~Das Heer von Daulinien~

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„Mein Bruder", flüsterte Grimbold. Asran sah, wie Tränen in seinen Augen glitzerten. Durgrim lag mit geschlossenen Augen und sauberem Gewand auf einem etwa hüfthohen Steinen. Man hatte ihn gewaschen seine polierte Axt auf seiner Brust drapiert. Asran sah zu dem einst so stolzen Zwerg und verzog das Gesicht. Keine Träne sammelte sich in seinem Augenwinkel, er hatte sie verbraucht neben Thorwin an der Seite des sterbenden Durgrims.

Der Mensch stand neben ihm, spendete ihm Wärme und das Gefühl, nicht alleine zu sein. Er hatte seine Haare abrasiert, trug somit den Verlust eines guten Freundes öffentlich zur Schau.

Asran vermisste die rote Mähne, die Thorwin ausgemacht hatte. Aber Zeiten änderten sich und mit ihnen alles andere.

Zärtlich strich der Zwergenkönig über das Gesicht seines Bruders. Über die geschlossenen Augen, die glänzenden Haare und den harten Bart. Schließlich stand der Zwerg auf, trat zwei Schritte zurück und rief fremde, ohrenschmeichelnde Wörter. Sie klangen herzzerreißend, so, als wolle Grimbold der ganzen Welt von seinem Kummer berichten. Geräuschlos trat Navèst an Grimbolds Seite. Sie fasste ihn von hinten bei den Schultern, beugte sich zu ihm hinab und flüsterte etwas in sein Ohr. Er nickte und Navèst ging zu dem scheinbar schlafenden Zwerg. Mit melancholischem Lächeln strich sie ihm mit einer Hand über das Gesicht und schloss seine Augen.

Der Wind, der draußen jaulte, schien leiser zu werden. Die unterdrückten Schluchzer schienen zu verstummen. Der schwere Atem der Gefährten wurde still. Dann presste Navèst ihre Hand fest auf den Brustkorb des Toten und keuchte leise Worte, scharf wie ein Messer. Goldene Adern traten aus dem Stein hervor, auf dem Durgrim lag. In pulsierenden Stößen wurde Gold durch ihn gepumpt. Immer höher schlängelten sie sich durch das Gestein, bis sie den Leichnam erreichten. Dort wuchsen sie aus ihrem steinernen Gefängnis und legten sich um den Körper des Thronfolgers.

Sein Mund klaffte auf und etwas Silbriges wurde aus ihm gezerrt. Ein schimmernder Lichtfaden wie ein Wurm kroch hinaus und ließ sich in der Luft treiben. Er schwebte über die Zwerge, Menschen und Elfen hinweg, begleitet von tanzenden Punkten gleich Glühwürmchen und löste sich dann langsam auf. Seine starke Farbe verblasste, bis zuletzt nur noch die Erinnerung blieb.

„Was hast du gemacht?", schrie plötzlich ein Zwerg hinein in die Stille. Er packte seine Axt und ging auf Navèst los. „Du hast ihm die Seele gestohlen, du... du Biest! Den Tod hast du verdient!", brüllte er und schwang seine Axt bedrohlich nahe von Asran. Grimbold fasste ihn sanft an den Arm. „Nein", sagte er traurig lächelnd. „Sie hat seine Seele nicht gestohlen. Sie hat sie nur befreit. Jetzt kann sie wiedergeboren werden."

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Vazyllanne schreckte hoch. Sie hatte einen Alptraum gehabt. Sie hatte von ihr geträumt! Von der gefesselten Göttin! Mit Entsetzen spürte sie einen warmen, nackten Körper neben sich. Aznael! O nein! Sie hatte sich zu sehr treiben gelassen! Sie durfte sich nicht nach starken Armen sehnen, die sie hielten! Nicht nach einem schönen Mann, der vor ihr stand! Nicht nach seinen lieblichen Küssen und auch nicht nach seiner Nähe in der Nacht! 

Sie war eine mächtige Herrscherin, durfte nicht vor ihrem Volk und schon gar nicht vor ihrem Feind Gefühle zeigen! Aznael regte sich. Er sah wahrlich gut aus. Sein schmales Gesicht wirkte noch genauso wie bei ihrer ersten Begegnung. Geheimnisvoll. 

„Ich muss los", presste Vazyllanne hervor. Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen. Aznael stand auf und packte sie bei den Schultern. „Egal wo du hingehst, ich werde mit dir kommen", sagte er. Vazyllanne lächelte. Das hatte sie vermisst. Seine Worte. Doch augenblicklich erstarb ihr Lächeln und sie stieß ihn von sich fort. Sie durfte keine Schwächen haben! „Nein!", erwiderte sie wütend. Schnell warf sie sich ein weißes Kleid über und ging zu der Tür, durch die sie zu ihrem Thronsaal kam. „Aznael, wir müssen los! Heute noch! Ich übergebe dir das Kommando für meine Streitmacht, ruf alle zusammen und rüste sie aus! Wir müssen noch heute aufbrechen, am besten heute Abend. Währenddessen muss ich etwas überprüfen!", sagte sie und trat durch die Tür. „Was denn?", fragte Aznael noch doch das Tor fiel wieder ins Schloss.

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Eine einzelne Fanfare erklang. Grimbold horchte auf. Das war kein Horn der Zwerge! Das war ein... „Mein Herr, die Elfen kommen! Noch mehr! Elfen aus Daulinien!", sagte Drignum eindringlich. Grimbold zerbrach das kleine Stöckchen, mit dem er gedankenverloren gespielt hatte. Was hätte er jetzt nur für einen Rat von Durgrim getan. Aber sein Bruder war tot. Immer noch konnte der Zwergenkönig es nicht wahrhaben. Aber er würde auf Durgrim warten. Seine Seele war befreit, sie würde wiederkommen. „Mein Herr, Befehle!", sagte Drignum eindringlich und Grimbold entgegnete zu Drignums Entsetzen: „Öffnet das Tor."

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„Wir sind erfreut, Euch unterstützen zu können", sagte der verdammte Anführer des Elfenheeres.  „Wir brauchen eure Unterstützung nicht", entgegnete Grimbold eiskalt. Dieser arrogante Bastard! Er hielt seine Zwerge wohl für eine ungeordnete Bande, die sich für Krieger ausgab. „So so. Aber was ich sehe, kommt leider nicht mit Eurer Aussage überein. Was ich sehe sind nämlich ein paar alte Bärtlinge mit ein paar Steinen auf ihren Stielen, die sie für Äxte halten. Ich denke, nur ein Heer der Elfen aus Daulinien kann die Welt noch retten", erwiderte der Elf vergnügt. Grimbold biss die Zähne zusammen. Er musste sich zwingen, nicht auf den Elfen loszugehen.

Dabei hatte das arrogante Spitzohr Recht. Seine Streitmacht war zu schwach, um die Armee des dunklen Lords herauszufordern. Auch er war schwach. Schwach durch den Verlust seines Bruders, seines Thronfolgers und seines besten Freundes. 

Ein spitzes Lächeln lag um des Elfen Lippen. Er wusste sehr wohl, wie es um Grimbold stand. „Dein Gesicht ist wie ein Buch. Man kann darin lesen, ohne geübt sein zu müssen", fuhr er fort. Grimbold schnalzte warnend. Was sollte das jetzt schon wieder? Leider konnte er keinerlei Gefühl in dem Gesicht des Elfen erkennen. Nur Arroganz.

„Bevor ich mich mit dir über private Angelegenheiten unterhalte, möchte ich wissen wer du bist, Elfengeburt!", zischte Grimbold. „Nun, jetzt weicht Ihr vom Thema ab, doch meinen Namen werde ich Euch trotzdem nennen. Ich bin Ilymus, einer der treuesten Diener der Elfenkönigin Vazyllanne. Ich kündige ihre Ankunft an, aber sprechen kann sie mit Euch noch nicht. Sie ist noch erschöpft von ihrer Reise. Aber in meinen Augen ist es kein Fehler, wenn sie nicht mit Euch sprechen würde. Zwerge sind für Elfendamen von hohem Stand nicht gerade guter Umgang", sagte Ilymus. Grimbold erwiderte nichts. Er wusste nicht, was er darauf antworten konnte. „Geht es Euch nicht gut, Herr? Soll ich meiner Königin sagen, dass Ihr zu schwach seid, um mit ihr in den nächsten Tagen zu reden?", setzte der Elf noch einen drauf.

Grimbold stand so schnell von seinem Thron auf, dass dieser nach hinten umgekippt wäre, wäre er nicht im Boden verankert. Drohend kam er auf den Elfen zu. „Hör mir jetzt mal gut zu, Elf! Wer mich in meinem eigenen Königreich verspottet, der wird den Hass der Zwerge auf sich nehmen! Du verschwindest jetzt, oder du wirst die Kerker meines Kellers zu sehen bekommen!", zischte er zornig. Spöttisch hob der Elf eine Augenbraue, dann verbeugte er sich extra tief und erwiderte: „Ich werde meiner Herrin von Euch berichten. Wir werden Euch unterstützen, doch sobald Ihr unsere Hilfe nicht zu schätzen wisst, so werden wir wieder abziehen. Im Gegensatz zu Euch ist unsere Festung stark genug, um Jahrhunderte gegen den dunklen Lord auszuharren. Ich danke Euch aus tiefstem Herzen."

Das fünfte Amulett (Band II der Chronik von Mittelland)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt