12 | Der Freunde-Kodex

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Ich hatte mir Mühe mit meinem Outfit gegeben und sah jetzt offiziell aus wie eine Fünfjährige, die zu viel Zucker intus hatte und im Prinzessinnen-Modus war. Deli hatte mich wie versprochen unterstützt und schließlich hatten wir ein orangefarbenes Sommerkleid ausgewählt. Es war luftig, sodass ich mir keine Sorgen darum machen musste, dass mein Bauch während des Essens genug anschwellte, als dass es zu eng werden würde. Nur schon für diesen Gedankengang hatte ich eigentlich einen Nobelpreis verdient.

»Bist du sicher, dass du so gehen möchtest?«, fragte Mom und Dad sah mich währenddessen verstört an. Die beiden hatten wohl wieder per Gedanken kommuniziert und abgemacht, dass sie mein Outfit nicht mochten.

»Aber klar doch. Das sieht großartig aus.«

»Schon, aber es sieht auch aus, als wärst du aus dem Kindergarten ausgebrochen«, erklärte Mom in einer sachlichen Stimmlage. Deli unterdrückte ein Prusten, worauf ich ihr die Zunge ausstreckte. Sie wäre eigentlich diejenige gewesen, die meine Argumentation zu unterstützen hatte, denn sie war meine Komplizin.

»Ihr seid gemein.«

»Sonst wären wir doch nur halb so lustig«, scherzte Dad, was Delis Lachen nur noch verstärkte.

»Ist ja jetzt auch egal. Solange ihr nicht gemein seid, wenn River kommt.« Mom und Dad wechselten wieder Blicke. Mein Mund klappte auf, als mir klar wurde, was sie dachten. Und dann sagte man, dass Teenager zweideutig dachten. Unglaublich, womit ich in diesem Haus konfrontiert wurde. »Das war nicht so gemeint! Ihr müsst aber auch alles falsch verstehen!«, protestierte ich. Diesmal lachten sie, während Deli nichts verstand.

»Ich frag mal lieber nicht nach, was das alles zu bedeuten hat. Jedenfalls bin ich schon gespannt, ob er sich zurecht gemacht hat. Ich habe den Kerl noch nie in anständiger Kleidung gesehen.«

»Doch, hast du. River zieht sich immer anständig an«, hielt ich dagegen. Einfach weil es stimmte. River trug immer Kleidung, die ordentlich und sauber war. Er war vielleicht nicht so farbenfroh unterwegs, aber jeder hatte seinen eigenen Stil. Und Rivers war eben schlicht. Vielleicht, weil er damit in der Masse untertauchen konnte.

»Ja, aber nicht so anständig, als dass man damit zu einem Abendessen gehen könnte. Du hast dich auch aufgepeppt, Dar. Vielleicht trägt er ein Hemd.« Deli wackelte anzüglich mit den Augenbrauen und ich war froh, dass es genau dann klingelte, weil ich absolut keine Ahnung hatte, was ich von der Vorstellung halten sollte, dass River sich besonders schick gemacht hatte. Und vor allem wollte ich mir nichts einbilden, was nicht stimmte. Da Moms Reaktionszeit besser war als meine, setzte sie sich als erste in Bewegung, um zur Tür zu eilen. Ich klebte an ihren Fersen, damit sie mich nicht blamieren konnte, bevor ich überhaupt die Gelegenheit gehabt hatte, ihn zu begrüßen.

»Hallo, River! Schön, dass wir dich auch endlich kennenlernen!«, flötete Mom schon, sobald sie sein Gesicht erblickte. River zog seine Augenbrauen in die Höhe und warf mir einen fragenden Blick zu, während er Moms Hand schüttelte. Ich errötete ein wenig und zuckte mit den Schultern, weil ich ebenfalls nicht wusste, was ich mit ihrem Enthusiasmus anfangen sollte. Mom und Dad waren die besten Eltern der Welt, aber sie trugen auch genug Selbstbewusstsein und Energie für ein ganzes Football-Team in sich. Wenn man nicht wusste, wie man damit umgehen sollte oder sich manchmal lieber in die eigene Welt zurückzog, wie ich es tat, konnte das überfordernd sein. Aber River zwang einen freundlichen Ausdruck auf sein Gesicht und räusperte sich. »Hi«, erwiderte er ein wenig unbeholfen. Mom plapperte ihn über Gott und die Welt voll und sogar Dad klinkte sich in das Gespräch mit ein, während Deli die Situation belustigt beobachtete.

Ich nahm mir die Zeit, um River zu begutachten, denn er hatte sich wirklich in Schale geworfen. Er trug ein schwarzes Hemd, dazu schwarze Jeans und Schuhe, die poliert waren. Kein Mensch hatte sonst so saubere Straßenschuhe. Seine Haare waren gekämmt und ein wenig gegelt. Sein kantiges Gesicht schimmerte im Licht des Wohnzimmers und ließ ihn noch attraktiver wirken als sonst schon. Seine kupferfarbenen Augen leuchteten noch heller als sonst.

Kiss Me On PaperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt