41 - falsche Entscheidungen

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„Granger." drang eine besorgt klingende Stimme an mein Ohr, doch ich ignorierte sie und ließ meinen Kopf an die kühle Wand sinken. Ohne, dass es mir wirklich bewusst war, schlang ich die Arme um meine Beine und versuchte, den dünnen Pullover, den ich trug enger um meinen Oberkörper zu ziehen.

Doch trotz dieser erbärmlichen Versuche, die eisige Kälte auszublenden, ließ mich der schneidende Wind und die, wie Nadeln stechende Luft erzittern. Unruhig drehte ich meinen Kopf auf die andere Seite und versuchte mit geschlossenen Augen, wieder in den Tiefschlaf zu finden, als ich eine warme Hand auf meiner Schulter spürte, die sanft versuchte, mich wachzurütteln.

Ich stieß ein genervtes Stöhnen aus, was jedoch durch meinen, vor Kälte zitternden Körper lief und letztendlich schwach und kraftlos klang.
„Granger wach verdammt nochmal auf."
Auch wenn ich halb verschlafen und erschöpft war, kam mir diese Stimme seltsam bekannt und doch gleichzeitig so fremd vor.

Ich versuchte, mich so stark zu konzentrieren, dass mein Kopf kraftlos zur Seite knickte und mich ein pulsierender Schmerz durchfuhr. Ich stöhnte leise auf, als sich zwei weiche Hände um meinen Kopf legten und blinzelte mit verweinten Augen, um meinen Gegenüber zu erkennen.

Ich blinzelte einmal, dann noch einmal und das Bild begann, sich zu klären, bis ich in strahlend graue Augen blickte, in denen Besorgnis lag. Himmel, war ich etwa immer noch im Schlaf oder halluzinierte? Oder warum um alles in der Welt kniete ein grauäugiger Slytherin vor mir und hatte seine Hände sanft an mein Gesicht gelegt, um meinen, sich schwer anfühlenden Kopf zu schützen?

Langsam hob ich eine Hand und wischte mir über meine mit Tränen benetzte Wange. Niemand hätte mich so aufgelöst sehen sollen - vor allem nicht Malfoy, der sicher morgen in der für ihn typischen arroganten Art der gesamten Schule von meinem Nervenzusammenbruch erzählen würde.

Erschöpft aber trotzdem bestimmt befreite ich meinen Kopf aus seinem Griff und drehte ihn in Richtung der großen Rundbögen des Astronomieturms, hinter denen tausende Sterne am klaren schwarzen Nachthimmel schimmerten. Selten hatte ich eine so sternenklare Nacht gesehen. Doch die kleinen Lichtpunkte am Firmament verschwammen vor meinen Augen und eine leichte Übelkeit kroch mir in den Magen und ließ mich an die Unmengen von Alkohol zurückdenken, die ich im Laufe des Abends getrunken hatte.

Immer noch war mir schummrig vor Augen und die Welt schien sich zu drehen, als Malfoys Worte an mein Ohr drangen.
„Was zur Hölle ist los? Du bist halb erfroren und wahrscheinlich am Rand der Ohnmacht?"
Innerlich fröstelte ich und widerwillig drehte ich mein Gesicht zu Malfoy, der immer noch wie versteinert am Boden kniete, seine Haare leicht zerzaust und sein Hemd halb geöffnet. Ich hatte überhaupt nicht gemerkt, wie er seinen Pullover ausgezogen und ihn mir über die Schultern gelegt hatte.

Doch das erklärte, weshalb mein Zittern langsam nachließ und ich einen herben Duft vernahm, als mein Kopf nach unten auf meine Brust sank und sich in der weichen Wolle des Pullovers vergrub. Ich schluchzte leise und plötzlich wurde ich in starke Arme gezogen, die mich festhielt und wärmten. Erneut spürte ich die salzigen Tränen in meinen Augen aufsteigen und ich begann langsam, mich an den Grund meines Nervenzusammenbruches zu erinnern, was mir ein unglaubliches Gefühl der Leere gab.

Um nichts in der Welt wollte ich Malfoy erzählen, was los war. Schließlich war er ein verdammter Todesser und auf seinem linken Arm prangte das dunkle Mal... Gott, er hatte mich angefasst, er hatte seine Arme um mich gelegt - seine verräterischen, mit dunkler Magie beschmutzten Arme. Ich brachte alle Kraft auf, um mich aus seinem überraschend sanften Griff zu winden und sprang auf - viel zu schnell, da mir unweigerlich schlecht wurde und das Innere des Astronomieturms sich zu drehen begann.

Taumelnd sah ich mich bereits gegen die Wand stoßen, doch ehe ich es mich versah, umfingen mich Malfoys Arme erneut und bewahrten mich vor einem Sturz. Diesmal war sein Griff intensiver und ich gab es auf, dagegen anzukämpfen.

„Du musst nicht reden. Was immer auch los ist, ich weiß, es tut weh. Manchmal tun Dinge im Leben so weh, dass es einen von innen zerreißt. Ich verspreche dir nicht, dass es besser wird, aber du bist stark genug, um es auszuhalten. Schau mich an, Granger."

Malfoys Worte trafen mich unerwartet ins Herz und ich sah auf in seine beruhigend grauen Augen, die mir plötzlich nicht mehr so kalt und herzlos vorkamen, sondern ein Gefühl der Geborgenheit in mir hervorriefen. Doch auf einmal erwachte wieder die Erinnerung an ihn und Snape in den Kerkern und an das dunkle Mal auf seinem Arm.

„Nimm deine dreckigen Finger von mir, Todesser." brachte ich unter Tränen hervor und Malfoys Miene verdunkelte sich von einer auf die andere Sekunde. Er wich von mir zurück und schaute mich fragend an, woraufhin ich auf seinen linken Arm deutete. Immer noch betrachtete er mich mit einer Mischung aus Verwunderung und Wut und ich wies ihn fauchend an, seinen linken Hemdärmel hochzukrempeln.

Langsam schob er sein weißes Hemd nach oben und legte seinen Unterarm frei. Mit jedem Zentimeter glaubte ich, bald den Rand des Mals erkennen und somit meine Vermutung bestätigen zu können. Doch lediglich helle und im Mondlicht schimmernde Haut kam zum Vorschein und ich zuckte zusammen. Wo war das dunkle Mal, wo war der Beweis, dass Malfoy ein Todesser war und etwas mit Harrys Zustand zu tun hatte? Nirgendwo.

Ich blickte in die strahlend grauen Augen und Malfoy zog herausfordernd eine Augenbraue hoch, woraufhin ich zögerlich anfing zu sprechen.
„Wo ist das dunkle Mal? Ich habe dich gesehen mit Snape am Tag vor der letzten Aufgabe, als er in den Kerkern deinen Arm begutachtet hat."
Nach einem kurzen Augenblick der Verwunderung stieß Malfoy ein raues Lachen aus und kam mir ein Stück näher, ohne dabei den Blick von meinen Augen zu lassen. Mit leiser Stimme deutete er auf seinen linken Arm und beim genaueren Hinsehen erkannte ich eine kleine, kaum sichtbare Narbe. Fragend blickte ich ihn an und er erhob die Stimme.

„Ich hatte damals eine Verletzung, die Snape begutachtete, um sicher zu gehen, dass ich ohne Bedenken bei der Aufgabe teil nehmen konnte. Ich bin verdammt nochmal kein Todesser, Granger." stieß er hervor und sein Blick verfing sich in meinen braunen Augen.

Die Sekunden verstrichen und wir standen beide wie angewurzelt da, die Augen ineinander verhakt, während sich in meinem Bauch ein seltsames Gefühl ausbreitete. Ich schluckte, um es zu unterdrücken, doch das machte es nur noch schlimmer.

Langsam machte ich einen Schritt auf Malfoy zu und die Luft zwischen uns schien zu knistern. Ohne lange darüber nachzudenken, tat ich das, was sich in dem Moment richtig anfühlte, stellte mich auf die Zehenspitzen und legte meine Lippen auf die seinen. Die Augen geschlossen, war es, als würden sämtliche Sterne am Nachthimmel sich zu einem Feuerwerk vereinen, als ich meine Hand an seine Wange legte. Die Sekunden verstrichen und fühlten sich an wie Stunden, die wir uns in die Augen sahen. Es war als würde die Zeit stehen bleiben und als gäbe es nur noch uns.

Doch plötzlich traf mich die Realität wie ein Schlag und ich wich von Malfoy zurück, spürte Zweifel und Schuld in mir aufsteigen und rannte ohne ein Wort die Treppen des Turmes hinab.

𝐓𝐡𝐞 𝐍𝐞𝐰 𝐂𝐡𝐨𝐬𝐞𝐧 𝐎𝐧𝐞 (𝐃𝐫𝐚𝐦𝐢𝐨𝐧𝐞 𝐅𝐅)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt