Thorwins Keuchen war das einzige Geräusch, das zu Asran durchdrang. Sein innerliches Schreien, dass Ergon landen sollte, war seine einzige Reaktion.
Kaum dass die Klauen des grünen Drachen den Boden streiften, sprangen Asran und Thorwin ab und hoben Durgrim auf den Boden. Ein Pfeil steckte ihm von hinten im Rücken, gefolgt von zwei weiteren, tiefer sitzenden.
Asrans Hände fuhren zu denen Durgrims. Sie waren verdammt kalt. Der Elf schüttelte ungläubig den Kopf, man mochte auch panisch meinen.
Immer mehr Blut troff aus den Wunden und färbte das Gras dunkel. Thorwin gab Durgrim leichte Backpfeifen, als seine Augenlider zu flattern begannen.
„Du stirbst uns hier nicht weg, hörst du! Was ist das denn für eine Scheiße, die du hier veranstaltest? Ehrenhafter Krieger, der bei einem Ausflug den Tod findet. Durgrim, du bist ein verdammter Zwerg! Du bist zäh uns kannst eigentlich nicht sterben", seine Forderungen waren beinahe schon bettelnd.
Asran drückte seine Hände auf Durgrims Brust und konzentrierte sich auf das grüne Amulett. Er schloss die Augen, konnte den leidenden Zwerg unter sich nicht mehr länger ertragen. Er spürte die unregelmäßigen, angestrengten Atemzüge und der Elf verzog gequält den Mund.
„Lebe!", schrie Thorwin und wieder gab er dem Zwerg einen Klaps auf die Stirn.
Asran presste noch fester seine Hände auf das Hemd von seinem Gefährten, aber er wusste nicht, was er zu tun hatte. Grorphil hatte noch nicht so viel Zeit gehabt, ihm Vieles in Sachen Magie zu lehren. Eher ging es in seinem Unterricht um die richtige Beherrschung, das korrekte Einsetzen der Magie und um den Kampf. Nicht aber um die Heilung.
Zugegeben war Asran auch kein folgsamer Schüler gewesen.
„Nein", keuchte er, die Zähne zusammengepresst. Er riss die Augen auf und suchte den verzweifelten Blick von Thorwin. Tränen glitzerten in seinen Augen.
Niedergeschlagen nahm Asran die Hände von Durgrims Brust. Es würde nichts bringen, wenn er jetzt noch mehr versuchen würde. Höchstens könnte er das Leiden in die Länge ziehen.
„Sagt... meinem Bruder... dass er kein gieriges Schwein war", flüsterte Durgrim und Husten schüttelte ihn.
„Gieriges Schwein?", fragte Thorwin und der Zwerg antwortete heiser: „Kleines Spiel vom früher. Rettet... rettet Mittelland für mich und schützt das... das Volk der Zwerge."
Asran biss sich auf die Lippe, damit sie nicht allzu sehr bebte. Wieder hustete Durgrim und ein letztes Mal bäumte er sich auf. „Nimm... nimm das. Es... es wird den... den Zwergen guttun", krächzte er und hielt Asran zitternd und mit letzter Kraft etwas entgegen. Eine Kette, deren Anhänger eine kleine goldene Axt war.
Asran zögerte kurz, nahm die Kette dann jedoch an sich. „Thorwin...", ein Lächeln verzog Durgrims blutige Lippen. „Es gibt keinen... besseren Freund als dich."
Das Leben in seinen Augen erlosch. Seine Muskeln entspannten sich und der letzte, heisere Atemzug entwich seiner Lunge.
Thorwin sank in sich zusammen und schrie, seine Hände ballten sich zu Fäusten und Tränen bahnten sich ihren Weg auf seinem Gesicht.
Asran starrte noch immer abwechselnd die Kette und den toten Zwerg zu seinen Knien an. Fassungslos, wütend, rachsüchtig. Tausend Gefühle und Gedanken rasten in ihm, jagten sich gegenseitig und verlangten nach Rache. Zugleich spürte er nichts und sobald er auch nur einen Gedanken erfassen wollte, entglitt ihm dieser und füllte ihn mit Leere.
Asran beugte sein Haupt und legte seine blutige Faust auf sein Herz.
„Hrethi, mi'u", sagte er leise. Gute Reise, mein Freund.
Eine Weile lang verharrten Thorwin und Asran dort, Seite an Seite, kniend neben Durgrim. Neben dessen Tod verletzte Asran ebenfalls Thorwin. Was machte diese Reise mit ihnen? Was war aus dem einst so stolzen Krieger geworden, dessen Haar im Licht geleuchtet hatte?
Nichts war mehr von ihm übrig außer eine stumpfe Mähne und eine leere, gebrochene Hülle an der Seite eines guten Freundes. Eines toten Freundes.
Als Ergon seinen Kopf auf Asrans Schulter legte, spendete diese Berührung ihm wenigstens ein bisschen Hoffnung. Er würde Durgrim rächen und ebenso den Riesen und den Elfen. Er würde sie alle töten, würde alle dafür büßen lassen, dass sie einem so wunderbaren Wesen wie Durgrim das Leben geraubt hatten.
Er saß lange so da, bis mit einem Mal ein Licht die Nacht durchflutete. Als Asran seinen Kopf hob, sah er die Gestalt einer hochgewachsenen Frau mit entfalteten Flügeln durch ein Lichttor kommen. Navèst war da, zu spät für jede Rettung.
Aber sie war da und würde Asran im Notfall an der Seite stehen.
DU LIEST GERADE
Das fünfte Amulett (Band II der Chronik von Mittelland)
FantasyVölker, deren einstige Packte zerbrechen. Lebewesen, die sämtliche Intrigen spinnen, um zu überleben. Ein dunkler Lord, der den Krieg eines ganzen Landes ausgelöst hat. Die fünf Amulette, heutzutage sprechen sie mit Furcht über die drei Wörter. Denn...