Eigentlich ist das hier ein Palermo Oneshot, aber mit Anspielungen auf Belermo :)
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Martín hatte keine Zeit gehabt.
Keine Zeit, um seine mit Blut durchtränkte Kleidung richtig zu wechseln.
Keine Zeit, um wirklich daran denken zu können, was in den letzten paar Stunden passiert war.Er war einfach nur auf der Flucht gewesen - zu Fuß, dann in einem alten, klapprigen Auto, damit er unbemerkt über die Grenzen kommen konnte.
Sein Fluchtplan hatte auch gut geklappt: die spanische Polizei und alle möglichen Geheimdienste der Welt suchten ihn auf Frachtschiffen Richtung Südamerika oder abgelegenen Flughäfen, doch niemals würden sie ihn hier, mitten in Europa, vermuten.Und jetzt war er endlich dort angekommen, wo der Professor ihn hingeschickt hatte: an dem Ort, wo er auch schon die vergangenen Monate verbracht hatte. Dem Kloster.
Es war hier noch immer so friedlich und still wie zuvor, so als ob die schrecklichen Nachrichten diesen Ort nie erreicht hätten.
Und vielleicht auch nie erreichen würden, wenn er sich beeilen würde.Martín stieg aus dem Auto aus, schmiss die Tür hinter sich zu und rannte die letzten Meter des holprigen Feldwegs, der zum Gebäude führte, entlang, bis er das Kloster endlich erreicht hatte.
Er durchquerte den langen Kreuzgang, bis er die große Kirche erreichte und dann anschließend die kleine Kapelle, in der sie alle gelebt hatten.
Wenn Martín daran dachte, wie schön es die letzten Wochen über gewesen war, mit viel Gelächter und Freude, war es schon fast unheimlich still hier, denn das einzige Geräusch, dass den Raum erfüllte, waren seine ungleichmäßigen Schritte auf dem Marmorboden.
Er versuchte die plötzliche Trauer, die ihn durchflutete, zu ignorieren, während er immer weiter in Richtung Ende der Kapelle zu seinem Ziel lief. Dem kleinen Bettchen, in dem der kleine Junge schlief.
Cincinnati war offensichtlich nicht von ihm aufgeweckt worden, denn er schlief immer noch ruhig.
Martín ging in die Hocke, um ihn durch die Gitterstäbe des Bettes besser anschauen zu können. Während sie alle zusammen hier waren hatte er dem Kind kaum Aufmerksamkeit geschenkt, doch jetzt, wo die Bande nur noch aus ihm den dem Jungen bestand, fiel ihm zum ersten Mal die Ähnlichkeit zu Stockholm auf.
Die weichen, freundlichen Gesichtszüge und die blonden Haare, die vielleicht später noch zu Locken werden würden.Er spürte, wie ihm eine warme Träne über die Wange lief, die er mit den Handrücken wegwischte.
Es fühlte sich für einen Moment an, als würde sich alles um ihn herum drehen, und er musste sich erstmal setzen, um nicht vollkommen das Gleichgewicht zu verlieren.Martín legte den Kopf in den Nacken und schloss kurz die Augen, um zumindest zu versuchen, die Tränen zu verdrängen.
Dann öffnete er wieder seine Augen - und bereute es sofort.Dort drüben, an der gegenüberliegenden Wand, hing ein Bild von dem wohl glücklichstem Tag in seinem Leben. Die Hochzeit seines besten Freundes.
Es zeigte Andrés und Tatiana im Mittelpunkt, umringt von ihm, Sergio, zwei Freunden sowie den ganzen Mönchen, die hier auch wohnten.
Damals hatte es sich zumindest ein bisschen so angefühlt, als hätte Martín endlich so etwas wie eine Familie gehabt, doch so schnell war alles wieder vorbei gewesen, als er seinem Freund seine wahren Gefühle gestanden hatte.Und jetzt hatte er zusammen mit der Bande (auch wenn er sich es nicht hatte richtig eingestehen wollen) das gleiche wieder erlebt - er hatte Freunde gefunden und sich verliebt - doch als er Helsinki seine wahren Gefühle gestanden hatte, war wieder alles in die Brüche gegangen.
„Ich muss wohl echt Pech in der Liebe haben", murmelte Martín lachend, ohne seinen Blick vom Bild abzuwenden. Inzwischen hatte er es aufgegebenen und ließ seinen Tränen freien Lauf.
„Ich bin so-"„Mama? Wo Mama?"
Martín zuckte zusammen, so sehr hatte er sich erschrocken - vor dem Kind, das noch nicht mal richtig sprechen konnte.
Er drehte sich zu Cincinnati.„Wo Mama? Wo Papa?", sagte der Junge wieder.
Martín bemühte sich zu lächeln, denn er dachte daran, dass er sowieso noch zu klein war, um sich später an seine richtigen Eltern erinnern zu können.
„Sie ... ähm ... werden nicht kommen."
Er bezweifelte, dass der Junge überhaupt verstand, was gerade los war.
„Wo Papa?"
Martín zögerte.
„Dein ... neuer Papa ist hier, Großer."Cincinnati war zu klein, um es zu verstehen.
„Papa", wiederholte er und lächelte.
Martín stand auf und hob das Kleinkind, dass sich sofort liebevoll an seinen Hals klammerte, aus dem Bettchen.
Abschließend holte er noch die Notfalltasche für den Jungen, sowie etwas von dem Geld, das der Professor hier aufbewahrt hatte., bevor er ein für alle mal von hier verschwinden wollte.
Aber nicht, ohne vorher noch das Hochzeitsfoto mitzunehmen.„Und wohin gehen wir jetzt?", fragte Martín den Junge. „Argentinien oder Asien?"
„Arg ... Argen ... tienen", versuchte Cincinnati ihm nachzusprechen.
„Sehr gut ... ich glaube, wir werden uns noch wunderbar verstehen, mein Großer", flüsterte Martín.
„Papa", sagte Cincinnati freudig auf seinem Arm, während sich Martín noch ein letztes Mal umdrehte, um die Tür hinter sich zu schließen.