🌹el naranjo🌹

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Die Hitze war fast schon unerträglich, obwohl es gerade mal vormittags war.
Der Wind war ausgeblieben, und so stand die Luft in den engen Gassen von Palermo und die Sonne knallte unangenehm auf die Häuser der Stadt.

Am liebsten hätte Martín sich in seine Wohnung verkrochen, bis es abends einigermaßen abgekühlt hatte, doch irgendwie konnte er nicht solange stillsitzen, also beschloss er, zu seinem Lieblingsplatz zu gehen.

Etwas außerhalb der Stadt gab es einen kleinen, heruntergekommenen Garten, den kaum jemand kannte, mit Blick auf das Mittelmeer.

Martín setzte sich unter den alten Orangenbaum.

Manchmal erinnerte Palermo ihn ein bisschen an Buenos Aires, seine Heimat, die er vor vielen Jahren verlassen hatte, um seiner Liebe nach Europa zu folgen.
Ab und an vermisste er die Stadt, aber all die Dinge, die er dort erlebt hatte, wollte er vergessen, und hier auf Sizilien war es deutlich angenehmer zu leben.

Martín schloss die Augen.

Er malte sich aus, was wohl mit ihm passiert wäre, wenn er damals in Argentinien geblieben wäre: Wahrscheinlich hätte er jetzt ein vergleichsweise langweiliges Leben, mit einem mittelmäßigen Job, doch die Kriminalität hatte ihm neue Möglichkeiten gegeben: Er hatte mit dem erbeuteten Geld studieren können und konnte jetzt anderen Menschen in der Stadt helfen. Andrés hingegen hatte sich nie die Mühe gemacht, einen normalen Beruf zu erlernen.

"Hallo", sagte plötzlich jemand und riss ihn aus seinen Gedanken.

Martín zuckte heftig zusammen und griff nach seinem Taschenmesser, das er immer bei sich trug, bevor er die Stimme zuordnen konnte.

Als er jedoch realisierte, dass er gerade seinem besten Freund die Klinge an den Hals drückte, steckte er schnell das Messer wieder weg, und versuchte, nicht rot anzulaufen.

"Hallo Andrés", antwortete er.

"Deine Wiedersehensfreude hält sich ja in Grenzen", meinte dieser.

Innerlich wollte Martín seinem Freund gerade um den Hals fallen, ihm sagen, wie sehr er ihn vermisst hatte, und danach einfach nur den restlichen Tag mit ihm verbringen, doch äußerlich saß er nur regungslos da und starrte auf das Meer vor ihnen, während er versuchte, sich seine Emotionen anmerken zu lassen.

"Nein, ich freue mich wirklich, aber was machst du auf Sizilien?"

"Darf ich meinen besten Freund nicht mehr besuchen?"

Schnell schüttelte Martín den Kopf.

"Doch, ich bin nur überrascht."

"Dass ich deinen Lieblingsplatz kenne?"

"Ja."

"Ich kenne dich jetzt schon eine Weile, Martín, und mein Gefühl sagt mir, dass du alte, verlassene Orte magst, und naja, nur du würdest mitten am heißesten Tag des Jahres rausgehen, während der Rest besseres zu tun hat."

Martín lächelte.

"Du kennst mich zu gut", meinte er.

"Ja...", stimmte Andrés ihm zu, während er verträumt die Boote, deren weiße Segel wie Perlen im Sonnenlicht schimmerten, beobachtete.

"Ist alles in Ordnung?", fragte Martín nach einer Weile, als er bemerkte, wie sich Andrés' dunkle Augen leicht mit Tränen füllten.

"Ja, ich habe bloß nachgedacht", flüsterte er. "Ich will es durchziehen, bevor es zu spät ist."

Abrupt drehte sich Martín zu ihm.

"Was ist los ...?"

"Meine Hände, sie haben angefangen zu zittern, du weißt, was das heißt."

"Du hast noch drei Jahre."

"Ja", wisperte Andrés und starrte weiterhin in die Ferne.

Martíns Welt schien gerade in tausend winzige Stücke zu zerfallen, seine Träume zerplatzen, seine letzte Hoffnung wurde zerstört, und er spürte, wie sein Herz anfing, anfing zu schmerzen.

All die Jahre hatte er es sich nicht getraut, ihm zu sagen, aber vielleicht war ja jetzt gerade der richtige Augenblick.

"Andrés?"

"Ja?"

"Ich - ich liebe dich", flüsterte Martín und bereute es sofort, diese Wörter ausgesprochen zu haben.

Andrés drehte sich zu ihm.
Als sich ihre Blicke trafen, schmunzelte er leicht.

"Ich dich auch."

Martín spürte Andrés' Hand in seinem Nacken, die ihn immer weiter zu sich zog, um ihn zu küssen.

Für einen kurzen Moment vergaßen sie beide ihre Probleme, die Krankheit und den ganzen Plan.

Für einen kurzen Moment gab es nur sie beide.

Nur Andrés und Martín.

Bis ganz zum Schluss.

🥀[Belermo Oneshots]🥀Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt