08 | Gute Nacht Wünsche

1.6K 89 6
                                    

River ein ausgezeichneter Fahrer. Tragischerweise aber auch ein sehr stiller. Ich hatte allgemein den Eindruck, dass River nur selten ein Gespräch eröffnete. Ich hatte zwar schon welche mit ihm geführt und er hatte dabei auch die Tendenz Dinge zu sagen, die mich zum Nachdenken brachten, aber er schien sie nicht gerne anzuschneiden. Oder vielleicht hatte er bei mir lediglich den Willen verloren, es zu tun, weil er sich eine starke Meinung über mich und meine Freunde gebildet hatte. Emmet war der Einzige, der sprach und dabei führte er nur Selbstgespräche. Ich versuchte, mir nicht viel daraus zu machen und stattdessen meinen Geist zu entspannen. Das hier würde ohnehin noch lange genug dauern.

Es waren zwei Stunden vergangen, seit wir bei dem Krankenhaus angekommen waren. Emmet hatte sich tatsächlich die Nase gebrochen. Wenigstens war es nicht so peinlich geworden, als dass wir hätten seine Eltern kontaktieren müssen. Sein Vater war nämlich ein Arzt und er hatte Emmet sofort unter seine Fittiche genommen, als er uns an der Rezeption entdeckt hatte. Das war zur Abwechslung einmal ein Zufall, für den ich dankbar war. River und ich hätten uns direkt verziehen können, aber wir hatten Emmets Vater versprochen, dass wir seinen Sohn später noch heimfahren würden, weil ihm selbst eine Nachtschicht bevorstand, bei der niemand für ihn einspringen konnte.

Also saßen wir schon wieder in Rivers Wagen und schon wieder führte Emmet seine Selbstgespräche. »Habt ihr gewusst, dass die Sterne eigentlich nur weit entfernte Sonnen sind?«, fragte er und ich schmunzelte. Gut, vielleicht versuchte er, mit uns zu reden, aber wir waren zu unbeholfen und müde, um darauf einzugehen. Er selbst lachte dafür los, auch wenn es eigentlich gar kein Witz gewesen war. River warf mir einen Blick zu, indem er mich durch den Rückspiegel ansah. Ich zuckte mit den Schultern. Ich wusste selbst nicht, was ich von einem Emmet halten sollte, der so viel Schmerzmittel intus hatte, dass es ihn schrecklich verwirren musste und alles tausendmal witziger erscheinen ließ. Obwohl er vielleicht gar keine hätte einnehmen sollen, da er schon auf der Party einen sehr betrunkenen Eindruck erweckt hatte.

»Hast du gewusst, dass in schwarzen Löchern ganze Galaxien stecken könnten?«, fragte River schließlich zurück und hielt langsam an. Schien so, als wären wir endlich bei Emmet zuhause angekommen.

»Ernsthaft?«, wollte Emmet entzückt wissen. Anscheinend fand er das Universum plötzlich interessant.

»Keine Ahnung. Ist schwierig nachzuweisen.« River parkierte und schnallte sich und Emmet gleichermaßen ab.

»Sieht so aus, als wäre gleich Schlafenszeit für dich, Kumpel«, informierte River ihn. Dann sah er zu mir nach hinten. »Du kannst hier warten. Ich bin gleich zurück.«

Ich nickte, denn es war mir sowieso lieber, wenn ich nicht auch noch Emmets Mutter begegnen musste. Sein Vater war schon ein harter Brocken gewesen. Was ich verstehen konnte, denn so waren Eltern eben, wenn sie sich Sorgen machten. Wir hatten unmöglich einen guten Eindruck hinterlassen, Emmet mit seiner gebrochenen Nase, und ich mit seinem Blut, dass auf meinem weißen Oberteil besorgniserregend hervorstach. Die beiden stiegen aus und schlugen die Autotüren hinter sich zu. Ich sah ihnen hinterher und winkte Emmet zum Abschied zu, als er sich bei der Haustür zu mir umdrehte. River sagte ihm etwas, worauf er den Arm sinken ließ. Ich wollte gar nicht wissen, was das gewesen war, aber es hatte das Ziel auf jeden Fall erfüllt. Wenige Minuten später saß er wieder bei mir im Wagen und rieb die Hände aneinander, ehe er mich ansah. »Wo wohnst du?«, wollte er wissen. Ich ratterte ihm meine Adresse hinunter und konnte ein Gähnen nur mit Mühe unterdrücken. Ich war froh, dass das Wochenende bevorstand, denn ich brauchte den Schlaf dringend. River nickte und tippte es in sein Navigationsgerät ein, ehe er losfuhr.

»Danke für deine Hilfe«, sagte ich irgendwann, als mir die Stille dann doch zu laut wurde. River schien nicht gerne Musik zu hören, während er Auto fuhr. Vielleicht lag es an der Uhrzeit, aber es störte ihn offenbar nicht, nur vom leisen Rauschen der Straße begleitet zu werden, während dämmriges Licht die Straßen erhellte. Ich fand es ein wenig unangenehm, vor allem weil es mich beinahe in den Schlaf lullte. Die Stille wirkte wie eine Einladung, aber vielleicht war sie deshalb auch so schön. Manchmal war es einfach, mit seinen Gedanken in einem kleinen Raum zu sein, denn dann schienen sie genauso wenig Platz haben, sich zu entfalten. Sie schienen dann nicht so laut zu brüllen, sondern wirkten wie ein friedliches, leises Echo auf mich.

Kiss Me On PaperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt