Der Geruch von Rauch lag in der Luft und das Klimpern der Waffen übertönte das Gezwitscher der Vögel. Eine unbehagliche Stimmung herrschte unter den Kriegern. Ihre Reise flussaufwärts war bis jetzt ohne allerlei Schwierigkeiten verlaufen. Ihre Boote, die sie notdürftig bei den Höhlen von Taugrum hergestellt hatten, waren relativ stabil gewesen. Asran saß an der Reling des Kanus, auf dem auch seine neuen Berater saßen. Er fühlte sich nicht würdig, der König der Zwerge zu sein. Zwar begegnete ihm sein Volk mit Respekt, aber dennoch fühlte er sich fehl am Platz. Anders. Und das bekam er jeden Tag zu spüren. Er war groß, die Zwerge klein. Sie hatten einen Bart, er nicht. Und sie wussten natürlich mehr über das Zwergenreich, als er selbst.
Etwas schrammte an dem Bug der Königszorn entlang. Sie liefen an. Endlich. Grorphil warf das Tau, das er in den Hände gehalten hatte, und schlang es um einen Fels. Dann zog er das Kanu an das Ufer und sprang heraus. Asran ging als letzter von Bord. Wachen flankierten seine Seiten, er konnte nie einen Schritt tun, ohne dass seine Leibwächter in der Nähe waren. Sie störten ihn. Nie hatte er Zeit für sich. Im Norden erstreckte sich der Wald von Daulinien. Golden glänzten seine Blätter in dem Sonnenlicht. All die anderen Boote erreichten nun auch das Ufer. Die der Menschen, der Elfen und der Zwerge. Vazyllanne trat an Asrans Seite. „Beenden wir Elfen das, was wir einst heraufbeschworen haben", sagte sie und folgte seinem Blick, „Beenden wir das, was so viel Leid ausgelöst hat. Begehen wir unsere letzte Reise."
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Nincoril eilte den Wehrgang herauf. Hunderte Krieger waren dort mit Langbögen und Speeren postiert. Eimer mit Pech waren randvoll gefüllt und bereit, ihren Dienst zu erfüllen. Der Blaue bedauerte es ein wenig, dass die Schlacht um Mittelland hier stattfinden musste, hier, wo die Welt doch am schönsten war. Die uralten Bäume waren lebendig und weise, ihre Geister hatten sich von ihnen gelöst und gingen von dieser Welt. Die Bäume wussten, dass es kaum Überlebenschancen für sie gab. Die Gracker waren blind für all das Leben, das sie geringer schätzten als sie selbst. Und sie vernichteten dieses Leben. Sie taten das mit Freude.
Nincoril rückte sein Schwert zurecht. So viele Schlachten hatte er nun schon seit der Geburt der Welt gefochten. Er wusste nicht, wer er in all seinen früheren Leben schon gewesen war, doch Vazyllanne hatte gesagt, seine Seele sei die Seele eines Kriegers. Und das Schicksal eines Kriegers war, im Krieg zu sterben, und nicht in irgendeiner Schreibkammer! Nincorils Augen suchten den Horizont ab. Die Bäume verbargen die Gracker, wenn sie denn schon da waren. Das war einer der wenigen Nachteile der Burg von Daulinien. Die alten Birken und Eichen, ebenso wie Weiden warfen lange Schatten. Bald würde die Abendstunde heraufziehen. Noch ein weiterer Nachteil! Ihre Gestalten würden sich stark im Fackellicht abzeichnen, während die Gracker mit der Dunkelheit verschmolzen sein würden. Vielleicht war es sogar das, weshalb die Gracker noch nicht aufgetaucht waren!? Sie wollten jeden Vorteil nutzen, sie waren nicht so dumm, wie man von ihnen sprach. Auch die Gracker waren Krieger...
Etwa eine Stunde wartete Nincoril auf dem Wehrgang, als er eine Bewegung bemerkte. Eine Gestalt huschte durch die Finsternis. Das konnte unmöglich jemand von ihnen sein! Alle Elfen aus Daulinien waren in der Burg! Und all die Krieger der Zwerge und der Menschen ebenfalls! Nincoril wartete nicht lange, sondern wandte sich an das große Horn, das neben ihm aufgestellt war. Es war fast zwei Schritt groß und aus den Knochen eines Drachen geschnitzt. Als der Elf tief Luft holte und in das Horn blies, ertönte ein tiefer, ohrenbetäubender Ton. Sämtliche andere Horne erschallten, was hieß, dass seine Warnung alle erreicht hatte. Das helle Horn am westlichen Wachturm, das tiefe Horn am nördlichen Wachturm und das Horn am östlichen Wachturm, das einen hohen und einen tiefen Ton gleichzeitig hatte. Alle antworteten, der Krieg begann.
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Loghrus hörte einen tiefen Ton, drei weitere antworteten. Die Elfen hatten sie entdeckt. Aber es nützte jetzt nichts mehr. In dem Schutz der Dunkelheit hatten seine Gracker Rammböcke gebaut, Katapulte herbeigetragen und Steine gesammelt. Die Burg von Daulinien würde fallen, egal wie viel Widerstand die Elfen geben würden! Es war zu blöd, dass all seine Spitzel, die er zu den Elfen geschickt hatte, nicht zurückgekehrt waren. Allein deswegen sollte das hochnäsige Pack sterben! Und mit ihnen ihre Königin.
Saurer Atem schlug Loghrus ins Gesicht. Es war Shrambal. Er hatte Athavar getötet und wurde von diesem Mistkerl von Elf getötet doch Loghrus' Herr hatte Shrambal zurück ins Leben gerufen. Der arme Kerl war, so wie Loghrus selbst, zerstückelt, aber immerhin lebte er. Und der Krieger war ein Genie, wenn es um Taktik ging!
„Wie greifen wir an?", fragte Shrambal heiser. Seine Stimme würde nie wieder heilen, so wie sein Körper. Seine Stimmbänder waren durchtrennt, der Gracker konnte nur heiser flüstern. Loghrus stützte sich auf seine Krücke. Er deutete hinauf auf den Wehrgang der Elfenstadt. „Dort oben sind Elfen postiert. Ihre Pfeile durchschlagen unsere Rüstungen, wir müssen achtsam sein! Wenn wir durch das südliche Tor wollen, dann empfangen uns sämtliche Zwerge und Menschen. So sind uns zwei Wege versperrt, der Weg der Luft und der Weg des einfachen Stürmen. Bleiben uns zwei Wege offen: der Weg durch das Erdreich und der Weg der Tücke", erwiderte der Feldherr. Shrambal blickte ihn fassungslos an. „Der Weg durch das Erdreich?", wiederholte er ungläubig. Loghrus nickte. „Wir könnten eine Tunnel durch die Erde graben, direkt in das Herz Dauliniens. Der Boden ist nur aus Erde", sagte er und vergnügte sich an dem verständnislosen Blick Shrambals.
„Und was ist der Weg der Tücke?", fragte er und sah Loghrus missmutig an. Dieser antwortete nicht, sondern zeigte auf all die Katapulte und Leitern und Haken, die hinter ihm sorgfältig gestapelt waren. Auf Shrambals Blick hin sagte Loghrus dann: „Lass dich überraschen, mein Freund. Wir beide haben nichts Gefährliches zu unternehmen. Vergiss nicht, wir beide sind alte Krüppel."
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Das fünfte Amulett (Band II der Chronik von Mittelland)
FantasyVölker, deren einstige Packte zerbrechen. Lebewesen, die sämtliche Intrigen spinnen, um zu überleben. Ein dunkler Lord, der den Krieg eines ganzen Landes ausgelöst hat. Die fünf Amulette, heutzutage sprechen sie mit Furcht über die drei Wörter. Denn...