~Drachentod~

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Ergons Blick raste zwischen seiner Mutter und Canad hin und her. Nadińe war rechts von ihm, Canad griff von der linken Seite an. Ergons Schwanz traf Canad an der Flanke und der Schwarze geriet für einen kurzen Moment außer Gleichgewicht. Nadińe schnappte nach Ergons rechten Flügel und durchbiss eine der Adern, die die Flügelhaut spannten. Es überkam ihn kein Schmerz, seine Flügel waren gefühllos. Ergon vollbrachte eine 180 Grad Drehung und schlug mit einer seiner mächtigen Pranken nach Nadińes Brustkorb, während er mit einem Flügel Canads Sicht verdeckte. Eine Dornenpflanze legte sich um Canads Augen. Laut schrie der Schwarze auf. Goldenes Drachenblut lief unter den dicken Strängen hindurch. Canad riss sich mit einer seiner langen Krallen die Pflanze von den Augen. Das rechte Auge fehlte, das linke hatte ein Loch nahe der Pupille. 

Ergon drehte sich wieder auf den Bauch und ließ sich fallen. Nadińe folgte ihm. Sie war fast doppelt so groß wie er. Ihre riesigen Zähne bohrten sich in das Gelenk von Ergons Flügel und der Grüne schrie auf. Der Schmerz war beinahe unerträglich. Und er stand in einer Sackgasse. Wenn Ergon sich jetzt fallen ließ, um den Schmerz erträglicher zu machen, dann würden sie sterben. Wenn er aber mit den Flügeln schlug, so würde er den Tod herauszögern können. Canad öffnete sein Maul und spie eine riesige Flamme. Hitze griff nach Ergon. Es war, als würden seine Schuppen unter der Rüstung schmelzen. Auch von der anderen Seite ergriff ihn eine Hitzewelle. Er blickte angstvoll zu Asren. Der dunkle Lord hielt das rote Amulett in den Händen. Ein Flammenstrahl kam daraus hervor und traf den Grünen unmittelbar dort, wo unter dem dicken Schuppenkleid sein Herz schlug. 

Ergon schrie seinen Schmerz in die Nacht heraus. Sein Blick schweifte hilfesuchend von einer Gestalt zur nächsten. Die Elfen und Zwerge und die Gracker, gegen die sie kämpften, hielten sich die Ohren zu, so laut war sein Brüllen. Ergons Kampfeslust schwand. Er wollte nur noch, dass es endete. Dass seine Schmerzen schwanden. Er wollte nicht aufgeben, die Drachen waren dazu erschaffen, für ihre Reiter zu sterben! Aber er konnte nicht mehr. Er war müde. 

„Halte durch! Wir haben es gleich geschafft!", schrie Asran aber Ergon konnte ihm nicht glauben. Er schüttelte den Kopf. Sein verletzter Flügel hing schlaff an ihm herab. Ein Blick nach oben versicherte Ergon, dass er letztendlich doch verlieren würde. ‚Ich hatte eine wunderbare Zeit mit dir, Asran. Auch wenn du es nicht schaffen solltest, war ich froh, dass ich dein Drache war. Du hast die Kraft, die Welt zu verändern, wenn du wolltest', sagte Ergon. 

„Sag so etwas nicht!", erwiderte Asran, aber Ergon entgegnete: ‚Nein, meine Zeit ist abgelaufen. Wenn du künftig an mich denkst, dann erinnere dich an das erste Mal, als ich versuchte, Feuer zu speien. Erinnere dich an die kümmerliche Flamme, die gerade mal so groß wie eine Öllampenflamme war. Und wenn du in Zukunft die grünen Ebenen vom Moraldwald betrachtest, dann denke an mein grünes Schuppenkleid. Und wenn in einem See das tiefe Grün herrscht, schau in den See als wäre er mein Auge.' 

Ergon spürte Asrans Unmut doch der Drache sagte nichts, um seinem Reiter Hoffnung zu machen. Es war unnütz. Der Boden kam näher. Es fehlten nur noch wenige Schritt. Asran stand im Sattel auf. Er machte sich bereit zum Sprung, aber Ergon griff nach ihm und nahm ihn an die Brust. Er hielt seinen Herrn mit beiden Klauen fest. Er würde ihn nicht loslassen! 

Dann kam der Aufprall. Ergon schlug hart auf. Sein Körper erbebte. Schmerz ergriff all seine Gedanken. Der Grüne rutschte über den Boden. Er hatte seinen Körper eingerollt, um Asran den größtmöglichen Schutz zu bieten, dabei machte er mehrere Drehungen, sein Kopf verrenkte sich und Schmerz bemächtigte sich seiner. Der Feuerstrahl, den Asren auf ihn losgelassen hatte, verblasste, die Hitze schwand. Ergon seufzte. Er hatte alles getan, was er hätte tun können. Erleichtert ließ sich der Drache fallen. Fallen, in einen tiefen Schlaf, aus dem er nicht mehr aufwachen würde. 

Das fünfte Amulett (Band II der Chronik von Mittelland)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt