37 | Papier

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EPILOG

sechs Jahre später

Ich brauchte einige Momente, um zu realisieren, dass River und ich uns verspäteten – schon wieder. Dabei hatten wir Mom und Dad versprochen, an diesem Thanksgiving endlich einmal pünktlich zu erscheinen! »River!«, rief ich durch das kleine, bescheidene Apartment, das wir uns teilten. Wir waren direkt nach dem College in diese Wohnung gezogen und ich übertrieb nicht, wenn ich behauptete, dass sie mein liebster Ort auf diesem Planeten war.

»Ich bin gleich fertig, Darling!«, brüllte er zurück, weil er wohl nicht realisierte, dass ich vor unserem Schlafzimmer stand. Ich öffnete die Tür, obwohl er mich nicht reingebeten hatte. Ich sah die Wohnung eben gerne als unser gemeinsames Territorium, was mir die Erlaubnis verschaffte zu jeder Zeit, wie und wo ich wollte hereinzuplatzen.

»Du bist noch nicht einmal fertig angezogen!«, jammerte ich, sobald ich ihn erblickte. Er takelte sich immer auf, wenn Thanksgiving war. Er trug immer ein Hemd und Jeans. Seit er der Trainer der Footballmannschaft der Callisto High geworden war – unserer ehemaligen High School – bewegte er sich nämlich nur noch in Jogginghosenhosen und einem T-Shirt – oder vielleicht auch ohne – durch die Gegend. Er konnte selbst zwar nicht mitspielen oder -rennen, aber er hatte seinen Traum dennoch verwirklicht, indem er noch immer etwas mit Football zu tun hatte. Ich selbst hatte eine Galerie eröffnet, die zwei Straßen von unserem zuhause entfernt war. Ich stellte dort drei Tage die Woche meine Fotografien aus, während ich zwei Tage noch brauchte, um Make-Up Linien oder solches für Marken zu fotografieren, was mir ein bisschen extra-Geld einbrachte.

»Hast du eigentlich geklopft?«, fragte River und drehte sich unschuldig grinsend zu mir um, doch ich wusste es besser und kniff meine Augen zusammen.

»Was versteckst du da hinter deinem Rücken?« Ich verschränkte die Arme vor der Brust, während Neugier in mir aufflammte.

»Bonbons?«, log er fragend, worauf ich mit den Augen rollte.

»Lüg mich nicht an«, knurrte ich. Okay, vielleicht war ich ein wenig zu neugierig, aber ich konnte mir wirklich nicht zusammenreimen, was er da wohl hinter seinem Rücken versteckte. River erzählte mir mittlerweile alles und das, ohne dass ich ihn jedes Mal nach Informationen ausquetschen musste.

»Du verdirbst mir gerade echt den Moment, Darling«, seufzte er und rieb sich mit einer Hand über das Gesicht. Also versteckte er etwas, was klein genug war, sodass er es in einer Hand halten konnte.

»Komm schon, Tartaruga! Ich bin neugierig«, nörgelte ich, was ihm ein weiteres Lachen entlockte.

»Ich bin nicht deine Schildkröte. Dafür bin ich mir aber ziemlich sicher, dass du das Cupcake erzählen kannst.«

Ich rollte mit den Augen, lächelte dann aber wieder. Wir hatten uns tatsächlich eine Schildkröte zulegt, die wir freundlicherweise Cupcake getauft hatten. Sie war so süß, dass der Name wie die Faust aufs Auge passte.

»Lenk nicht von Thema ab und erzähl es mir. Siehst du mein Gesicht? Ich platze gleich vor Neugier!« Ich blies mir die Wangen auf wie ein Fisch und war mir ziemlich sicher, dass ich dabei rot anlief. Aber er begriff, was ich damit ausdrücken wollte.

»Du bist verrückt, Dar«, lachte River, machte aber keine Anstalten, sich zu bewegen.

»Danke für das Kompliment, Riv«, äffte ich ihn nach, bemerkte den Fehler aber erst zu spät. Er hatte mich tatsächlich ausgetrickst, sodass ich den Mund wieder öffnete und nicht mehr aussah wie ein aufgeblasener Fisch.

»Das war wie immer kein Kompliment.«

Beleidigt verschränkte ich die Arme vor der Brust, während sich aber ein Grinsen auf meinem Gesicht ausgebreitet hatte. Rivers Freude war ansteckender als die Grippe, die uns letzte Woche beide lahmgelegt hatte.

Kiss Me On PaperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt