06 | Farbmanipulation und Partyeinladungen

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River machte seine Drohung nicht wahr. Auch nicht, als Bash der einzige Schüler war, der keinen offiziellen Brief kriegte. Alle anderen Schüler hatten schließlich ihre Papierflieger erhalten, aber Bash behielt diesen Fakt für sich. Oder vielleicht war es bei ihm ähnlich wie bei River und mehrere Leute hatten ihm einen Brief geschrieben, obwohl es eigentlich nicht ihre Aufgabe war. Es war, als hätten die Gesprächsfetzen zwischen River und mir niemals existiert, denn er zog sich wieder zurück in sein Schneckenhaus und blieb allen anderen fern. Ich sah ihn nicht einmal mehr. Eine Woche verging und ich schätze mich beinahe schon froh, dass es so war. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, obwohl ich ahnte, dass ich mich vielleicht entschuldigen musste.

»Ich wünschte, du hättest wenigstens eine gute Erklärung gehabt.« Der Satz verfolgte mich. Er hing wie ein Geist über mir und ich konnte nicht damit umgehen. Dafür lief mit seinem Bruder alles hervorragend. Bash war witzig, freundlich und zuvorkommend. Ich konnte mich in seiner Gegenwart viel besser entspannen und hatte das Gefühl, mich immer mehr in ihn zu verlieben. Er war einfach so ein guter Kerl.

»Mach dich nicht lächerlich«, warnte Deli leise. Vermutlich waren mir schon Herzaugen gewachsen, denn seit wir ein Projekt gemeinsam machten, sprach Bash viel mehr mit mir. Er registrierte mich endlich. Er stellte mir Fragen, wartete höflich auf eine Antwort und ging dann darauf ein, sodass sich interessante Gespräche entwickelten. Wenn ich ihn in den Schulgängen sah, war ich auch nicht mehr unsichtbar. Immer wenn er mich sah, legte er den Kopf schief und schenkte mir ein Lächeln. Es waren nur wenige Sekunden, aber damit wurde mein Tag immer viel besser.

»Danke, gleichfalls«, seufzte ich und warf ihr einen amüsierten Blick zu. Ich hatte da nämlich eine Theorie entwickelt, auch wenn ich mich nicht wagte, sie laut auszusprechen. Andeutungen hingegen waren harmlos. Ich vermutete, dass Delilah Addie mochte. Nicht, weil sie sie kannte, sondern weil sie auf Mädchen stand. Ich wusste nicht, wie ich auf diesen Gedanken gekommen war, aber irgendwann fiel mir auf, dass Deli Addie so ansah, wie ich es bei Bash tat. Das war vielleicht hirnrissig, denn wir wussten nicht viel von beiden. Aber die Liebe fiel teilweise eben ins Ungewisse. Auch wenn es mich nervte, dass ich mittlerweile immer an River und mein schlechtes Gewissen denken musste, wenn ich Bash Bradbury ansah. Ich wurde glücklich, wenn Bash mir seine Aufmerksamkeit schenkte, und dann wurde mir bewusst, dass sich River vielleicht dasselbe gewünscht hatte.

»Wir sollten heute mit dem Text und den Informationen fertigwerden und dann können wir uns um das Plakat und die Präsentation kümmern.«

Addie hatte wohl gespürt, dass Deli und ich uns ausgeklinkt hatten, brachte uns mit ihren Worten aber wieder in die Realität zurück. Wir brummten beide zustimmend. Motivation dafür war definitiv nicht vorhanden, aber danach fragte am Ende des Tages auch niemand.

»Das sieht doch schonmal gut aus«, stellte ich zufrieden fest, nachdem ich den letzten Satz unseres Textes getippt hatte. Es war schön zu sehen, dass sich die investierte Zeit jeweils lohnte und zu etwas Größerem entwickelt hatte. Die Doppelstunde war glücklicherweise beinahe vorbei, und wir hatten das Gröbste geschafft. Wenn man sich aufteilte und jeder seinen Part machte, kam manchmal auch etwas Gutes zu Stande.

»Jepp, finde ich auch«, meinte Bash und schenkte mir ein breites Grinsen, welches mein Herz schneller schlagen ließ. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht dümmlich zu seufzen. Stattdessen biss ich mir auf die Lippe und warf einen Blick auf Deli, welche sich mit Addie in ein Gespräch vertieft hatte. Die beiden verstanden sich unglaublich gut, aber das war auch der Grund, wieso Bash und ich das Projekt in den letzten zwanzig Minuten praktisch nur zu zweit fertiggeschrieben hatten. Vielleicht war ich vorhin zu freundlich gewesen, als ich gesagt hatte, dass jeder seinen Teil machte.

»Ihr beide solltet zur Party kommen!«, meinte Addie plötzlich und ich zog eine Augenbraue in die Höhe. Ernsthaft? Partys waren nicht unbedingt unser Ding. Außerdem wurden diese meistens nach den Football-Spielen der Schule geschmissen. Ich vermied sie immer, weil ich wusste, dass alle Spieler dort mit irgendwelchen Mädchen rummachten. Ich wollte und konnte nicht mitansehen, wie Bash mit jemandem knutschte, während ihm mein Herz gehörte.

Kiss Me On PaperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt