03 | Von Briefen und Projektpartnern

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Brauchst du eine Deadline?

Oder reicht es, wenn du morgen wieder einmal das Training stalkst?

Meine Finger umklammerten das Notizblatt, welches ich in meinem Spind gefunden hatte und ich versuchte, mich nicht zu sehr aufzuregen. River hatte absolut kein Recht mir einen Zettel zu schreiben. Also zerknüllte ich ihn, denn ich war mir noch immer nicht sicher, was ich von seinem Vorschlag halten sollte. Und was ich diesbezüglich tun wollte. Stattdessen kramte ich einen Papierflieger aus meinem Spind. Ich gab mir keine Mühe, ihn schön aufzufalten, denn er war so schon stark zerknittert. Vielleicht bist du besser dran, wenn ich hier keinen Brief reinschreibe, stand da in einer Schrift, bei der die Buchstaben so eng zusammengequetscht worden waren, dass ich sie kaum erkennen konnte. Ich schnaubte über diesen jämmerlichen Versuch eines Briefes. Dann wanderten meine Gedanken zu dem Brief, welchen ich für Bash gemacht hatte. Er hatte so schön ausgesehen. Es war eine Schande, dass er ihn niemals sehen würde, denn ich hatte mein ganzes Herzblut in ihn gesteckt. Frustriert legte ich beide Papiere wieder zurück in den Spind und holte stattdessen meinen Block und ein Stiftmäppchen hervor. Es brachte mich auch nicht weiter, mich hier zu lange darüber aufzuregen und dann mit den Lehrpersonen in Schwierigkeiten zu geraten, weil ich zu spät in den Unterricht gekommen war. Man wusste nie so genau, was man in den Literaturkursen brauchte, aber es war schon einmal ein guter Anfang, wenn ich einen Block und mein Stiftmäppchen mitnahm.

»Ich kann nicht fassen, dass Illian und Frankie immer noch so ein riesiges Drama machen«, begrüßte mich Delilah, als ich mich neben ihr auf meinen Stuhl fallen ließ. Ich brummte zustimmend und sah erst dann, dass sie sich die Fingerknochen mit einem zerknirschten Gesichtsausdruck rieb. »Sag mir bitte nicht, dass du dir die Faust reibst, weil du mit deinem Bruder geprügelt hast.«

»Ich reibe mir die Faust nicht, weil ich mit meinem Bruder geprügelt habe«, grinste Deli.

»Ehrlich?«

»Natürlich nicht. Was erwartest du denn? Er hat die Abreibung verdient und Frankie geht immer zu nett mit ihm um.«

»Die beiden streiten immer!«, rief ich ungläubig. Zu nett? In welchem Universum denn bitte?

»Frankie streitet immer und mit jedem.«

»Und?«

»Mit Illian streitet sie anders. Sie streiten nicht, weil er ein idiotischer oder sexistischer Kerl ist – was er auch nicht ist –, sondern weil sie sich um ihn kümmert.«

Natürlich hatte sie damit Recht, aber ich konnte mir nicht vorstellen, wie unendlich ermüdend es für Frankie sein musste, ständig mit jemandem zu streiten, vor allem, wenn sie diese Person auch noch mochte. »Was glaubst du müssen wir dieses Semester machen?«, fragte ich sie und stützte mich auf mein Kinn, während ich Delilah musterte. Mit ihrer guten Haltung überragte sie mich ein wenig, obwohl ich normalerweise die Größere von uns beiden war. Sie zwirbelte sich eine ihrer blonden Haarsträhnen, die über den Sommer noch heller geworden waren, um den Finger und zuckte mit den Schultern. »Ein Projekt? Das machen wir immer nach den Sommerferien. Außerdem liebt Mrs. Jones Projekte. Diese Frau ist eine sehr besondere Nummer.«

Ich brummte zustimmend, verfiel allerdings sofort in Schweigen, als eine ältere Frau den Raum betrat. Vielleicht veränderte sich ihre Schülerschaft nach den Ferien, aber sie blieb immer dieselbe. Wie immer trug sie einen Bleistiftrock und Halbschuhe, die lauter auf den Schulgängen klapperten als das Trommeln so mancher Spieler aus dem Schulorchester. Dazu trug sie eine geblümte Bluse, während mehrere Perlenketten um ihren Hals hingen. Mrs. Jones rückte die perfekt geputzte Brille auf ihrer Nase zurecht und sah sich mit einem sanften Lächeln im Klassenzimmer um, ehe sie zu sprechen begann.

Genau wie sich ihr Kleiderstil nie änderte, tat es auch der Stil ihres Unterrichts nicht. Sie kündete ein Projekt an. Einmal mehr. Ich sparte mir ein Augenrollen, denn der Rest der Klasse übernahm das für mich, gepaart mit genervtem Aufstöhnen und Getuschel, von dem alle wussten, dass es besser war, wenn man es nicht laut wiederholte. »Wie ihr alle wisst, werdet ihr euch langsam, aber sicher mit eurer Studienwahl beschäftigen müssen«, sagte sie als Einleitung zum Projekt. Nein, nein, nein. Das war Literatur und keine Zukunftsprogrammierung. Ich wusste schon so nicht, was ich machen wollte, da würde es mich nur noch weiter in Panik versetzen, wenn nun auch hier Druck auf mich ausgeübt wurde. »Deshalb werden wir uns dieses Jahr im Stil von Gruppenarbeiten mit möglichen Wahlen beschäftigen, damit ihr spätestens Ende Semesters eine Ahnung habt, was ihr tun wollt.« Wieder ließ sie ihren Blick durch die Klasse schweifen, aber ich konnte nur verzweifelt zu Delilah sehen, der tatsächlich Neugier ins Gesicht geschrieben stand. »Und dafür werde ich die Klasse einteilen. Oder nein, macht die Gruppen doch selbst und dann werden wir schauen, ob irgendwo jemand übrigbleibt.« Sie nickte sich selbst zu und benetzte ihre Lippen. »Und nun zur Einteilung: Ich hätte gerne gemischte Vierergruppen. Wer schon eine Gruppe hat, kann sich dementsprechend zueinander setzen.«

Wodurch sie auch schon die Hälfte des Spaßes verdarb, dass man die Gruppen selbst wählen durfte. Gemischte Gruppen waren etwas, womit ich überhaupt nicht umgehen konnte, da die Jungs da meistens das Gefühl hatten, dass sie machen konnten, was ihnen passte und das beinhaltete nur selten die Tatsächliche Aufgabe. Ich tauschte einen entnervten Blick mit Delilah, aber gleichzeitig machten wir auch aus, dass wir es auf jeden Fall gemeinsam in eine Gruppe gehen würden. Wir waren so in unsere Blicksprache vertieft, dass wir gar nicht merkten, dass plötzlich ein Mädchen vor uns stand.

»Hey, wäre es in Ordnung, wenn ein Freund von mir und ich es mit euch machen? Ihr seid die einzigen, die noch Platz in einer Gruppe mit uns hätten.«

Delilah sah mich fragend an und ich nickte schulterzuckend. Sie wirkte nett, also wäre es bestimmt eine machbare Konstellation. »Wir würden uns freuen, mit euch zu arbeiten«, sagte Deli deshalb. »Okay, perfekt. Ich bin Addie Larkins.« Deli und ich stellten uns ebenfalls vor und dann plauderten wir eine Weile, bis Mrs. Jones einsah, dass schon alle Gruppen gebildet waren und sie sich notieren wollte, wer am Ende in mit wem zusammenarbeiten würde. Bei uns meldete sich Addie zu Wort, weil Deli und ich vergessen hatten zu fragen, wer denn ihr Freund war und deshalb ohnehin nicht alle hätten aufzählen können. »Adley Larkins«, sagte sie zuerst. Also war Addie wohl ein Spitzname. »Delilah Harris, Darlene Penfold.« Sie machte eine kurze Pause und grinste mich und Deli an, als würde jetzt eine große Enthüllung kommen. Unrecht hatte sie damit jedenfalls nicht, als sie noch den letzten im Bunde aufzählte.

»Und Bash Bradbury ist ebenfalls bei uns.«

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