Flucht

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Jonah öffnete die Schranktür und kletterte geschickt aus dem Wandschrank heraus.
Vorsichtig schloss er dann die Tür hinter sich und versuchte dabei, möglichst leise vorzugehen.
Er schlich auf die Treppe zu und blickte um die Ecke.
Frau Derens war verschwunden.
Ok, Zeit hier raus zu kommen, dachte Jonah und rieb sich die Hände.

Erfahren wie er war, ging er möglichst weit außen auf den Treppenstufen hinab, damit diese nicht knarrten.
Jonah kam dem Saal, in dem die ganzen Familien waren, immer näher und konnte einen kurzen Blick auf den Vorraum werfen.
Als ob er nicht schon genug durchgemacht hatte an diesem Morgen, sah Jonah, dass einige Leute noch vor dem Saal standen und sich fröhlich und ein bisschen unsicher unterhielten.
Frau Derens jedoch war außer Sichtweite.

Jonah überlegte kurz und kam zu dem Entschluss, dass solange nur fremde Leute in dem Vorraum standen, er nicht direkt als Waisenhausbewohner identifiziert werden konnte, weshalb er eigentlich schnell und unauffällig durch den Hauptausgang verschwinden könnte.
"Auf geht's!", versuchte Jonah sich Mut zu machen und wollte gerade weiter die Treppe hinabsteigen, als Karl laut redend aus dem Saal kam.
Doch er war nicht allein.
Frau Derens schob den sich unauffällig wehrenden Karl vor sich her in den Vorraum.
Sofort versteckte Jonah sich hinter einer großen Pflanze, welche eine von vielen Pflanzen war, die alle fünf Treppenstufen aufgestellt worden waren.
Karl und die Leiterin stellten sich ein wenig abseits der Familien neben eine Wand und Frau Derens sagte:
"Du sagst mir jetzt, wo Jonah wieder ist!"
"Ich weiß es nicht...er sagte er käme gleich nach...er...er hat verschlafen, vielleicht ist er noch im Bad...", stotterte Karl sichtlich überfordert.
Frau Derens starrte ihn wütend an.
"Ich sag dir mein Freund, wenn hier irgendetwas läuft und ihr mich austrickst, dann bekommt ihr eine saftige Strafe!
Und wenn Jonah sich hier blicken lassen sollte, sagst du mir sofort bescheid, ist das klar?!", ermahnte sie ihn.

Jonah hatte das Gespräch von seinem Standort mithören können.
Karl fühlte sich wohl verpflichtet, sich zu rechtfertigen, als er sagte:
"Jonah meinte ja, dass er gleich nachkommen wird und das war ja auch schon n weilchen her also...".
"Also wird er dann wohl gleich hier auftauchen
...", vervollständigte Frau Derens seinen Satz.
"Ich werde einfach hier in der Nähe bleiben, dann werde ich ihn sicher nicht übersehen!".
Jonah konnte es nicht fassen.
Wie konnten so viele Zufälle auf einmal passieren?
Jetzt kam er im Leben nicht mehr ungesehen hinaus, es sei denn...

"Kaaaarl. Kaaaaaaaarl!", flüsterte Jonah so leise und unauffällig wie möglich.
Karl stand immer noch ein bisschen verwirrt neben der Wand, nachdem Frau Derens ihn so angeschimpft hatte und nun durch den Vorraum schlenderte.
Karl schaute sich um, als er seinen Namen hörte.
"Hier her!", rief Jonah vorsichtig und winkte leicht mit seiner Hand auf sich zu.
Karl sah ihn und ging geradewegs in seine Richtung.
Jonah bekam Panik.
Was ist wenn Frau Derens ihn somit entdeckte?
"Jonah, komm endlich raus!", fing Karl an.
"Psst, sei leise und tu bitte so, als ob du zufällig hier rumstehst!", erwiederte Jonah.
Karl lehnte sich also lässig an die Treppe und brachte sein Handy zum Vorschein.
"Karl, ich brauch dich ein letztes Mal für
heute."
"Man Jonah, ich kann sowas nicht gut, das weißt du...", Karl blickte Jonah flehend an.

Karl hatte schon öfters für Jonah Schmiere stehen müssen und andere für ihn nervenauftreibenden Aktionen ihm zuliebe machen müssen.
"Bitte! Ich muss hier unbedingt raus! Du weißt, was Frau Derens mit mir heute vorhat. Sie darf mich auf gar keinen Fall sehen!", versuchte Jonah ihn zu überzeugen.
Karl zögerte kurz und sagte dann:
"Ok, was soll ich machen?"
Jonah lächelte.
"Sag Frau Gokes, dass sie mit dem Putzwagen an der Treppe vorbeigehen soll.
Danach gehst du zu Frau Derens und sagst ihr, dass du mich gerade in den Saal hast gehen sehen. Somit wäre Frau Derens abgelenkt und ich kann im Schutz des Putzwagens zum Hauptausgang gelangen", erklärte Jonah ihm seinen Plan.
Karl blickte sich um, checkte kurz die Lage und flüsterte:
"Ok, wie du meinst. Wenn etwas schiefläuft bin ich aber nicht Schuld!"
"Natürlich nicht!", beruhigte Jonah ihn.
Karl nickte.
"Achja, ich hab was gut bei dir, Jonah!"
"Geht klar!", versicherte ihm Jonah.
Er konnte ein kleines Lächeln auf Karl's Mund entdecken, doch dann machte Karl sich auch schon auf den Weg.

Er redete kurz mit Frau Gokes und verschwand dann in Richtung Frau Derens.
Jonah machte sich bereit.
Zum Glück war der Putzwagen relativ hoch beladen, sodass Jonah nur leicht gebückt neben diesem herlaufen musste.
"Gehen Sie bitte schnell Richtung Ausgang, ja?", fragte Jonah als er sich in den Schatten des Wagens begab.
Frau Gokes lachte nur und sagte:
"Dir auch einen guten Morgen, Jonah."
Was musste sie jetzt nur von ihm denken?
Er benahm sich ja im Moment eigentlich wie ein Kleinkind...aber Frau Gokes kannte ja seine Hintergründe nicht...
Keine Zeit für solche Gedanken!, schoss es ihm durch den Kopf.
Jonah konnte einen kurzen Blick durch einen Spalt des Wagens erhaschen und sah, wie Karl die hämisch grinsende Frau Derens gerade in den Saal führte.
Danke, Karl, dachte sich Jonah.

Sie hatten den Ausgang erreicht und Jonah bedankte sich schnell bei Frau Gokes.
Diese lachte jedoch wieder nur vor sich hin und ging weiter ihrer Arbeit nach.
Sie fand die Aktion bestimmt einfach nur komisch, doch Jonah war ihr dankbar, dass sie mitspielte, ohne dass er ihr eine Erklärung schuldig war.

Er ging schnellen Schrittes zum Hauptausgang und öffnete die Tür.
Er erschreckte und blieb gerade noch stehen, als er fast in einen dunkelhaarigen Mann mit einem Schnauzbart und seine blonde, wirklich nett aussehende Frau hineinrannte.
Doch dann realisierte er, dass sie auch ein Adoptivkind suchten und deshalb durch die Tür wollten.
Er hielt ihnen mit einem Lächeln diese auf und sprach sie spontan an:
"Bitte fragen sie nach Karl Kopl. Er würde perfekt zu Ihnen passen! Viel Erfolg!"
Versprechen eingelöst, Karl, dachte er glücklich und hoffte für Karl, dass er wirklich eine nette Familie finden wird.
Das Ehepaar schaute Jonah verdutzt an, doch dieser hatte gerade eine erfolgreiche, wenn auch schwierige Flucht aus dem Waisenhaus gemeistert und wollte sich jetzt nur noch so schnell wie möglich weit von diesem Ort entfernen.

Agent J8 - the mysterious womanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt