffnete sie und Asran sah ihm neugierig über die Schulter. Die Kiste war gefüllt mit Hundekot. Ekel überkam Asran, als er sah, wie sich Aristeas den Unrat ins Gesicht und auf den Brustkorb schmierte. Die Kiste ging weiter und auch Aznael und Athavar benutzten die braune Masse. Trotz des Übelkeit erregenden Gestankes folgte auch Asran ihrem Beispiel. Aristeas und Aznael mussten wissen, was sie taten!

Er reichte die Kiste weiter an Durgrim, der hinein starrte und immer wieder ungläubige Blicke zu dem Elfen warf. „Ich crem' mich doch nicht mit Hundescheiße ein!", rief er und warf die Kiste weg. „Ich fürchte schon, sonst riechen uns die Gracker", erwiderte der Fremde ungerührt. Durgrim schüttelte den Kopf. Thorwin lachte schallend und legte einen Arm um den Zwerg. Auf einen Wink des fremden Elfen folgten sie ihm. Er führte sie zielsicher über den Hof. Von Schatten zu Schatten liefen sie, immer darauf bedacht, Geräusche zu vermeiden. Es war eine mondlose Nacht. Und dennoch brannten die Sterne in Asrans Augen. 

Plötzlich wurde ein bellender Befehl geschrien. Asran zuckte zusammen. Die Gracker haben sie entdeckt! Er blickte zurück zu Aristeas. Schweiß hatte sich auf seiner Stirn gesammelt. „Das bist du, Zwerg! Weil du deinen Geruch nicht übertüncht hast, wurden wir entdeckt! Jetzt müssen wir den anderen Weg gehen, du hast so entschieden! Folgt mir!", zischte ihr Befreier. Sie liefen im Zickzack. Große, schwarze Gebäude säumten ihren Weg. Sie erhoben sich mehrere Schritt in die Höhe. 

Die Gefährten überquerten einen gepflasterten Platz, als der fremde Elf plötzlich stehen blieb. „Was machst du?", zischte Asran und blickte angespannt in die Schatten. Er vernahm eine Bewegung aus seinem Augenwinkel, doch als er seinen Kopf wandte, war alles still. „Los! Hier rein!", sagte der Elf und Asran drehte den Kopf. Der Blaugewandete hatte eine Luke zu ihren Füßen geöffnet. Wohl verborgen im Boden hatte Asran sie gar nicht bemerkt. Flüchtig griff er nach der eisernen Leiter und kletterte hinab in den Schacht. Ihm war es gleich, ob das eine Falle war. Athavar, Aristeas, Aznael, Durgrim und Thorwin folgten ihm. Zuletzt der Blaue. Hinter sich zog er die Luke wieder zu und entzündete die Öllampe an seinem Gürtel.

Das fünfte Amulett (Band II der Chronik von Mittelland)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt