~Vorbereitungen~

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Vazyllanne blieb eine Weile zurück. Nachdem alle anderen den Raum verlassen hatten, hatte sie Aznael hinweg geschickt. Sie musste mit sich alleine sein, nur so konnte sie nachdenken!

Nach einigen Minuten, in denen sie stillschweigend dagesessen hatte, hatte sie nach Nincoril gerufen und sich dann mit ihm auf den Weg zum Strategen gemacht.

Nun stand sie mit zufriedenem Gesichtsausdruck an einem der Zelte, in denen die Soldaten lagerten. Nincoril stand neben ihr, sein Gesicht wie immer zur eisernen Maske erstarrt. Die Königin musste schmunzeln. Manchmal nahm ihr treuester Krieger seine Pflicht doch zu ernst. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie hier, inmitten ihres Lagers, angegriffen werden würde, ging gegen null. Und doch verharrte Nincoril stets in ihrer Nähe.

Vazyllanne war trotz der vielen Vorkehrungen beunruhigt. Die Silberschale hatte ihr nur Schrecken gezeigt, Bilder, wie sie die Schlacht verlieren würden. Schon mehr als hundert Mal rügte sie sich, der Sache zugestimmt zu haben. Sie hatte sich einfach aus dem ganzen Schlamassel heraushalten sollen! Es wäre am sichersten gewesen, hätte sie Aznaels Bitte ausgeschlagen und mit ihrem Volk so lange Daulinien gehalten, bis die Zeit der Gracker vorüber gewesen wäre. Dauliniens Festung war stark und kaum zu erobern, die einzigen Schwachstellen waren die unterirdischen Abflussysteme. Diese wurden regelmäßig gepflegt, nichts war schlimmer, als eine Stadt, die nach Verwesung und Abfall stank!

Obwohl die Schächte tief unter der Erde lagen, könnten sie erobert werden. Aber Gracker waren nicht schlau genug, um das zu verstehen. Außerdem teilte Vazyllanne die geheimnisvolle Reinigung ihrer Stadt nur mit den Betroffenen, den Elfen, die sich dazu hatten überreden lassen, die Tunnelsysteme zu säubern.

Wieder verfluchte sie sich stumm. Wäre sie nur nicht Aznaels Charme unterlegen gewesen. Dabei liebte sie ihn gar nicht! Sie hatte seit Jahrzehnten keinen Mann mehr an ihrer Seite gehabt und hatte sich nur nach der Nähe Aznaels gesehnt. Sie hatte ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen. Sie ahnte, dass er sie liebte, und sie hatte ihn gewähren lassen. Das alles hatte sie jedoch nur aus reinem Egoismus getan, hatte sich danach gesehnt, geküsst und geliebt zu werden. Ja, sie hatte Aznael einst geliebt, aber diese Zeiten waren vorbei. Ihr Herz schlug nur noch für Einen: für jemanden, den sie vor allzu langer Zeit verloren hatte. Und Aznael machte sich nun Hoffnungen: er hoffte, sie wieder für sich gewinnen zu können!

„Wie sieht es mit den Fallen aus?", fragte Vazyllanne, um sich abzulenken. Die Schlacht stand bevor und sie war nun unausweilich! Sie sollte sich keine Gedanken darüber machen, was wäre, wenn sie anders gehandelt hätte. Es war nun so, wie es war und sie hatte keine Mach, daran etwas zu ändern.

Der Stratege lächelte sie an. Seine schmalen Lippen schienen nicht dazu gemacht, zu grinsen. Auch die harten Narben entstellten sein Gesicht, wenn er freundlich dreinblickte. Er würde wohl nie mehr ein hübscher Mann werden, einer, dem jede Frau verfallen war. 

„Die Gruben sind ausgehoben. Wenn die Gracker zu zahlreich kommen, werden sie dort hineinfallen. Die Löcher sind etwa sieben Schritt tief, die Gracker könnten sie unmöglich verlassen. Wir haben die Löcher mit morschen Latten zugedeckt, auf denen wir Gras positioniert haben. Den Grackern wird es nicht auffalllen", sagte der Elf. Er sprach abgehackt und tonlos, so, als würde ihn das alles nichts angehen. Vazyllanne legte sich nachdenklich einen Finger ans Kinn. Sie konnte nur hoffen, dass die Gracker bei ihrem Fall nicht die Rohrleitungen entdecken würden, die den Unrat der Stadt in einen fremden Fluss spülten. 

„Was ist mit dem Rest?", hakte die Königin nach. Nincoril hatte ihr erzählt, dass die Fallen nicht die einzigen Vorkehrungen gegen die Gracker waren.

„Wir haben Krähenfüße ausgestreut, überall, wo das Gras hoch genug ist, um sie zu verbergen", erklärte ihr der Stratege gelassen. Er pfiff einmal durch die Zähne und ein Kobold kam angelaufen. Obwohl der Großteil des Volkes der kleinen Chaosstifter aus Mittelland ausgwandert war, war ein kleiner Teil zurückgeblieben. Diese Kobolde wurden oft als Sklaven, Arbeiter oder Ähnliches gehalten. Das kniehohe Männlein mit den großen Ohren und der langen Nase reichte dem Strategen einen Krähenfuß. Dieser wiederum gab es an Vazyllanne weiter.

Die Elfenkönigin musterte die Falle in ihren Händen kritisch. Der Krähenfuß besaß vier Dornen, die am Ende spitz zuliefen. Egal wie der Krähenfuß fallen würde, es gab immer einen Stachel, der nach oben zeigte. Trat man auf so ein Ding drauf, zahlte man mit großen Schmerzen. Die einzige Chance, den Krähenfüßen zu entgehen, wäre, schlurfend zu laufen. Allerdings zweifelte Vazyllanne, dass die Gracker klug genug dazu waren. Sie gab dem Kobold den Krähenfuß zurück. 

„Habt ihr sonst noch etwas vorbereitet?", fragte sie, nun wieder an den Strategen gewandt. Er starrte sie aus seinen eiskalten, grau-blauen Augen an. „Die Zwerge haben die Katapulte aufgwertet. Außerdem kam ein Mensch auf die Idee, die Pfeile der Bogenschützen in irgendeine teuflische Flüssigkeit zu tunken, damit sie brennen wie Fackeln. Niemand der Schwächlinge wollte uns verraten, woraus die Flüssigkeit besteht, aber solange sie funktioniert, ist alles gut."

Vazyllanne nickte. Das waren doch wunderbare Aussichten. Sie wechselte einen letzten Blick mit dem Strategen und wandte sich dann ab, um zurück zu ihrem Palast zu laufen. Gewiss war es ein schier ungleicher Kampf, aber nun begann sich in ihrem Inneren ein kleiner Funke Hoffnung zu bilden. Einer, der vielleicht reichte, um die Herzen so vieler Krieger zum Brennen zu bringen.

Das fünfte Amulett (Band II der Chronik von Mittelland)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt