~Der Todeszauber~

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„Glaube mir, meine Absichten hierher zu kommen waren rein! Ich...", eine Druckwelle traf Aristeas hart wie ein Faustschlag in den Magen. Mosemsis ging drohend zwei Schritte auf den Druiden zu. „Rein also?", fragte er und schwenkte seinen Stab ein wenig nach rechts, woraufhin Aristeas die Luft aus den Lungen wich. „Nein, mein alter Freund. Du musst die Wahrheit erkennen! Ich will doch auch nur das Volk der Zauberer schützen!", entgegnete Mosemsis bitter. „Ach ja?", fragte Aristeas, und stand zittrig auf. „Schützen, so nennst du das? Wo sind die Frauen, die das Leben bunter gemacht haben? Wo sind die Männer, die an jeder Straßenecke Zauber vorführten? Wo sind die Knaben, die unsere Kunst erlernen sollten?"

„Das war schon immer dein Fehler; du hast dich stets vor der Zukunft verschlossen. Denke an sie, male dir aus, wie es sein würde, wenn statt Menschen, Elfen und Zwergen Gracker leben würden? Wenn die ganze Welt auf nur einen Befehl gehorcht! Sie nur einem unterliegt!", Mosemsis sprach leise und schnell. Aristeas kannte ihn zu gut. „Das ist nicht das, was du eigentlich willst!", zischte er. Mosemsis lachte. „Nein, da hast du recht. Ich will, dass der Lord regieren soll, aber nur vorerst. Was würden die Völker Mittellandes über jenen goldenen Zauberer denken, der den Lord zu stürzen vermocht hatte?", erwiderte er. Er ließ seinen Stab sinken.

„Vollkommen irre bist du! Dein Geist zerstört von der langen Zeit der Macht!", zischte Aristeas und vollführte einen riskanten Zauber. Es war einer der Zauber, die früher zu Irkandirs Zeiten von den Elfen ersinnt worden waren. Sie waren finster und zerstörerisch, die dunklen Zauber. Aristeas ließ alle Magie, die dem Ort innewohnte, in sich hinein und schob sie weiter auf Mosemsis. Auf dem Weg zu dem Zauberer verwandelte Aristeas die zuvor noch harmlose Magie in gefährliche. Obwohl der innere Stoß Mosemsis traf, spürte Aristeas den unbeschreiblichen Druck der Macht der Magie. Als wäre sein Körper zu klein für das, was er da aufnahm und weiterleitete. 

Mosemsis krümmte sich vor Schmerzen. Blut lief ihm aus den Augen und ließ rote Bahnen auf seinen Wangen zurück. Seine Finger krallten sich um seinen Zauberstock und sein Körper krümmte sich. Schaumiges Blut troff ihm von den Lippen. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren eilte Aristeas auf den Ausgang zu, doch als er die Türen erreichte, war der Turm verschlossen. Mit verzweifelter Miene drehte sich Aristeas um die eigene Achse, um einen Schlüssel ausfindig zu machen, aber er fand keinen. Er hörte Mosemsis leise lachen. Der goldene Zauberer war Aristeas mit einem Mal unheimlich. 

Was ging in dessen Kopf vor sich? Seit wann hatte ihn der Wahnsinn gepackt? Aristeas konnte es nicht sagen. Er hob seine Waffe, den alten Ast einer Fichte, in der er Runen geritzt hatte, die die Magie um ihn herum an den Stock banden, und wappnete sich für seinen letzten Kampf. Er wusste, dass er diesen nicht gewinnen konnte. Mosemsis hatte zu lange an den Magiearten gelernt, während er auf die Suche nach Gefährten für Asran gegangen war. 

Mosemsis hob so schnell seinen Zauberstab, dass Aristeas nicht mehr reagieren konnte. Ein stechender Schmerz direkt in seinem Herzen ließ ihn nicht mehr atmen können, seine Lunge vermochte sich nicht mehr zu öffnen oder schließen. Keuchend sank Aristeas zu Boden. So hatte er sich sein Ende nicht vorgestellt. Er hatte immer gedacht, er würde auf dem Schlachtfeld durch einen Schwertstich sterben, nicht aber an einem Zauber in den dunklen Gewölben Misuisladas ersticken. Mosemsis beugte sich über Aristeas und tastete in seinem Nacken nach jenem Punkt, der alle Glieder erschlaffen ließ. Aristeas zog seinen Dolch und stach mit letzter Kraft in Mosemsis' Bein, ehe dieser den Punkt drückte und Aristeas sich nicht mehr regen konnte. 

„Kümmerlich", sagte der Goldene und zog den Dolch aus seinem Oberschenkel. Nur ein dünner Faden Blut troff hinab auf den schwarzen Boden. Aristeas wollte etwas sagen, aber er konnte sich nicht mehr regen. Mosemsis hob ihn hoch, lachte leise und trug ihn hinab zu den Kerkern. Dunkel und stickig lagen sie unter dem Turm. Aristeas konnte kaum atmen, obwohl der Schmerz in seiner Brust nachgelassen hatte. Mosemsis warf ihn in eine der Zellen und blickte zu ihm hinab. 

„Ich töte dich nicht", sagte er und fuhr dann fort: „Es braucht seine Zeit, um zu erkennen, auf welcher Seite man steht. Ich sehne mich nach den alten Zeiten, in denen wir, Seite an Seite, dem Abend entgegenblickten. Vielleicht bist du ja klug genug, um diese Zeiten wieder aufleben zu lassen, sonst bist du leider zu dumm. Du wirst in der Zelle bleiben, bis du mir bei deinem Blute schwörst, dass du mir dienst. Entscheide dich morgen, oder aber in vierzig Jahren. Die Blüte der Zeit vergeht nie." Mit einer fahrigen Bewegung brach der goldene Zauberer den weißen Achat aus der Spitze von Aristeas' Zauberstab und mit einem Mal verlosch sein Leuchten. „Ich wünsche dir viel Spaß in der Dunkelheit", sagte Mosemsis und ging. Aristeas wollte ihm vor die Füße spucken, aber sein Mund hing weiterhin schlaff hinab. Verzweifelt wollte er sich aufbäumen, aber sein Körper war wie seine Magie entschwunden. Nicht aber sein Widerstand. Der würde bleiben, bis er, Aristeas, nur noch Geschichte war!

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Die Zeit verging quälend langsam. Minuten zogen sich zu Stunden, Nächte zu Monaten. Inzwischen konnte sich Aristeas wieder bewegen. Er bewegte seine Finger, nur spaßeshalber, weil er den Rest seines Körper nicht mehr rühren konnte. Konnte er je wieder laufen können, oder reiten, wie der Sturm übers Land fegt? Er wusste es nicht. Er wusste auch nicht, ob seine Gefährten kommen würden, um ihn zu retten. Er hoffte nicht. Aber er kannte Athavar und wusste, dass dieser ihn nie verloren geben würde, ehe er nicht seine Leiche gefunden hätte. 

Aber wenn er kommen würde, dann müsste er gewarnt sein. Mosemsis hatte ihn nicht nur in die Kerkerzelle gesteckt, sondern ihm auch noch eine Silberschale vor seine Augen gestellt, damit Aristeas in die Zukunft blicken musste. Neben den Grauen des Kommenden raubte die Silberschale auch die Magie von Aristeas' Aura. Silberschalen waren tückische Gegenstände, zogen Magie aus der Umgebung, wo sie nur aufzufinden war. Doch da Mosemsis die Magie aus den Kerkerzellen gezogen hatte, raubte die Silberschale die Kraft von Aristeas. Sie war die einzige, die hier anwesend war. Und während die magische Aura des Zauberers immer mehr zu erlöschen drohte, wurde die der Silberschale immer strahlender.

Mit letzter Kraft nahm Aristeas seinen Dolch und versuchte, jenen Zauberspruch in den Stein des Bodens zu ritzen. Unmöglich. Die Klinge schrammte über ihn hinweg und ließ nicht den kleinsten Kratzer zurück. Also setzte Aristeas die Klinge an seinen Handballen und schnitt etwa zwei Fingerbreit ein. So musste genügend Blut herauskommen, der Zauberspruch war lang. Der Druide wusste nicht, ob der Zauber glückte wenn er nur aufgeschrieben wurde, aber hatte er eine andere Wahl? Mit zitternden Fingern strich Aristeas das Blut über den Boden. Er malte Runen mit merkwürdig geformten Strichen und Buchstaben, Kreisen und anderen Formen. Auf Leder niedergeschrieben brauchte ein erfahrener Schreiber ungefähr drei Seiten. Aristeas hoffte, dass seine Kraft dazu ausreichte.

Er war noch nicht einmal mit der ersten Seite fertig, da wurde ihm der Arm schwer. Immer anstrengender wurden die Zeichen, immer größer die Sehnsucht nach der endlichen Ruhe. Aber Aristeas riss sich zusammen. Nur wer durchhielt, konnte überleben! Als er mit der zweiten Seite halb fertig war, brach er zusammen und sein Arm prallte hart auf den Boden. Stechender Schmerz durchfuhr ihn, er musste verstaucht oder gar gebrochen sein. Langsam, so, als würde Aristeas gleich einschlafen, malte er drei weitere Wörter auf den Boden. Sie mussten die restlichen anderthalb Seiten ersetzen, ob er wollte oder nicht:

Athavar, Tod, Wiederkehr.

Zu mehr hatte er keine Kraft mehr. Erschöpft atmete er tief ein und aus, dann wurde sein Atem still und der Zauberer fiel in den tiefsten Schlaf, den er jemals gehabt hatte.

Das fünfte Amulett (Band II der Chronik von Mittelland)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt