Epilog

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Ein Jahr später

Katie

„So ihr Süssen, genug für heute. Das habt ihr toll gemacht."

Zufrieden beobachte ich, wie sich meine Schülerinnen und Schüler von der Stange lösen und laut lachend und schnatternd zu den Umkleidekabinen begeben.

„Aufwiedersehen, Frau Bednareck!", rufen mir noch einige Kinderstimmen zu. Ich stelle die Musik ab und öffne das grosse Fenster der Tanzhalle.

„Hast du was zu knabbern dabei?", fragt Lily, die es sich inzwischen mit Tommi auf den Bänken gemütlich gemacht hat. Sie wühlt bereits in meiner Tasche, während sich mein kleiner Bruder aus den Balettschuhen kämpft.

Seit einem halben Jahr gebe ich nun Ballettunterricht in der Tanzschule „Wedance" in der Wiener Innenstadt. Ich gebe Unterricht in verschiedenen Altersstufen, meine liebste ist jedoch definitiv die Gruppe im Alter zwischen 6 und 9 Jahren. Nicht nur, weil die kleine Lily und mein Bruder Tommi darin sind, sondern auch, weil die Kinder in diesem Alter immer total unbeschwert und glücklich in den Unterricht kommen. Danach fühlte ich mich jedesmal total gut. Ihre positive Laune war einfach ansteckend.

„Leider nicht", erkläre ich Lily und das Mädchen rümpft enttäuscht die Nase. Ihre wilden braunen Locken haben sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst und stehen ihr wie so oft von allen Seiten ab.
Sie und Tommi sind im letzten Jahr ziemlich gute Freunde geworden und seit sie nun auch die erste Klasse zusammen besuchen dürfen, sind sie unzertrennlich. Genau wie Tobi und ich.

Mein Freund tritt genau in dem Moment in den Saal, als ich an ihn denke. Ich schenke ihm ein breites Lächeln, dass er sofort erwidert.

„Tobi!", mein kleiner Bruder hüpft freudig auf und sprintet in Windeseile auf meinen Jungen zu. Tobi hat den Kleinen schon hochgehoben und wirbelt ihn nun im Kreis um sich selbst.

„Na, Billie Elliot? Alles klar?"

Tommi lacht schallend und auch Lily gesellt sich nun zu den beiden, da sie anscheinend auch gerne mal Tobi-Karussell fahren möchte. Mein Freund erfüllt ihr den Wunsch.

„Habt ihr Lust auf n Eis?" fragt Tobi nun und die beiden Knirpse nicken so heftig, dass ich schon befürchte ihre Köpfe fallen gleich ab.

Tobi geht mit den beiden Voraus und ich beeile mich, meine Sachen zusammenzureimen und die Halle abzuschliessen. Dann eile ich das Treppenhaus hinunter um sie einzuholen.

Als ich die Tür des Tanzgebäudes aufstosse, empfängt mich erdrückende Hitze und das Gezwitscher von Vögel. Gleich in der Nähe von Wedance ist ein kleiner Park, in dem Tobi und ich schon oft unsere Mittage verbracht haben. Manchmal gesellten sich auch Nico und Nora zu uns, denn das Konservatorium ist ganz in der Nähe. Es gab nichts schöneres, als diese langen Mittage im Schatten der Bäume mit meinen Lieblingsmenschen und einer erfrischenden Limo.

Ich beobachte, wie Tobi meinem Bruder etwas Geld in die Hand drückt und dieser dann, mit Lily im Schlepptau, zu der kleinen Gelateria rennt. Warum müssen kleinen Kinder eigentlich immer rennen?

Ich setze mich mit Tobi auf die einzige Bank, die am Schatten steht und lege meinen Kopf auf seine Schulter. Ich kann nicht anders als wie eine Idiotin vor mich hinzugrinsen.

Niemals hätte ich gedacht, dass ich einen Beruf finde, der mich so erfüllt, wie dieser es tut. Tatsächlich hatte ich mich eigentlich auf ein Zwischenjahr eingestellt. Ich war ziemlich unzufrieden mit der Lage und fühlte mich echt verloren. Kayla und ich waren einen Monat in der Bretagne in einem Sprachaufenthalt. Danach ging sie, und alle anderen von meinen Freunden und auch Tobi ihrem Studium nach und ich sass zu Hause rum und scrollte durch Stelleninserate, um wenigstens einen kleinen Job zu ergattern und etwas zu verdienen, damit das Jahr nicht umsonst war.
Ich wurde aber nicht wirklich fündig und als Géraldine mir eines Nachmittags den Link zu einer offenen Stelle im „Wedance" mailte, willigte ich sofort ein.
Zuerst wollte ich nur für ein halbes Jahr dort arbeiten, doch bald erweiterte ich meinen Unterricht auf drei verschiedene Altersstufen. Und ich bereue es keine Sekunde. Ich liebe es, mit anderen Menschen meine grösste Leidenschaft zu teilen. Um ehrlich zu sein, ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.

Ich schliesse die Augen und lausche eine Weile dem Vogelgezwitscher und dem Stimmengewirr um uns herum. Auch Tobi legt den Kopf in den Nacken und schliesst zufrieden die Augen.

Die angenehme Atmosphäre hält aber nicht lange an, denn einige Sekunden später werden wir von einem Schwall Wasser getroffen und ich springe kreischend auf.

„Du kleiner-!", schimpfende ich und will meinen Bruder schon zu mir reissen, doch schaffe es nur, sein Eis am Stiel zu schnappen. Tobi zieht Lily zu sich auf den Schoss und sie lacht, weil Tobi sie kitzelt. Dabei lässt sie die PET-Flasche fallen, dessen Inhalt sie über uns gekippt hat. Tommi betrachtet mich mit seinem besten Welpenblick und versucht so, sein Eis zurückzubekommen. Ich gebe es ihm aber erst zurück, nachdem ich selbst einen grossen Brocken abgebissen haben und Tommi entsetzt den Mund verzieht.

Tobi und ich lachen und für einen Moment frage ich mich, was wohl passiert wäre, wenn ich an diesem Donnerstag vor einem Jahr die Busstation nicht verpasst hätte. Wenn ich pünktlich im Kindergarten erschienen wäre und Tommi rechtzeitig abgeholt hätte.

Hätte ich Tobi trotzdem kennengelernt?

Hätte ich seine Kamera bemerkt und ihn nach einem Date gefragt?

Würden wir beide jetzt hier sitzen?

Unglaublich was eine kleine Handlung bewirken kann. Eine einzige Entscheidung, nämlich mit Daniel zu reden und nicht auf die Zeit zu achten, hat mein Leben verändert. Diese Entscheidung hat mich dahin geführt, wo ich jetzt bin.

Und ich bereue keine Sekunde davon.

Ein guter Tag zum TanzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt