„So soll es sein", sagte Grimbold laut und in seinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. „Wir werden deinem Sohn nicht schaden. Er wird unter die Obhut der Treuesten der Treuen genommen", fügte der Zwerg hinzu.
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Nachdem sie schweigend gegessen hatten, führte Grimbold die Gefährten in eine weite Kammer. Sie war kreisförmig und der Boden war, wie im Speisesaal, aus dunklem Holz. An der runden Wand waren Rüstungen aufgerichtet. In allen Größen und aus den unterschiedlichsten Materialien standen sie auf Ständern. Von Lederrüstungen bis hin zu edlen Harnischen. Und vor jeder Rüstung stand eine Steintruhe. Sie ging den Zwergen bis zur Hüfte.
„Erwählt euch eure Panzer. In der dazugehörigen Truhe werdet ihr Zubehör, Geld und Münzen finden. Auch werden dort Waffen liegen. Nehmt euch aus den Truhen, was ihr benötigt. In vielen Städten werdet ihr Geld benötigen, um die Wege passieren zu können. Aber ihr könnt natürlich auch kleine Dolche nehmen, die ihr in den Rüstungen verstecken könnt, und diese statt des Geldes benutzt. Dann hat sich die Sache mit den Zollmännern erledigt", sagte Grimbold. Er setzte die Fackel, die er in der Hand gehalten hatte, in einen Fackelhalter und verließ den Saal. Asran musterte die Rüstungen. Schließlich erwählte er ein weites braunes Hemd, in dessen Stoff verborgene Eisenplättchen eingebaut waren. Als er die Truhe öffnete, blendeten ihn helle Edelsteine und silbernes Eisen. Ein smaragdgrüner Stein fiel ihm besonders auf. Er hatte etwas Anziehendes. Der Elf nahm den Stein und wiegte ihn in den Händen. Er war etwa doppelt so groß wie Asrans Hand und erstaunlich schwer.
Der Elf legte den Stein zur Seite und wühlte weiter in der Kiste. Weit unten fand er ein Schwert, das sich wunderbar in seine Hand schmiegte. Er hob es und vollführte damit prüfend einige der Paraden und Angriffe, die Moserim ihm gezeigt hatte. Er sprang einen Schritt vor, stach das Schwert vor ihm in die Luft, unterlief die Klinge seines eingebildeten Gegners und parierte den Hieb. Er spürte die Blicke seiner Gefährten auf sich selbst. Etwas peinlich berührt steckte er das Schwert zurück in die Scheide. Mit einem Lächeln wandte er sich wieder der Truhe zu.
Er nahm einen Beutel und steckte den grünen Stein und ein paar Handvoll Münzen herein. Wer weiß, vielleicht würde der Stein ja noch einmal von Nutzen sein. Als Asran fertig war, wandte er sich an seine Gefährten. Durgrim lehnte in der Tür, während Aristeas verschieden große Goldmünzen in einen Beutel steckte. Aznael rührte nichts von den Zwergengaben an, während Thorwin sich mit einem neuen Schild rüstete. Athavar hatte sich einen goldenen Harnisch ausgesucht. Asran wurde noch einmal bewusst, wie groß der Saal war. Über dreihundert Rüstungen hatten hier Platz. „Sind wir durch?", fragte Durgrim. Aristeas nickte: „Das müsste genügen."
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In der Nacht, als alle schon schliefen, entzündete Asran eine Öllampe. Die Gefährten hatten jeder ein einzelnes Zimmer bekommen, doch Asran konnte nicht schlafen. Immer wieder nahm er den Smaragd und legte ihn an die Brust. Er spürte etwas in dem Stein, eine besondere Macht. Als Asran schon zum vierten Mal den Stein betrachtete, brach der Stein in des Elfen Hand entzwei. Zwischen den Steinsplittern saß eine Gestalt. Sie war etwa so lang wie Asrans Unterarm. Grüne Schuppen bedeckten die Haut der Gestalt. An den vier Beinen saßen spitze Krallen, die sich in Asrans Hand gruben. Grüne Augen glitzerten im Mondlicht, das durch eine schmale Luke ins Zimmer fiel. Der Elf hielt die Luft an. Auf seiner Hand saß ein Drache! Augen in der Farbe von frischem Efeu blickten Asran an, ohne zu blinzeln.
„Ich habe lange darauf gewartet, dass du mich findest", ertönte die Stimme des Drachen in Asrans Kopf. Als Asran nichts entgegnete, fuhr er fort: „Ich weiß um dein Schicksal, Asran. Ich weiß, dass du eine Gattin hast, Lasyn. Du und Lasyn wurdet von dem Lehrmeister Moserim zu Azariel geschickt, der jedoch nicht anzutreffen war. Doch vor der Hütte traft ihr Fassuin, der euch wiederum nach Mussling brachte, wo du deine Gefährten kennenlerntest. Aber Lasyn musste zurück zum Moraldwald. Dort gebar sie euren Sohn, Lyvaron.
Du zogst mit deinen Gefährten nach Romak, doch an der Ruine von Taebryn wurdet ihr von den Grackern überrannt. Athavar war dort dem Tod sehr nahe, doch Aristeas holte ihn zurück ins Leben. Ihr gingt zu Obsukrin, um ihn von der Niederlage zu berichten, und dann beschrittet ihr den Morsweg. Er ist zwar eine Abkürzung zu den Zwergen, aber dort erwarteten euch die Morslorde, die dem dunklen Lord dienen. Er weiß dank des dunklen Zaubers jederzeit, wo du bist, doch nahmst du dir Elanor, das einzige Schwert, mit welchem der dunkle Lord verletzbar ist.
Ihr wurdet von Nincoril befreit und nach Daulinien gebracht. Die Gracker auf der dunklen Festung hätten euch aufhalten können, doch fügten sie sich dem Willen des dunklen Herrschers, der befahl, euch ziehen zu lassen. Vazyllanne gewahr euch keine Zuflucht und nun landetet ihr hier und du verhandeltest mit Grimbold. Er verlangte deinen Sohn, und du warst einverstanden. Nun besitzt du ein Heer der Zwerge, das es vielleicht möglich macht, den dunklen Herrscher zu bannen."
Asran war geschockt. ‚Woher weißt du das?', dachte er. „Ich war zwar im Ei eingeschlossen, doch konnte ich jahrelang meinen zukünftigen Herren beobachten, und überlegen, ob er mir würdig ist", erwiderte der Drache. Seine Stimme schmeichelte Asran. Der Elf schwieg. Nach einer Weile erwiderte er schließlich: ,Und, bin ich deiner nun würdig?' Der Drache schlang seinen Schwanz um die Hinterbeine und erwiderte: „Ja. Du gabst deinen Sohn, um das Leben vieler Menschen und Elfen zu retten. Du nahmst den Zorn deiner Liebsten auf dich, um einen Krieg zu gewinnen." Asran nickte gedankenverloren. „Wir werden uns einander verstehen müssen. Auch müssen wir das gemeinsame Kämpfen erlernen. Es gab manche Drachenreiter, die ihren Drachen blind verstehen konnten. Zu so einem Team müssen wir werden. Wir müssen uns von dem anderen führen lassen können. Wir müssen uns aufeinander verlassen können", fuhr der Drache fort. Asran blickte dem Grünen fest in dessen Gesicht und sagte dann über Gedanken: ‚Wir werden gewiss viel lernen müssen, und es wird nicht immer gutgehen, aber ich bin froh, dich an meiner Seite zu wissen, Ergon.'
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Das fünfte Amulett (Band II der Chronik von Mittelland)
FantasyVölker, deren einstige Packte zerbrechen. Lebewesen, die sämtliche Intrigen spinnen, um zu überleben. Ein dunkler Lord, der den Krieg eines ganzen Landes ausgelöst hat. Die fünf Amulette, heutzutage sprechen sie mit Furcht über die drei Wörter. Denn...