~Vereinigung~

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„Ho!", rief Aristeas und zügelte sein Ross. Das mächtige Tor des Zwergenreiches öffnete sich und als Aristeas dieses durchquerte, hallten die Schritte Jumias laut. Zu seiner Verwunderung erblickte der Zauberer keinen einzigen Zwerg in den finsteren Gängen des starken Königreiches. Aristeas trieb Jumia die Flure hinab, jedes Tor, hinter dem er auf Grimbold und Asran antreffen könnte, öffnete er. Der Festsaal: leer. Die Schmieden: verlassen. Aber als der Zauberer die Torflügel am Ende des Ganges öffnete, drangen dutzende Stimmen zu ihm. Aristeas fand sich unter freiem Himmel wieder. Keine einzige Wolke trieb am meerblauen Himmelszelt. Vor Aristeas standen eine Handvoll Zwerge, Grimbold, Asran, Athavar, Aznael, Laurentius, Obsukrin und Vazyllanne. Auf Asrans Schulter lag der Kopf eines großen, grünen Drachen. 

Allesamt standen sie auf einer Art Balkon mit silbernen Fliesen und verschnörkeltem Geländer. Grimbold fuhr herum und sah Aristeas ein paar Augenblicke erschrocken, dann erfreut an. Asran bemerkte Grimbolds kurze Abwesenheit, blickte sich ebenfalls um und lief dann freudigen Schrittes auf den Druiden zu. „Wo warst du?", fragte der Elf leise, als er neben Aristeas stand. „Ich hatte einige Angelegenheiten zwischen mir und Mosemsis zu klären", erwiderte der Zauberer. Asran hob eine Augenbraue. „Mosemsis, der Goldene?", fragte er und Aristeas nickte. 

Der Blick des Zauberers wanderte über die Versammelten. Durgrim fehlte und ebenso das Haar von Thorwin. Bestürzt wandte er sich an Grimbold. Er wusste nur allzu gut, was es hieß, wenn ein Mensch aus dem Norden sein Haar abschnitt.

„Grimbold...", raunte Aristeas mit belegter Stimme, noch immer schockiert. Was war passiert? Wer war Schuld an Durgrims Tod?

„Dich schickt der Himmel!", unterbrach der Zwergenkönig seine düstere Vorahnung und schloss Aristeas in die Arme. Der Zauberer schob ihn sachte beiseite und trat einen Schritt vor. Über den Rand des Balkons blickte er auf einen riesigen Trainingsplatz.

Der rechteckig geformte Platz war so groß, das man seine Fläche gar nicht schätzen konnte. Unzählige Strohpuppen standen neben Zielscheiben und Boxsäcken. Sie alle waren beiseite geschoben, um einer Streitmacht Platz zu machen. Einer Streitmacht der Elfen und Zwerge.

Aristeas vergaß kurzzeitig seine Fragen an Grimbold und ihm traten Tränen in die Augen, so rührend war der Anblick, wie die Zwergenkrieger, mit dunklem Eisen gepanzert, Äxten in den Händen und mürrischen Gesichtsausdrücken unter ihren Helmen, vor langen Reihen aus Elfen standen. Die Elfenkrieger aus Daulinien und dem Moraldwald. Sie trugen waldfarbende Jagdkleider, Arm- und Beinschienen und dunkle Stiefel. Ihre langen Haare waren zurückgebunden, ihre Gesichter schelmisch und herausfordernd. Lange Bögen und grazile Schwerter ragten über ihre Schultern. Auf schwarzen und braunen Schlachtrössern bildeten sie geordnete Reihen.

Diese Elfen bildeten den linken Flügel des Heeres, den anderen Flügel bildeten die Elfen aus Daulinien. Wenn sie so nebeneinander standen, erkannte man, wie unterschiedlich die Elfen doch waren. Die Elfen aus dem Moraldwald waren naturbelassen, frei und zu jedem Spaß zu haben. Die Elfen Dauliniens waren an ihre Herrscherin gebunden, stolz und eitel, eine schier unüberwindliche Barriere. Sie trugen schillernde Rüstungen, die in den Augen brannte, wenn das Sonnenlicht auf sie fiel. Ihre hohen Helme schützten ihre Gesichter und ließen sie unerkennbar erscheinen. Die Pferde dieser Elfen waren muskulös und erhaben. Die Beine der Kaltblüter waren so dick wie der Stamm eines jungen Baumes. Ihre tiefschwarzen Augen blickten so, als würden sie mehr verstehen, mehr noch, als sie alle gemeinsam. 

Athavar, Vazyllanne, Laurentius, Aznael, Asran, Grimbold und Obsukrin traten nun an Aristeas heran. „Es ist viel geschehen, wandernder Weiser", sagte Vazyllanne mit ihrer glockenhellen Stimme. Aristeas sah sie an. Sie sah wunderschön aus. Ihr schmales Gesicht wurde von blondem Lockenhaar umfasst, ihre Augen schienen tief in seine Seele blicken zu können. Aristeas' Blick wanderte von ihren vollen Lippen hinab zu ihrem Kleid. Es schmiegte sich an ihren Körper wie eine Katze. Das helle Blau hatte dieselbe Farbe wie der Himmel über ihnen. Durch einen fast hüfthohen Schlitz konnte er ihr Bein sehen. Sie hatte eine helle Hautfarbe.

Der Zauberer nickte. Eine Hand legte sich von hinten auf seine Schulter. „Das Heer der Menschen wird bereits gerufen, in wenigen Tagen werden sie eintreffen", sagte Athavar. Aristeas nickte erneut, fragte dann aber: „Was ist mit Durgrim passiert... und mit Thorwin? Wo ist die Armee von Mussling? Was ist geschehen?" Nun war es Asran, der ihm antwortete, seine Stimme bebet vor unterdrückten Gefühlen: „Er ist umgekommen. Sahisson hat sich gegen uns verschworen, der dunkle Herrscher hat ihn für sich gewonnen. Dass Thorwin für Durgrim sein Haar abgeschoren hat, scheint dir klar zu sein." Aristeas schluckte gegen den dicken Kloß in seinem Hals. Er hatte es geahnt. Kurz schüttelte er den Kopf, dann war er wieder Herr seiner Lage.

„Auch Mosemsis hat sich gegen uns verschworen. Lange, lange war ich in seiner Gefangenschaft", sagte Aristeas. Seine Mimik hatte er im Griff, seine Stimme nicht. Grimbolds Augen weiteten sich. „Wie entkamst du?", fragte der Zwergenkönig. Dass er sich nicht zu dem Tod seines Bruders äußerte, fiel dem Zauberer mehr als nur auf. 

Er antwortete: „Er liegt tot in seinem Kerker. Es bleibt nur zu hoffen, dass er nicht weitere Zauberer von seinen Plänen überzeugt hat. Aber immerhin wären es nicht viele, Zauberer gibt es fast keine mehr in Mittelland." 

Athavar schüttelte den Kopf. „Ich weiß, wir Menschen sind schwach. Aber wir sind zahlreich. So zahlreich, dass auch wir das Schlachtenglück wenden können. Und deshalb sage ich, dass die Zauberer nicht harmlos ist. Bei ihnen ist es genau anders herum als bei uns Menschen. Während wir zu tausenden sind, sind die Zauberer allein. Aber unsere Macht ist gering, die ihre von hohem Wert. Sie können es sein, die uns alle in den Tod schicken. Sie können es sein, die schließlich die Welt für sich besitzen!", sagte der Menschenkönig. 

Aristeas nickte und schluckte seine Verneinung hinab. Er hatte keine Kraft mehr, mit Athavar zu diskutieren. „Das ist ja alles ganz schön, aber sollten wir jetzt nicht einmal auf unsere Krieger feiern, die es geschafft haben, mit ihrem Glanz und ihrer Vollkommenheit unseren Atem zu rauben?", fragte Obsukrin und sah Athavar entschuldigend an. Dieser winkte ab, doch seine Stimme ging unter dem Gemurmel der Zustimmung der anderen unter. Grimbold trat ganz nah an die Reling und drehte das große Sprechrohr in Richtung seines Mundes. Kurz bevor er zu sprechen anfing, sammelte er sich und Aristeas sah förmlich, wie er die Erinnerung und die Trauer beseite schob.

„Ihr habt Monate lang trainiert, um in diesem Augenblick hier zu stehen...", begann er. Wie lange Aristeas wohl weg gewesen war? Er vermochte es nicht zu sagen. „...und nun ist es so weit. Während wir hier gekämpft und geübt haben, hat der dunkle Herrscher seine Pläne verfolgt. Er wird nicht tatenlos gewesen sein und er wird uns überraschen. Aber wir, wir werden auf alles gefasst sein! Wir haben uns ausgesprochen, unsere Herzen sind rein und ich...", Grimbold räusperte sich „...und ich glaube, dass ihr Zwerge euch auf die Elfen verlassen könnt, sowie ihr Elfen euch auf uns Zwerge verlassen könnt. So jedenfalls ist es bei mir", sagte der Zwergenkönig und die Zustimmung der Elfen und Zwerge wurde laut - jedenfalls die Zustimmung der Elfen aus dem Moralwald. 

„Ich erwähnte, dass der dunkle Herrscher eine Überraschung besitzen wird. Und wir werden auch eine besitzen! Viele von euch haben sie schon gesehen und dennoch möchte sie, dass sie sich euch einmal offenbart. Oft war sie in den finsteren Ecken unserer Gänge und war verborgen in den Schatten. Jetzt aber ist sie gekommen! Ich begrüße dich, Navèst!", schrie Grimbold und eine geflügelte Gestalt erschien binnen eines Augenblickes. Eine große, schlanke Frauengestalt, gewandet in ein tiefrotes Jagdkleid. Dunkle Hörner stießen aus ihrem schwarzen Frauenhaar, weiße Schwingen brachen aus ihren Schulterblättern.

Navèst hob eine Hand und der Lärm verstummte. Sie trat nicht an das Sprechrohr, ihre Stimme war laut genug, sodass jeder sie verstehen konnte. „Ich war einst eine Göttin der Elfen, dann schwand mein Ansehen. Ich verlange nicht, dass ihr mich ehrt und mir etwas opfert, schon gar nicht ihr Zwerge! Ich will nur, dass die ganze Welt befreit wird und die Ketten, die um sie gelegt wurden, gesprengt werden. Im einstigen Krieg um die Krone des Moraldwaldes verlor sein Herrscher dessen Leben. Und das lag daran, dass er zu früh einen Sieg für sich entschieden hat. Seine Feinde gewannen durch Tücke, und nur so können auch wir gewinnen. Wenn sich der dunkle Lord seines Sieges sicher ist, dann ballen wir nochmals all unsere Kräfte und töten ihn mit nur einem einzigen Klingenstrich!"

Das fünfte Amulett (Band II der Chronik von Mittelland)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt