~Magische Pforten~

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Grorphil betrachtete Asran prüfend. Der Elf hatte in den letzten Monaten viel gelernt und konnte die Magie spüren, benutzen und richtig anwenden. Auch Ergon hatte große Fortschritte gemacht: Er war nun so groß, dass Asran auf ihm reiten konnte und hatte gelernt Feuer zu speien. „Warum kann Ergon nicht mitkommen? Durch diese Reise wird das Band zwischen uns noch stärker!", protestierte der Elf. Grorphil seufzte und verdrehte die Augen. „Du bist genauso stur wie einer der Meinen. Ich erklärte dir diesen Grund nun schon mehr als dreimal, aber wenn es sein muss, erläutere ich ihn nochmals: die Götter der alten Zeit sind unehrenhafte Schurken. Kennst du die Geschichte des Irkandir? Wenn ja, dann müsste dir bewusst sein, dass die Götter damals Völker vernichteten und sich selbst, um für sich zu überleben!", sagte Grorphil.

Asran murrte etwas unverständliches, doch Grorphil fuhr fort: „In ihren erschaffenen Orten wohnt nur böse Magie inne. Sie ziehen Kraft aus jedem Lebewesen, das diesen Platz betritt. Bei dir ist es harmlos, du bist ein Elf, das heißt, dass deine Seele schon unzählige Körper besaß und nun stark ist. Die Seele Ergons ist frisch, gerade erst aus dem Ei geschlüpft und sein Geist noch nicht stark genug, um den Widerstand gegen die verführerischen Gedanken standzuhalten." „Und für mich ist dieser Ort wirklich nicht gefährlich?", fragte Arsan nochmals nach. Grorphil seufzte tief, legte eine Hand auf sein Herz und sagte: „Ich schwöre dir bei meinem Leben, dass du durch dieses Tor schreitest und sicher zurückkommst. Und nun ab mit dir, öffne das Tor!"

Der Elf packte das grüne Amulett, das ihm am zweiten Tag seines Unterrichts mit Grorphil zugekommen war, atmete einmal tief ein und schloss dann die Augen. Grorphil sah, wie die Pupillen unter den Lidern rasten. Asran fiel auf die Knie und augenblicklich überkamen Grorphil Zweifel. Was, wenn Asran Seele doch nicht so alt war, wie er annahm? Was, wenn Asran noch nicht so geübt in der Magie war, dass er Tore öffnen konnte? Doch schon nach wenigen Augenblicken zeigte sich, dass Grorphils Zweifel unbegründet gewesen waren. Ein silbern glänzendes Tor öffnete sich und ein strahlendes Weiß ergab sich zwischen den beiden Säulen, die aus dem Boden wuchsen und miteinander verschmolzen, sodass ein Torbogen entstand. Asrans Augen öffneten sich und die Pupillen, die unter seinen Lidern riesig gewesen waren, zogen sich mit einem Mal zusammen und waren nun nur noch so groß wie Nadelköpfe. 

Das Weiß erstrahlte den gesamten Raum. Die Steinwände mit den magischen Runen reflektierten das Licht und die Edelsteine im Boden gaben das Licht in den unterschiedlichsten Farbtönen wieder. Grimbold hatte diesen Raum ‚die Halle des Lichtes' genannt, und jetzt offenbarte sich der Sinn dahinter. Viele Zwerge, die diesen Raum nie betreten hatten, glaubten, dass die Halle ihren Namen daher hatte, weil sie von allen Räumen am weitesten oben im Berg lag. Dort war sie der Sonne, dem Himmel, den Sternen und dem Mond am nächsten. Etwa zwanzig Schritt im Durchmesser maß der runde Saal, sodass auch Ergon ohne Probleme anwesend sein konnte. Asran wandte sich erst an Grorphil und nickte ihm zu, dann an Ergon. Der Elf nahm den Kopf seines Drachen in beide Hände und verharrte so ein paar Augenblicke. Grorphil ahnte, dass sie miteinander über Gedanken redeten. Dann ließ Asran den Kopf seines Drachens los und schritt langsam auf das Tor zu. Als er in der Mitte des Torbogens stand, drehte er sich nochmal um. Seine Silhouette, die sich vor dem Licht abzeichnete, ließ das strahlende Weiß noch heller erscheinen. Obwohl Grorphil Asrans Gesicht nicht erkennen konnte, wusste er, dass der Elf lächelte, als er sagte: „Ich danke dir für all deine Hilfe, Grorphil. Dein Werk war es, dass ich nun hier stehe, auf der Schwelle in eine andere Welt. 

Und ich danke dir Ergon, der du mir so viel erzählt hast über die Geheimnisse der Magie." Ergon neigte seinen Kopf und auch seine Pupillen in den efeugrünen Augen zogen sich zusammen. Asran wandte sich erneut an Grorphil: „Mögen die Sterne über dir nie verblassen und dir deinen Weg immer leuchten. Mögen Axt und Schwert sowie Pfeil und Bogen dich nie verwundbar machen können und mag Magie dich nicht anzurühren. Ich danke dir, für all die Zeit, die du mit mir verbracht hattest, Meister." Dann verschwand die Gestalt und das Lichttor schloss sich. Grorphil hielt die Luft an. Er war von Asran noch nie ‚Meister' genannt worden, generell hatte der Elf noch nie so mit ihm, dem alten Zwerg, gesprochen. Stets hatte er einen frechen Ton gehabt und Widerworte gegeben. Aber diese Zeit änderte sich anscheinend. Die Elfen waren auf die Zwerge angewiesen und Asran war ein Elf, der die Zwerge nicht nur scheinbar mochte. Er liebte sie wie eine zweite Familie.

War es die Zeit, die zu schnell verging, oder er selbst, der nicht mithalten konnte? Grorphil konnte es nicht sagen.

Das fünfte Amulett (Band II der Chronik von Mittelland)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt