Mir fiel erst auf, dass Emmet gelogen hatte, als ich ihn ohne Verband im Gesicht sah. Er hätte das Fotoshooting sehr wohl allein machen können. River, der wohl zu derselben Erkenntnis gekommen war, erdolchte ihn mit Blicken. Ich fand es witzig und traurig zugleich, dass wir ihm so schnell geglaubt hatten.
»Hi, Leute!«, rief er uns über die Wiese zu und bedeutete uns, zu ihm zu gehen. River trat Löcher in den Boden, während ich das Freundschafts-Armband, das locker um mein Handgelenk lag, drehte. Es war genauso beruhigend wie das Atmen.
»Bye, Emmet«, murmelte River. Ich verzog das Gesicht und hoffte, dass Emmet nicht allzu viel Zeit in Anspruch nehmen wollte. Ich hatte River noch nie so unmotiviert gesehen. River wirkte auf andere Menschen vielleicht nicht sonderlich leidenschaftlich, aber er überlegte sich immer, wofür er seine Zeit verwenden wollte und was seine Energie nicht wert war.
»Ihr seid ein wenig spät dran«, informierte uns Emmet. Zwischen dem Stau und dem Nicht-wissen, was wir anziehen mussten, hatten wir eine Viertelstunde verloren.
»Wir hätten auch gar nicht kommen können, wenn dir das besser gepasst hätte«, entgegnete River mit einem Lächeln, das kälter war als die Antarktis.
»Theoretisch hättest du auch nicht kommen müssen.«
»Theoretisch können wir auch wieder gehen, wenn du dich wie ein Arschloch aufführst.«
»River!«, sagte ich in einem warnenden Ton. Ich verstand seine fehlende Motivation, aber wir hatten es versprochen und wir waren anständige und ehrliche Menschen. Zumindest größtenteils. Ich stimmte ihm im Stillen zu, aber ich wollte nach diesem Treffen mit Emmet abschließen und nicht noch mehr Probleme heraufbeschwören.
»Was? Ich meine doch nur. Emmet scheint ein Faible für Hypothetik zu haben.«
Ich rollte mit den Augen und bedeutete Emmet, zu sprechen zu beginnen.
»Ich glaube, dass ich euch erst noch eine Entschuldigung schulde.« Ich verschluckte mich beinahe an meinem Lachen, als ich diese Worte hörte. Das glaubte er? Einen vollständigen Monat später? Dieser Typ war die Definition eines Blitzmerkers. River sah aus, als hätte er den Glauben an die Menschheit verloren, während er die Arme vor der Brust verschränkte.
»Okay, ich schulde sie euch definitiv. Ich wusste nur nicht, was ich sagen sollte und wie. Die Geschichte ist kompliziert und ehrlich gesagt bin ich selbst schockiert gewesen, dass meine Eltern sich so verhalten haben. Sie tun das normalerweise nicht und ich weiß, dass ihr das nicht verdient habt. Es tut mir leid.«
»Gut zu wissen, Emmet. Vielleicht denkst du beim nächsten Mal ein wenig früher dran und ich glaube dir, ja?« River schenkte ihm ein falsches Lächeln und sah mich dann prüfend an. Ich wusste, dass er nur wegen mir hier war. Sobald ich gehen wollte, war diese Sache hier für ihn geklärt. Alles in mir schrie danach, aber die kleine Stimme in meinem Kopf erinnerte mich daran, dass wir ein Versprechen abgegeben hatten. Ich wollte ein ehrlicher Mensch sein, selbst wenn es bedeutete, mich ein letztes Mal mit Emmet beschäftigen zu müssen. Vielleicht war es nicht fair, dass wir ihn für das Verhalten seiner Eltern verantwortlich machten – er hatte sich schließlich nicht ausgesucht, in welche Familie er hereingeboren worden war, aber für einen Moment lang hatten wir ihn als einen Freund gesehen. Wahre Freunde ließen sich nicht so im Stich.
»Es tut mir leid«, wiederholte Emmet nochmals. Ich war mir nicht sicher, ob er die Worte nur sagte, weil er vermutete, dass wir sonst sein Shooting sabotieren würden. Er deutete zu dem kleinen Setting, das er vorbereitet hatte. Es bestand aus einer wunderschönen Mischung aus Rot und Gold. Das meiste davon hatte er aus getrockneten Blättern, die von Bäumen gefallen waren, gemacht und den Rest erledigte eine Holzbank, die rot angestrichen war. Der Lack blätterte zwar schon ab, aber sie war trotzdem wunderschön. Für einige Sekunden wünschte ich mir, dass ich meine eigene Kamera dabeihatte, um den Moment einzufangen, dann fiel mir aber wieder ein, dass ich nicht hier war, um selbst Fotos zu machen. Es war merkwürdig, einmal nicht selbst hinter der Kamera zu stehen.
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Kiss Me On Paper
HumorDarlenes Leben besteht aus einem Haufen Unsicherheiten - von der Kleider- bis hin zur Studienwahl. Nur eines weiß sie: Dass sie unbedingt mit dem Football-Captain der Callisto High zusammenkommen möchte. Bash Bradbury ist nämlich alles, was sie bege...